Entscheidung des Amtsgerichts zu Inkassokosten ist verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 18. Juli 2024 zum Aktenzeichen 1 BvR 1314/23 entschieden, dass eine amtsgerichtliche Entscheidung zu Inkassokosten verfassungswidrig ist.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen ein amtsgerichtliches Urteil, mit dem die Beschwerdeführerin unter anderem zur Zahlung von Inkassokosten verurteilt wurde.

Die Beschwerdeführerin sagte einen für den 21. Oktober 2021 in einer Fußpflegepraxis in (…) ((…)-GbR) vereinbarten Behandlungstermin am gleichen Morgen wegen gefährlichen Unwetters telefonisch ab.

In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der (…)-GbR heißt es in § 3 Abs. 4: „Kurzfristig abgesagte Termine werden wir, egal warum der Termin abgesagt wurde, wie z.B. Krank, Arzttermin, Streik der öffentlichen Verkehrsmittel oder Auto sprang nicht an, mit einer Gebühr von 50% der eingeplanten Zeit zum Satz eine Minute/ ein Euro berechnen. Absagen 4 Stunden vor dem Termin werden als voller Ausfall berechnet.“

Die (…)-GbR beauftragte nach Versand einer Rechnung und Mahnung an die Beschwerdeführerin ein Inkassounternehmen mit der Beitreibung einer in einem Ausfallhonorar bestehenden Forderung, obwohl die Beschwerdeführerin ihr nach Erhalt der Rechnung schriftlich mitgeteilt hatte, im Hinblick auf das Unwetter wegen höherer Gewalt keinen Schadensersatz zu schulden. Nach Erhalt der Mahnung hatte die Beschwerdeführerin der (…)-GbR erneut schriftlich mitgeteilt, dass sie aus den genannten Gründen keinen Schadensersatz schulde und die Mahnung als gegenstandslos betrachte. Später erhob die (…)-GbR Klage gerichtet auf Verurteilung der Beschwerdeführerin zur Zahlung des Ausfallhonorars nebst Zinsen und Inkassokosten.

Mit Urteil vom 20. April 2023 hat das Amtsgericht Düsseldorf im vereinfachten Verfahren gemäß § 495a ZPO entschieden, dass die Beschwerdeführerin an die (…)-GbR das geltend gemachte Ausfallhonorar in Höhe von 30 Euro nebst Zinsen und 27,49 Euro unverzinsliche Kosten zu zahlen hat.

Auf einen Tatbestand hat das Amtsgericht gemäß § 313a Abs. 1 ZPO verzichtet. Die Berufung hat es nicht zugelassen. Zum Zinsanspruch und dem Anspruch auf die geltend gemachten vorgerichtlichen Inkassokosten hat das Amtsgericht lediglich ausgeführt, der Anspruch folge aus den §§ 280 Abs. 1, 286, 288 Abs. 2 BGB unter dem Gesichtspunkt des Verzuges. Eine weitere Begründung der Entscheidung über die Inkassokosten ist dem Urteil nicht zu entnehmen.

Die Beschwerdeführerin hat gegen das Urteil die Anhörungsrüge erhoben.

Das Amtsgericht habe ihr entscheidungserhebliches Vorbringen, wonach sie die Hauptforderung gegenüber der (…)-GbR stets und mehrfach bestritten und diese mit der Beauftragung des Inkassounternehmens ihre Schadensminderungspflicht verletzt habe, nicht gewürdigt. Anderenfalls hätten die vorgerichtlichen Inkassokosten keinesfalls zugesprochen werden dürfen.

Die Anhörungsrüge hat das Amtsgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 9. Juni 2023 als unbegründet zurückgewiesen. Es hat dazu im Wesentlichen ausgeführt, eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sei nicht anzunehmen. Die vermeintlich übergangenen Tatsachen seien Rechtsansichten der Beschwerdeführerin. Es fehle auch an der Entscheidungserheblichkeit, da die erneut vorgebrachten Argumente der Beschwerdeführerin keine andere Entscheidung rechtfertigten.

Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf vom 20. April 2023 und den Beschluss vom 9. Juni 2023. Sie sieht sich durch diese Entscheidungen in ihrem Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Das Urteil vom 20. April 2023 greife zudem im Hinblick auf die körperliche Unversehrtheit der Beschwerdeführerin in den Schutzbereich von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein.

Sie habe die Gläubigerin mehrfach über Einwendungen gegen das geltend gemachte Ausfallhonorar informiert, so dass es sich um eine bestrittene Forderung gehandelt habe. Die (…)-GbR hätte eine Schadensminderungspflicht getroffen. Dies habe das Amtsgericht nicht erwogen, obwohl sie es ausdrücklich vorgetragen und in der Anhörungsrüge wiederholt habe.

Auch hinsichtlich der Hauptforderung des Ausfallhonorars habe sich das Amtsgericht in den Urteilsgründen weder mit dem Sachvortrag noch der rechtlichen Argumentation der Beschwerdeführerin auseinandergesetzt.

Das Urteil vom 20. April 2023 verletze auch den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, da die Beschwerdeführerin zur Zahlung des Ausfallhonorars verpflichtet worden sei, obwohl sie den Termin aus Sorge um ihre körperliche Unversehrtheit abgesagt habe.

Das angegriffene Urteil und der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.

Das Recht auf rechtliches Gehör folgt aus dem Rechtsstaatsgedanken. Der Einzelne hat das Recht, durch rechtliches und tatsächliches Vorbringen Einfluss auf das Prozessergebnis zu nehmen (vgl. BVerfGE 60, 175 <210 ff.>; 64, 135 <143 f.>; 65, 227 <234>; 84, 188 <190>; 86, 133 <144>; 107, 395 <409>; stRspr). Das entscheidende Gericht muss die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen (vgl. BVerfGE 21, 191 <194>; 96, 205 <216>; stRspr).

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht diese Maßstäbe auch erfüllt. Art. 103 Abs. 1 GG ist indes verletzt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass ein Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (vgl. BVerfGE 25, 137 <140 f.>; 85, 386 <404>; 96, 205 <216 f.>; stRspr).

Bei der Abfassung seiner Entscheidungsgründe hat das Gericht eine gewisse Freiheit. Es ist nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen ausdrücklich zu befassen, insbesondere nicht bei letztinstanzlichen, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbaren Entscheidungen. Wenn aber ein bestimmter Vortrag einer Partei den Kern des Parteivorbringens darstellt und für den Prozessausgang eindeutig von entscheidender Bedeutung ist, ist das Gericht verpflichtet, die vorgebrachten Argumente zu erwägen. Ein Schweigen lässt hier den Schluss zu, dass der Vortrag der Prozesspartei nicht oder zumindest nicht hinreichend beachtet wurde, sofern der Vortrag nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfGE 47, 182 <187 ff.>; 86, 133 <145 f.>; 88, 366 <375 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Mai 2022 – 2 BvR 1982/20 -, Rn. 41; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Juni 2023 – 2 BvR 2139/21 -, Rn. 15).

Diesen Maßstäben werden das Urteil des Amtsgerichts und auch der Beschluss, mit dem es die Anhörungsrüge zurückgewiesen hat, nicht gerecht. Dass grundsätzlich eine Schadensminderungspflicht besteht, aufgrund derer Inkassokosten im Fall eines erkennbar zahlungsunwilligen Schuldners nicht als Schadensersatz erstattungsfähig sind, ist anerkannt (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 7. Dezember 2022 – VIII ZR 81/21 -, NJW 2023, 1368; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Juni 2023 – 2 BvR 2139/21 -, Rn. 22 f. auch zu möglichen Rückausnahmen, deren Heranziehung einer Begründung bedurft hätte). Die Beschwerdeführerin hat ihr Bestreiten der Hauptforderung seit Rechnungsstellung durch die (…)-GbR in das Zentrum ihres Vortrags gestellt und die Ersatzfähigkeit der Inkassokosten wegen einer Schadensminderungspflicht der Gläubigerin in Frage gestellt. Sie hat dies durch Fettdruck und Verwendung von anderen bestärkenden Hervorhebungen (drei Ausrufungszeichen u.s.w.) besonders betont. Das Amtsgericht ist jedoch weder in seinem Urteil noch in dem Beschluss, mit dem es die Anhörungsrüge zurückgewiesen hat, darauf eingegangen, dass es sich bei dem Ausfallhonorar um eine stets bestrittene Forderung handelte. Auch eine mögliche Schadensminderungspflicht der Gläubigerin hat es nicht angesprochen. Der Vortrag der Beschwerdeführerin war erheblich und konnte daher in den angegriffenen Entscheidungen nicht als unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert unerwähnt bleiben. Die Gehörsverletzung war auch entscheidungserheblich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Amtsgericht eine andere, für die Beschwerdeführerin günstigere Entscheidung getroffen hätte, wenn es deren Vortrag zur Kenntnis genommen und gewürdigt hätte. Die Begründung des Amtsgerichts im Urteil vom 20. April 2023, wonach die Nebenforderungen allesamt gemäß den „§§ 280 Abs. 1, 286, 288 Abs. 2 BGB […] unter dem Gesichtspunkt des Verzuges“ ersatzfähig seien, zeigt, dass das Amtsgericht die Einwände der Beschwerdeführerin überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hat, obwohl die Beschwerdeführerin dazu ausführlich vorgetragen hat. In den Gründen des die Anhörungsrüge zurückweisenden Beschlusses finden die Inkassokosten und die Einwände der Beschwerdeführerin überhaupt keine Erwähnung. Die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG wurde durch den Beschluss vom 9. Juni 2023 nicht beseitigt, sondern vertieft.