Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 24. Januar 2023 zum Aktenzeichen 2 BvE 5/18 die Anträge der Fraktion Alternative für Deutschland (AfD) im Deutschen Bundestag verworfen, die sich im Wege des Organstreitverfahrens gegen den Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens zur Erhöhung des Gesamtvolumens der staatlichen Parteienfinanzierung („absolute Obergrenze“) richteten. Die Antragstellerin rügte, dass der Deutsche Bundestag sie durch den Ablauf des Verfahrens zur Verabschiedung dieses Gesetzes in ihren Fraktionsrechten verletzt habe. Die Anträge sind unzulässig, weil ein statthafter Antragsgegenstand beziehungsweise die Antragsbefugnis fehlt.
Aus der Pressemitteilung des BVerfG Nr. 10/2023 vom 24. Januar 2023 ergibt sich:
Sachverhalt:
Die Antragstellerin begehrt im Wege des Organstreitverfahrens die Feststellung der Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte durch das Verfahren zur Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze vom 10. Juli 2018 (Hauptantrag zu 1.), die Feststellung der Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzes (Hauptantrag zu 2.), hilfsweise die Feststellung der Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte durch den Erlass (Antrag zu 3a.) sowie weiter hilfsweise durch die „Produktion“ dieses Gesetzes (Antrag zu 3b.).
Am 5. Juni 2018 kündigten die parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen von CDU/CSU und SPD die Einbringung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze in den Deutschen Bundestag und dessen Aufsetzung auf die Tagesordnung des Plenums für Freitag, den 8. Juni 2018, an. Regelungsgegenstand des Gesetzes war insbesondere die Erhöhung der absoluten Obergrenze der staatlichen Parteienfinanzierung von 165 Millionen Euro (Stand 2018) auf 190 Millionen Euro ab dem Jahr 2019. Ebenfalls am 5. Juni 2018 teilte die Vorsitzende des Ausschusses für Inneres und Heimat mit, dass die Tagesordnung der Sitzung des Ausschusses am Folgetag um einen noch unbezifferten Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und SPD zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze erweitert werde. Am 8. Juni 2018 wurde der Gesetzentwurf nach einer mehrheitlich beschlossenen Änderung der Tagesordnung in erster Lesung im Plenum des Deutschen Bundestages beraten und an den Ausschuss für Inneres und Heimat überwiesen. Der Ausschuss führte am Montag, dem 11. Juni 2018, eine Anhörung von sieben Sachverständigen durch. Am 15. Juni 2018 erfolgten nach einer mehrheitlich gebilligten Änderung der Tagesordnung die zweite und dritte Lesung des Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag.
Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass der Antragsgegner durch die unübliche Verkürzung des parlamentarischen Verfahrens zur Verabschiedung des Gesetzes auf nur neun Werktage ihre aus dem Demokratieprinzip folgenden verfassungsmäßigen Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte als größte Oppositionsfraktion im Deutschen Bundestag verletzt habe.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
Die Anträge sind unzulässig.
Von den Hauptanträgen bezieht sich nur der Antrag zu 1. auf einen statthaften Antragsgegenstand.
Bei dem Organstreit handelt es sich um eine kontradiktorische Parteistreitigkeit; er dient maßgeblich der gegenseitigen Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen oder ihren Teilen in einem Verfassungsrechtsverhältnis, nicht hingegen der Kontrolle der objektiven Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Organhandelns. Gemäß § 64 Abs. 1 BVerfGG ist der Antrag nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, dass er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist.
Gemessen hieran hat der Hauptantrag zu 1. einen im Organstreitverfahren statthaften Antragsgegenstand. Der Hauptantrag zu 2. verkennt demgegenüber das kontradiktorische Wesen des Organstreits.
Mit dem Hauptantrag zu 1. wendet sich die Antragstellerin gegen die „überraschend angesetzte Durchführung eines unüblich verkürzten parlamentarischen Verfahrens zur Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze“. Der Antrag benennt zwar anschließend als konkret gerügten Verfahrensschritt die Durchführung einer öffentlichen Expertenanhörung am 11. Juni 2018. Dieser soll aber, wie sich aus der Formulierung „insbesondere“ ergibt, nur die gerügte Überraschung und Verkürzung illustrieren, nicht hingegen den Antragsgegenstand auf diesen Verfahrensschritt beschränken. Daher richtet sich der Antrag gegen die Durchführung des Gesetzgebungsverfahrens in seiner Gesamtheit und hat somit eine rechtserhebliche Maßnahme im Sinne von § 64 Abs. 1 BVerfGG zum Gegenstand.
Der Hauptantrag zu 2. ist dagegen nicht statthaft. Ziel des Antrags ist die Feststellung der Grundgesetzwidrigkeit des Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze 2018. In der Sache zielt der Antrag damit auf die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit und die Nichtigerklärung dieses Gesetzes. Das Organstreitverfahren umfasst jedoch keine derartige objektive Normenkontrolle.
Der Antragstellerin fehlt es hinsichtlich des Hauptantrags zu 1. an der Antragsbefugnis.
Für die Zulässigkeit eines Organstreitverfahrens erforderlich, aber auch ausreichend ist es, dass die von dem Antragsteller behauptete Verletzung oder unmittelbare Gefährdung seiner verfassungsmäßigen Rechte unter Beachtung der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäbe nach dem vorgetragenen Sachverhalt möglich erscheint. Gemäß § 64 Abs. 2 BVerfGG ist im Antrag die Bestimmung des Grundgesetzes zu bezeichnen, gegen die durch die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung verstoßen wird. Der Streitgegenstand im Organstreitverfahren wird nicht allein durch das angegriffene Verhalten des Antragsgegners, sondern auch durch die Bestimmungen des Grundgesetzes begrenzt, gegen die diese Maßnahme oder Unterlassung verstoßen haben soll. Das Bundesverfassungsgericht ist an diese Begrenzung des Streitstoffs gebunden.
Nach diesen Maßstäben ist die Antragstellerin nicht antragsbefugt.
Der Verweis der Antragstellerin auf das in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG verankerte Demokratieprinzip genügt den Anforderungen an die substantiierte Darlegung der Möglichkeit einer Verletzung ihrer Organrechte im parlamentarischen Verfahren nicht.
Zwar hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass der verfassungsrechtliche Schutz der Opposition im Demokratieprinzip gemäß Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG sowie Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG wurzelt. Das individuelle Recht zum parlamentarischen Opponieren gründet jedoch in der in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG garantierten Freiheit und Gleichheit der Abgeordneten, die als Vertreter des ganzen Volkes an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind. Dies gilt auch für Fraktionen, deren Rechtsstellung sich aus der Rechtsstellung der Abgeordneten ableitet und daher ebenfalls in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG ihre verfassungsrechtliche Grundlage findet.
Die Antragstellerin hat in ihrem schriftsätzlichen Vorbringen die vorstehend dargestellte Rechtsprechung des Senats vollständig außer Acht gelassen. In der mündlichen Verhandlung hat ihr Verfahrensbevollmächtigter die behauptete „bruchlose Ableitbarkeit“ der geltend gemachten Beteiligungsrechte aus Art. 20 Abs. 1 bis 3 GG nicht überzeugend darzulegen vermocht. Insbesondere wird nicht deutlich, inwieweit aus dem allgemeinen Grundsatz effektiver Opposition einzelne, konkret benennbare Mitwirkungsrechte im Gesetzgebungsverfahren gefolgert werden könnten. Vor allem aber verhält sich die Antragstellerin nicht dazu, dass nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats die Beteiligungsrechte der Abgeordneten und Fraktionen im Gesetzgebungsverfahren ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG finden. Die Bezugnahme allein auf das Demokratieprinzip genügt zur Begründung einzelner Beteiligungsrechte im parlamentarischen Verfahren nicht.
Ob der Antragsgegner durch die Ausgestaltung des Verfahrens zum Erlass des Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze Rechte der Antragstellerin aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt hat, muss daher offenbleiben.
Der Prüfung einer möglichen Verletzung der Beteiligungsrechte der Antragstellerin aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG steht entgegen, dass sie diese Vorschrift nicht in einer § 64 Abs. 2 BVerfGG genügenden Weise als verletzte Bestimmung des Grundgesetzes bezeichnet und damit den Streitgegenstand konkretisiert hat. Sie hat im Rahmen der Antragsbegründung erklärt, ihr stehe abgeleitet „aus dem Demokratieprinzip gemäß Art. 20 Abs. 1 bis 3 GG das Recht zu, das Gesetzgebungsverfahren (…) sachkundig, wohlvorbereitet und aufgrund eigener, sorgfältiger Überlegungen und mithin in Gemäßheit der Vorgaben aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG zu begleiten“. Eine Bezeichnung von Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG als diejenige Norm, gegen die die beanstandete Maßnahme des Antragsgegners verstoßen habe, fehlt. Den Hinweis des Senats in der mündlichen Verhandlung, dass nach seiner bisherigen Rechtsprechung die hier relevanten Abgeordneten- und Fraktionsrechte ihre Grundlage in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG finden, hat die Antragstellerin ebenfalls nicht zum Anlass genommen, sich auf diese Bestimmung als verletzte Verfassungsnorm im Sinne von § 64 Abs. 2 BVerfGG zu berufen. Vor diesem Hintergrund kommt eine Auslegung des Vorbringens der Antragstellerin, die über die von ihr wiederholt geäußerte Eingrenzung des Streitgegenstands auf die Prüfung eines Verstoßes gegen das Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1 bis 3 GG hinausgeht, nicht in Betracht. Bei § 64 Abs. 2 BVerfGG handelt es sich um zwingendes Verfahrensrecht mit der Folge, dass der Prüfungsumfang des Bundesverfassungsgerichts im Organstreitverfahren nicht über die als verletzt bezeichnete Bestimmung des Grundgesetzes hinausreicht.
Soweit sich die Antragstellerin auf ein „Recht auf politische Waffengleichheit im Gesetzgebungsverfahren gegenüber der Regierung beziehungsweise der Regierungsmehrheit“ beruft, fehlt es nicht nur an der substantiierten Darlegung, dass ein solches Recht von Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG umfasst sein könnte, sondern auch dazu, dass diese Norm durch den Antragsgegner verletzt worden ist. Sollte die Antragstellerin den Zeitraum vor der Einbringung einer Gesetzesinitiative in den Deutschen Bundestag im Blick haben, erschließt sich nicht, inwieweit dadurch Beteiligungsrechte der Antragstellerin betroffen sein können. Bei der Erarbeitung eines Gesetzentwurfs handelt es sich um einen regierungs- oder fraktionsinternen Prozess, in dem Beteiligungsrechte der Abgeordneten beziehungsweise der anderen Fraktionen grundsätzlich nicht bestehen. Sollte sie sich durch die Abläufe nach der Einbringung des Gesetzesentwurfs in ihrem Recht auf Waffengleichheit verletzt sehen, reicht ihr Vortrag nicht über die Rüge einer Verletzung der sich nach ihrer Auffassung unmittelbar aus dem Demokratieprinzip ergebenden Beteiligungsrechte hinaus.
Auch soweit die Antragstellerin schließlich ein Recht auf Initiierung „einer öffentlichen Kampagne“ gegen den Gesetzentwurf geltend macht, hat sie nicht dargelegt, inwieweit ein dahingehendes Recht der Fraktionen im Deutschen Bundestag besteht. Sie setzt sich schon nicht damit auseinander, dass gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG die politischen Parteien zur Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes berufen sind, während den Fraktionen gemäß § 55 Abs. 1 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages die Mitwirkung an der Erfüllung der parlamentarischen Aufgaben obliegt. Davon ausgehend fehlt es an der Darlegung, inwieweit der Antragstellerin als Fraktion im Deutschen Bundestag das Recht zusteht, „eine öffentliche Kampagne“ parallel zum Gesetzgebungsverfahren in Gang zu setzen, um die „außerhalb des Bundestages befindliche allgemeine und eigentliche Öffentlichkeit anzusprechen“.