Das Oberlandesgericht Oldenburg hat am 23.07.2021 zum Aktenzeichen 1 Ws 190/21 die Entscheidung des Schwurgerichts beim LG Oldenburg bestätigt, wonach die Anklage gegen ehemalige Mitarbeiter des Oldenburger Klinikums nur zum Teil zur Hauptverhandlung zugelassen wird.
Aus der Pressemitteilung des OLG Oldenburg vom 27.07.2021 ergibt sich:
Im Einzelnen:
Nach der Verurteilung des ehemaligen Krankenpflegers Niels H. zu lebenslanger Haft hatte die Staatsanwaltschaft Oldenburg im September 2019 Anklage gegen – teils ehemalige – Mitarbeiter des Oldenburger Klinikums erhoben. Die Anklage wirft diesen Mitarbeitern in Bezug auf drei Todesfälle im Klinikum Oldenburg und in Bezug auf 60 Todesfälle im Klinikum Delmenhorst Totschlag durch Unterlassen vor.
Das Schwurgericht des Landgerichts Oldenburg hat die Anklage nur in Bezug auf die drei Todesfälle in Oldenburg zugelassen. Wegen der 60 Fälle in Delmenhorst hat das Schwurgericht die Anklage dagegen nicht zugelassen. Für die Mitarbeiter des Oldenburger Klinikums habe gegenüber den Patienten in Delmenhorst keine rechtliche Pflicht zum Handeln bestanden. Es fehle die sogenannte „Garantenstellung“, die für die Verurteilung bei Unterlassungsdelikten (hier: Totschlag durch Unterlassen) rechtlich erforderlich sei.
Gegen diese Entscheidung haben die Staatsanwaltschaft Oldenburg sowie mehrere Nebenkläger Beschwerde zum Oberlandesgericht eingelegt.
Der 1. Strafsenat hat jetzt die Entscheidung des Schwurgerichts bestätigt. Eine Strafbarkeit der Klinikmitarbeiter für die Fälle in Delmenhorst komme nicht in Betracht. Sie hätten zwar unterlassen, Verdachtsmomente gegen Niels H. in das Arbeitszeugnis aufzunehmen. Ein Unterlassen sei aber nur dann strafbar, wenn es aktivem Tun gleichzustellen sei. An eine solche strafrechtliche Gleichstellung von Tun und Unterlassen seien hohe Anforderungen zu stellen.
Erforderlich wäre dafür im konkreten Falle eine „Garantenstellung“ der Klinikmitarbeiter in Oldenburg für die Patienten in Delmenhorst gewesen. Eine solche Garantenstellung liege jedoch nicht vor.
Es fehle insofern an einem Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen dem Verschweigen der Verdachtsmomente im Arbeitszeugnis von Niels H. und den von diesem begangenen Taten. Denn die Pflicht, ein zutreffendes Arbeitszeugnis zu erstellen, diene den Interessen des Arbeitnehmers und des zukünftigen Arbeitsgebers, nicht aber dem Schutz Dritter oder der Allgemeinheit.
Die Anklage wird jetzt in dem vom Schwurgericht gebilligten Umfang vor dem Landgericht verhandelt.