Das Bundesverfassungsgericht hat am 09.12.2020 zum Aktenzeichen 1 BvR 704/18 entschieden, dass die Pressefreiheit einer Verlegerin eines Magazins verletzt wird, wenn sie zum Abdruck einer Gegendarstellung verpflichtet wird, obwohl es sich bei der veröffentlichten Aussage um ein Werturteil und nicht um eine Tatsachenbehauptung handelt.
Aus der Pressemitteilung des BVerfG Nr. 9/2021 vom 28.01.2021 ergibt sich:
Im Frühjahr 2017 recherchierte die Beschwerdeführerin zum Finanzplatz Malta. In einer Liste, die ihr von einem Journalistennetzwerk zugespielt worden war, tauchte der Name des Antragstellers des Ausgangsverfahrens im Zusammenhang mit einer maltesischen Gesellschaft auf. Nach vorangegangener Anfrage der Beschwerdeführerin antwortete der Rechtsanwalt des Antragstellers des Ausgangsverfahrens, sein Mandant werde keine Fragen beantworten, es handele sich um private Vermögensfragen. Im Zusammenhang mit den Begriffen „Steueroptimierung“ und „Steuerersparnis“ würden Sachverhalte unterstellt, die nicht zuträfen.
Die Beschwerdeführerin veröffentlichte den streitgegenständlichen Artikel. Dieser befasst sich mit Steuersparmodellen im Zusammenhang mit maltesischen Gesellschaften deutscher Unternehmen und Privatpersonen. Auf einer der folgenden Seiten befindet sich in der mittleren Spalte ein Bild des Antragstellers des Ausgangsverfahrens mit einer in einem Kasten abgesetzten Frage:
„Warum Malta, Herr […]? Angeblich alles legal und reine Privatsache.“
Im Artikel wird darüber berichtet, dass der Antragsteller des Ausgangsverfahrens im April 2016 die Firma „[…] Yachting Ltd“ im Firmenregister in Malta eintragen ließ, deren Geschäftszweck sei: „Kauf, Betrieb, Verleih, Bau und noch einiges mehr, was mit „Schiffen jeder Art“ zu tun hat“. Weiter heißt es im Artikel wörtlich:
„Es gibt zumindest ein paar naheliegende Gründe, nach Malta zu gehen, wenn die Firma das Wort „Yachting“ im Namen trägt. Malta hat nicht nur das größte Schiffsregister Europas. Vor allem Jachtbesitzer lockt der EU-Zwerg mit Sonderangeboten – bei der Mehrwertsteuer. […]“
Nach zuvor ablehnender Entscheidung des Landgerichts entschied das Oberlandesgericht im einstweiligen Verfügungsverfahren auf Antrag des Antragstellers des Ausgangsverfahrens, dass die Beschwerdeführerin zur Veröffentlichung einer Gegendarstellung verpflichtet sei. Auf den von der Beschwerdeführerin eingelegten Widerspruch erging das den Erlass der einstweiligen Verfügung bestätigende Urteil des Landgerichts. Das Oberlandesgericht wies die von der Beschwerdeführerin eingelegte Berufung zurück. Es handele sich bei der wiedergegebenen Aussage nicht um eine erkennbar subjektive Einschätzung der Beschwerdeführerin, sondern um eine Tatsachenbehauptung. Unter Mitteilung objektiver Tatsachen werde der tatsächliche Verdacht zum Ausdruck gebracht, der Antragsteller habe die Gesellschaft auf Malta gegründet, um Mehrwertsteuer zu sparen. Damit treffe die Beschwerdeführerin eine Aussage über die angebliche Motivation des Antragstellers, die dem Beweis zugänglich sei. Die Beschwerdeführerin druckte daraufhin die Gegendarstellung ab.
Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung ihres Grundrechts auf Pressefreiheit.
Das BVerfG hat der Verfassungsbeschwerde der Verlegerin stattgegeben.
Nach Auffassung des BVerfG verletzen die angegriffenen Entscheidungen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Entgegen der Entscheidung der Fachgerichte handele es sich bei der streitgegenständlichen Passage nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um ein Werturteil, welches nicht gegendarstellungsfähig sei.
Wesentliche Erwägungen des BVerfG:
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet.
Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, weil die Fachgerichte die Bedeutung und Tragweite der Pressefreiheit nicht hinreichend berücksichtigt haben. Gegendarstellungsfähig ist nur eine Tatsachenbehauptung, die die Presse zuvor aufgestellt hat. Die Pressefreiheit ist deshalb verletzt, wenn eine Gegendarstellung abgedruckt werden müsste, obwohl es sich bei der Erstmitteilung nicht um eine Tatsachenbehauptung handelt.
Tatsachenbehauptungen sind durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit geprägt und der Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich. Bei einer Meinung handelt es sich um eine Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt ist. Für die Abgrenzung nach dem Schwerpunkt kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an. Grundsätzlich ist dabei von einem weiten Verständnis des Meinungsbegriffs auszugehen. Eine Äußerung fällt auch dann in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit, wenn sich diese Elemente, wie häufig, mit Elementen einer Tatsachenmitteilung oder -behauptung verbinden oder vermischen, jedenfalls dann, wenn beide sich nicht trennen lassen und der tatsächliche Gehalt gegenüber der Wertung in den Hintergrund tritt. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden. Im Zweifel ist im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes davon auszugehen, dass es sich um eine Meinungsäußerung handelt.
Dem beanstandeten Text ist keine Tatsachenbehauptung dahin zu entnehmen, der Antragsteller des Ausgangsverfahrens habe eine maltesische Gesellschaft gegründet, um Mehrwehrsteuer zu sparen beziehungsweise und habe dort Steuern gespart. Es handelt sich um eine Meinungsäußerung der Beschwerdeführerin dahin, dass unstreitig in Malta bestehende Steuervorteile bei der unstreitig vom Antragsteller in Malta gegründeten Gesellschaft eine Rolle gespielt haben können. Jedenfalls könne ein Zusammenhang zwischen unstreitigen Steuervorteilen und dem Umstand bestehen, dass der Antragsteller des Ausgangsverfahrens Hauptgesellschafter einer maltesischen Limited ist, die den Begriff „Yachting“ im Gesellschaftsnamen führt. Die gegenständliche Passage ist von Elementen der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt. Die Beschwerdeführerin leitet aus den konkret dargelegten Umständen und der Nähe zu Gesellschaftsgründung und Steuervorteilen diese Vermutung ab. Dass ihr unbekannt war, ob die Gesellschaft für den Erwerb einer Jacht und damit für „ein Steuerschnäppchen“ gegründet wurde, teilt sie offen mit.