Erfolgloser Eilantrag zu Vorkehrungen beim Wahlverfahren einer Vizepräsidentin oder eines Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages

Das Bundesverfassungsgericht hat am 07.07.2021 zum Aktenzeichen 2 BvE 9/20 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung der Fraktion Alternative für Deutschland (AfD) im Deutschen Bundestag verworfen, mit dem diese begehrte, den Deutschen Bundestag zu verpflichten, vorläufig verfahrensmäßige Vorkehrungen für das Wahlverfahren zur Stellvertreterin oder zum Stellvertreter des Bundestagspräsidenten zu treffen.

Aus der Pressemitteilung des BVerfG Nr. 70/2021 vom 11.08.2021 ergibt sich:

Sachverhalt:

In seiner konstituierenden Sitzung am 24. Oktober 2017 beschloss der Deutsche Bundestag mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Abgeordneten der Antragstellerin die Weitergeltung von Geschäftsordnungsrecht, hierunter auch die Vorschrift zur Wahl des Bundestagspräsidenten und seiner Stellvertreterinnen und Stellvertreter (sogenannte Vizepräsidentinnen und -präsidenten). Auf Antrag aller Fraktionen legte der Bundestag außerdem die Zahl der Stellvertreterinnen und Stellvertreter des Bundestagspräsidenten auf sechs fest. Für alle Fraktionen – bis auf die Antragstellerin – wurden in der konstituierenden Sitzung im ersten Wahlgang die vorgeschlagenen Kandidatinnen und Kandidaten zu Stellvertreterinnen und Stellvertretern des Bundestagspräsidenten gewählt. Der von der Antragstellerin zur Wahl vorgeschlagene Abgeordnete erhielt in keinem der drei Wahlgänge die erforderliche Mehrheit. Im weiteren Verlauf der Legislaturperiode schlug die Antragstellerin zwischen November 2018 und Januar 2020 für die Wahl vier weitere Abgeordnete vor, die ebenfalls in keinem der jeweils durchgeführten drei Wahlgänge die erforderliche Mehrheit erzielten. Im November 2020 und im Juni 2021 stellte die Antragstellerin einen weiteren ihrer Abgeordneten als Stellvertreter des Bundestagspräsidenten zur Wahl, der im ersten und zweiten Wahlgang nicht die erforderliche Mehrheit auf sich vereinen konnte.

Mit ihrem Hauptantrag begehrt die Antragstellerin die Feststellung, dass der Antragsgegner sie in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG sowie in ihrem Recht auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung und den Grundsatz der Organtreue verletzt hat. Alle von ihr vorgeschlagenen Abgeordneten seien nicht gewählt worden, ohne dass der Antragsgegner zuvor prozedurale Vorkehrungen zum Schutz vor einer Nichtwahl aus sachwidrigen Gründen geschaffen habe. Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt die Antragstellerin die Verpflichtung des Antragsgegners, vorläufig entsprechende verfahrensmäßige Vorkehrungen für das Wahlverfahren zu treffen.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

  1. Der Antrag ist unzulässig, weil er auf Rechtsfolgen gerichtet ist, die im Organstreitverfahren grundsätzlich nicht erreicht werden können.

In der Hauptsache kann die Antragstellerin allenfalls die Feststellung einer Verletzung ihrer Rechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG durch die Zurückweisung ihrer Wahlvorschläge bei den zurückliegenden Wahlen, nicht aber die Verpflichtung des Antragsgegners zu verfahrensmäßigen Vorkehrungen für künftige Wahlen eines Vizepräsidenten oder einer Vizepräsidentin auf Vorschlag der Antragstellerin erreichen. Hinzu tritt, dass ihr weit formulierter Eilantrag auf die vorläufige allgemeine Etablierung von Verfahrensregelungen gerichtet ist, die auch bei etwaig erforderlichen Neubesetzungen von Vizepräsidentinnen beziehungsweise Vizepräsidenten aus den Reihen der anderen Fraktionen anwendbar wären. Die Antragstellerin begehrt daher im Rahmen eines Eilverfahrens die Schaffung neuen, allgemeingültigen Verfahrensrechts. Der einstweilige Rechtsschutz zielt jedoch nur auf eine vorläufige Sicherung der geltend gemachten organschaftlichen Rechte der Antragstellerin.

  1. Darüber hinaus fehlt es an einer substantiierten Darlegung dazu, dass der Antragstellerin ein schwerer Nachteil droht und der Erlass einer einstweiligen Anordnung dringend geboten ist.

Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist im vorliegenden Verfahren kein dringender Regelungsbedarf ersichtlich. Auch die von der Antragstellerin geforderten „geeigneten verfahrensmäßigen Vorkehrungen“ verschaffen ihr nicht das der Sache nach letztlich begehrte Amt einer Vizepräsidentin oder eines Vizepräsidenten, sondern geben lediglich einen neuen Verfahrensmodus vor. Insofern verhält sich die Antragstellerin schon nicht ausreichend substantiiert dazu, ob und wie die Anordnung derartiger „verfahrensmäßiger Vorkehrungen“ im einstweiligen Rechtsschutz ihre Chancen auf ein erfolgreiches Wahlverfahren bis zum Abschluss der Legislaturperiode im Vergleich zum derzeitigen Wahlmodus wesentlich fördern würde und wie genau derartige „geeignete“ Verfahrensvorkehrungen ihrer Ansicht nach auszusehen hätten. Darüber hinaus sieht sich die Antragstellerin bereits seit Beginn der Wahlperiode im Oktober 2017 durch die Nichtwahl ihres ersten Kandidaten und auch durch die in den Jahren 2018 bis 2020 folgenden Nichtwahlen weiterer Kandidatinnen und Kandidaten in ihrem Recht auf Schaffung verfahrensmäßiger Vorkehrungen verletzt. Den mit Einlegung des Organstreitverfahrens verbundenen Eilantrag hat sie jedoch erst im November 2020 gestellt.