Das Bundesverfassungsgericht hat am 19.06.2020 zum Aktenzeichen 1 BvR 842/17 eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die sich unmittelbar gegen § 11 Abs. 5 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) richtete.
Aus der Pressemitteilung des BVerfG Nr. 68/2020 vom 06.08.2020 ergibt sich:
Die Beschwerdeführerin wendet sich als Arbeitgeberin in der Unterhaltungsindustrie gegen das 2017 eingeführte Streikbrecherverbot in § 11 Abs. 5 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Hiernach darf der Entleiher Leiharbeitskräfte nicht auf bestreikten Arbeitsplätzen tätig werden lassen, wenn sein Betrieb unmittelbar durch einen Arbeitskampf betroffen ist. Das Verbot schränke sie insbesondere in der Wahl der Mittel eines Arbeitskampfes ein und verletze dadurch ihre Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG.
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
§ 11 Abs. 5 AÜG enthält das bußgeldbewehrte Verbot, Leiharbeitskräfte auf bestreikten Arbeitsplätzen einzusetzen, wenn der Entleiherbetrieb unmittelbar durch einen Arbeitskampf betroffen ist, also den Einsatz als Streikbrecher. Das BVerfG hat, nachdem es dazu Stellungnahmen eingeholt hat, entschieden, dass die Regelung die Beschwerdeführerin nicht in ihren Grundrechten verletzt.
Wesentliche Erwägungen des BVerfG
Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig. Das gilt, soweit sie sich auch gegen das Leistungsverweigerungsrecht von Leiharbeitskräften nach § 11 Abs. 5 Satz 3 und 4 AÜG wendet, da diese Regeln schon weit über ein Jahr gelten und damit die Frist zur Einlegung einer Verfassungsbeschwerde gegen sie verstrichen ist. Es gilt auch für die Rüge der Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG, da die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung insoweit weder dargelegt noch ersichtlich ist. Auf eine Verletzung der aus Art. 12 Abs. 1 GG abgeleiteten Rechte der Leiharbeitskräfte kann sich die Beschwerdeführerin als Arbeitgeberin ohnehin nicht berufen.
Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
Das BVerfG hat offengelassen, ob die Beschwerdeführerin als nicht tarifgebundene Arbeitgeberin in den persönlichen Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG fällt und ob der Einsatz von Leiharbeitskräften als Streikbrecher überhaupt als Mittel im Arbeitskampf geschützt wird.
Jedenfalls ist die angegriffene Regelung mit den sich aus Art. 9 Abs. 3 GG ergebenden Anforderungen vereinbar.
Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit ist zwar vorbehaltlos gewährleistet, aber wie jedes Grundrecht zugunsten anderer Ziele mit Verfassungsrang durch den Gesetzgeber beschränkbar. Die Ausübung der Koalitionsfreiheit durch beide Tarifparteien erfordert sogar koordinierende gesetzliche Regelungen, welche die widerstreitenden Grundrechtspositionen in Ausgleich bringen. Dabei hat der Gesetzgeber einen weiten Handlungsspielraum. Grundsätzlich ist es den Tarifvertragsparteien selbst überlassen, ihre Kampfmittel den sich wandelnden Umständen anzupassen, um dem Gegner gewachsen zu bleiben und ausgewogene Tarifabschlüsse zu erzielen. Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers findet insofern seine Grenzen am objektiven Gehalt des Art. 9 Abs. 3 GG. Die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie darf nicht gefährdet werden, was nur gilt, solange zwischen den Tarifvertragsparteien ein ungefähres Kräftegleichgewicht – Parität – besteht. Der Gesetzgeber ist aber nicht verpflichtet, Disparitäten auszugleichen, die nicht strukturell bedingt sind, sondern auf inneren Schwächen einer Koalition beruhen.
Danach verletzt die angegriffene Regelung nicht die Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG. Die hier angegriffene Regelung ist vom Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt. Die Regelung ist insbesondere auch im engeren Sinne verhältnismäßig. Das zeigt die gebotene Abwägung aller Belange unter Berücksichtigung der Belastungen. Diese sind zwar gewichtig. Die Arbeitgeber werden in ihrer Entscheidung beschränkt, Leiharbeitskräfte einzusetzen, um sich gegen einen Streik zu wehren. Doch verbietet die Vorschrift nicht den generellen Einsatz von Leiharbeitskräften im Betrieb, sondern nur den unmittelbaren oder mittelbaren Einsatz als Streikbrecher. Der Gesetzgeber verfolgt damit Ziele von so erheblichem Gewicht, dass sie grundsätzlich geeignet sind, auch gewichtige Grundrechtsbeschränkungen zu rechtfertigen. Das gilt für das Ziel, auch Leiharbeitskräften ein sozial angemessenes Arbeitsverhältnis zu sichern, wie auch für das Ziel, die Funktionsfähigkeit der grundrechtlich gewährleisteten Tarifautonomie zu sichern, weil die Arbeitnehmerüberlassung in gesteigertem Maße im Arbeitskampf eingesetzt worden sei und dies die Kräfte erheblich zulasten der Gewerkschaften verschiebt. Damit zielt die Regelung auf die grundlegende Parität der Tarifvertragsparteien ab. Die Gewerkschaften verfügen entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin auch nicht bereits über stärkere Kampfmittel. Gerade sie sind auf ein ausgewogenes Kräfteverhältnis im Arbeitskampf angewiesen, um ihre Positionen auf Augenhöhe zu verhandeln. Damit verletzt der Gesetzgeber auch nicht die staatliche Pflicht zur Neutralität. Es ist ihm gerade nicht verwehrt, die Rahmenbedingungen im Tarifvertragsrecht zu ändern, um Parität wiederherzustellen.