Einstweilige Verfügung in äußerungsrechtlicher Angelegenheit erst nach vorheriger Anhörung des Gegners

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 06. Februar 2021 zum Aktenzeichen 1 BvR 249/21 entschieden, dass der Erlass einer einstweiligen Verfügung in einer äußerungsrechtlichen Angelegenheit ohne den Beschwerdeführer zuvor anzuhören, verfassungswidrig ist.

Die hier maßgeblichen Rechtsfragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.

Der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit ist Ausprägung der Rechtsstaatlichkeit und des allgemeinen Gleichheitssatzes im Zivilprozess und sichert verfassungsrechtlich die Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien vor Gericht. Das Gericht muss den Prozessparteien im Rahmen der Verfahrensordnung gleichermaßen die Möglichkeit einräumen, alles für die gerichtliche Entscheidung Erhebliche vorzutragen und alle zur Abwehr des gegnerischen Angriffs erforderlichen prozessualen Verteidigungsmittel selbständig geltend zu machen. Die prozessuale Waffengleichheit steht dabei im Zusammenhang mit dem Gehörsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 1 GG, der eine besondere Ausprägung der Waffengleichheit ist. Als prozessuales Urrecht gebietet dieser, in einem gerichtlichen Verfahren der Gegenseite grundsätzlich vor einer Entscheidung Gehör und damit die Gelegenheit zu gewähren, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluss zu nehmen. Entbehrlich ist eine vorherige Anhörung nur in Ausnahmefällen. Voraussetzung der Verweisung auf eine nachträgliche Anhörung ist, dass ansonsten der Zweck des einstweiligen Verfügungsverfahrens vereitelt würde. Im Presse- und Äußerungsrecht kann jedenfalls nicht als Regel von einer Erforderlichkeit der Überraschung des Gegners bei der Geltendmachung von Ansprüchen ausgegangen werden.

Von der Frage der Anhörung und Einbeziehung der Gegenseite zu unterscheiden ist die Frage, in welchen Fällen über den Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann. Für die Beurteilung, wann ein dringender Fall im Sinne des § 937 Abs. 2 ZPO vorliegt und damit auf eine mündliche Verhandlung verzichtet werden kann, haben die Fachgerichte einen weiten Wertungsrahmen. Die Annahme einer Dringlichkeit setzt freilich sowohl seitens des Antragstellers als auch seitens des Gerichts eine entsprechend zügige Verfahrensführung voraus.

Gleichwohl wird in äußerungsrechtlichen Angelegenheiten angesichts der Eilbedürftigkeit nicht selten zunächst ohne mündliche Verhandlung entschieden werden müssen. Der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung berechtigt ein Gericht jedoch nicht dazu, die Gegenseite bis zur Entscheidung über den Verfügungsantrag aus dem Verfahren herauszuhalten. Eine stattgebende Entscheidung über den Verfügungsantrag kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Gegenseite die Möglichkeit hatte, auf das mit dem Antrag und weiteren an das Gericht gerichteten Schriftsätzen geltend gemachte Vorbringen zu erwidern.

Dabei ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Gericht in solchen Eilverfahren auch die Möglichkeiten einbezieht, die es der Gegenseite vorprozessual erlauben, sich zu dem Verfügungsantrag zu äußern, wenn sichergestellt ist, dass solche Äußerungen vollständig dem Gericht vorliegen. Demgegenüber ist dem Antragsgegner Gehör zu gewähren, wenn er nicht in der gehörigen Form abgemahnt wurde oder der bei Gericht eingereichte Antrag auf eine Erwiderung des Antragsgegners inhaltlich eingeht und repliziert oder sonst mit ergänzendem Vortrag begründet wird.

Nach diesen Maßstäben verletzt der angegriffene Beschluss die Beschwerdeführerin offenkundig in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

Durch Erlass der einstweiligen Verfügung ohne jegliche Einbeziehung der Beschwerdeführerin war vorliegend keine Gleichwertigkeit ihrer prozessualen Stellung gegenüber der Verfahrensgegnerin gewährleistet. Dass die zweiseitige Abmahnung des Antragstellers gegenüber der Beschwerdeführerin nicht kongruent mit der siebenseitigen Antragsschrift gegenüber dem Gericht war, liegt auf der Hand. Zwar hatte die Beschwerdeführerin eine Schutzschrift hinterlegt. Inhaltlich konnte sie sich dabei nur an der sehr knapp gefassten Abmahnung des Antragstellers orientieren. Eine Stellungnahme zu den weitergehenden Ausführungen des Antragstellers, die dieser erst in der Antragsschrift gemacht hat, war der Beschwerdeführerin nicht möglich. Der Verzicht der Beschwerdeführerin auf eine Stellungnahme zur Abmahnung kann auch nicht als Verzicht auf eine prozessual gebotene Anhörung durch das Gericht missverstanden werden, zumal die Beschwerdeführerin in ihrer Schutzschrift ausdrücklich um die Gewährung rechtlichen Gehörs ersuchte. Hinzu kommt, dass der Antragsteller seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mehr als drei Wochen nach Ablauf der der Beschwerdeführerin gesetzten Frist zur Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung einreichte und auch das Landgericht 12 Tage zwischen Eingang des Antrags und Bescheidung desselben benötigte.

Dass die Gewährung rechtlichen Gehörs zentrale Bedeutung für ein rechtsstaatliches und faires gerichtliches Verfahren besitzt, hat die Kammer dem Landgericht Berlin in nunmehr drei jüngeren Entscheidungen mitgeteilt. Auch vorliegend wäre die Einbeziehung der Beschwerdeführerin durch das Gericht vor Erlass der Verfügung offensichtlich geboten gewesen. Es bestand hinreichend Zeit hierfür. Unzulässig ist es jedoch, wegen einer gegebenenfalls durch die Anhörung des Antragsgegners befürchteten Verzögerung oder wegen einer durch die Stellungnahme erforderlichen, arbeitsintensiven Auseinandersetzung mit dem Vortrag des Antragsgegners bereits in einem frühen Verfahrensstadium gänzlich von einer Einbeziehung der Gegenseite abzusehen und sie stattdessen bis zum Zeitpunkt der auf Widerspruch hin anberaumten mündlichen Verhandlung mit einem einseitig erstrittenen gerichtlichen Unterlassungstitel zu belasten.