Einstweilige Verfügung auf Weiterbeschäftigung nach abgeschlossenem Kündigungsschutzverfahren

06. Januar 2022 -

Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 17.02.2021 ­zum Aktenzeichen 3 SaGa 2/21 entschieden, dass eine auf Weiterbeschäftigung gerichtete einstweilige Verfügung regelmäßig ausscheidet, wenn der klagende Arbeitnehmer es unterlassen hat, den Weiterbeschäftigungsantrag zusammen mit dem Kündigungsschutzantrag im normalen Erkenntnisverfahren geltend zu machen.

Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Arbeitnehmer bei Einreichung der Kündigungsschutzklage aus rechtlichen oder tatsäch­lichen Gründen gehindert war, zeitgleich einen Weiterbeschäftigungsantrag zu stellen.

Ein typischer An­wendungsfall ist insoweit eine zunächst bestehende Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.05.2005 beschäftigt. Zuletzt war er als Mitarbeiter des Ordnungsamts tätig. Sein letztes monatliches Bruttogehalt betrug 4.518,56 EUR.

Mit Schreiben vom 29.01.2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos und führte zur Begründung an, der Kläger habe die Ableistung von Rufbereitschaft im Rahmen des Winterdienstes bei einer Tochtergesellschaft der Beklagten vorgetäuscht. Auf die vom Kläger erhobene Kündigungsschutzklage stellte das Arbeitsgericht Aachen mit Urteil vom 04.07.2019 (7 Ca 316/19) fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten beendet worden sei. Die Berufung der Beklagten wies das Landesarbeitsgericht Köln mit Urteil vom 19.11.2020 (8 Sa 558/19) zurück und ließ die Revision nicht zu. Die Frist zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72a Abs. 2 ArbGG ist derzeit noch nicht abgelaufen. Nach dem Vortrag in der mündlichen Berufungsverhandlung im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren erwägt die Beklagte die Einlegung dieses Rechtsbehelfs.

Während des vorgenannten erstinstanzlichen Kündigungsschutzverfahrens war der Kläger dauerhaft arbeitsunfähig. Die Arbeitsunfähigkeit endete am 14.07.2019. Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 17.07.2020 forderte der Kläger die Beklagte auf, ihn weiter zu beschäftigen. Das lehnte die Beklagte ab. Der Kläger erhob daraufhin am 08.08.2020 eine weitere arbeitsgerichtliche Klage (2 Ca 2422/19) und beantragte, die Beklagte zu verurteilen, ihn als Mitarbeiter des Ordnungsamts der Beklagten zu einem monatlichen Bruttoentgelt von 4.518,56 EUR weiter zu beschäftigen. Nach erfolglosem Gütetermin vom 26.08.2019 bat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 20.09.2019 um Fortführung des Verfahrens. Das Arbeitsgericht bat seinerseits mit Schreiben vom 24.09.2019 die Parteien um Mitteilung, sobald das Kündigungsschutzverfahren vor der 7. Kammer(7 Ca 316/19) rechtkräftig beendet sei. Daraufhin teilte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit Schriftsatz vom 25.09.2019 mit, dass gegen das Urteil im vorgenannten Verfahren Berufung eingelegt worden sei. In der Folgezeit wurde das Verfahren2 Ca 2422/19 nicht aktiv weiter betrieben. Erstmalig mit Schriftsatz vom 20.11.2020 bat der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Bezugnahme auf das zweitinstanzliche Urteil im Verfahren 8 Sa 558/19 erneut um Fortsetzung des Verfahrens. Daraufhin beraumte das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 24.11.2020 Termin zur Kammerverhandlung auf den 15.04.2021 an.

Mit seiner am 30.12.2020 beim Arbeitsgericht Aachen eingegangenen Antragsschrift begehrt der Kläger im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Verurteilung der Beklagten zu seiner Weiterbeschäftigung als Mitarbeiter des Ordnungsamtes nach Gruppe 9c, Stufe 6 des TVöD-Entgelttarifvertrages.

Anspruchsgrundlage ist der nach der Grundsatzentscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27.02.1985 (GS 1/84 – NZA 1985, 702) und in der Folge in ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts judizierte sog. allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch (vgl. zuletzt BAG, Urteil vom 27.05.2020 – 5 AZR 247/19, NZA 2020, 1169; BAG, Urteil vom 21.09.2017 – 2 AZR 57/17, NZA 2017, 1524). Danach begründet die Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsprozesses zunächst ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers für die Dauer des Kündigungsprozesses. Dieses überwiegt in der Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers bis zu dem Zeitpunkt, in dem im Kündigungsprozess ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ergeht. Solange ein solches Urteil besteht, kann die Ungewissheit des Prozessausgangs für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers dann nicht mehr begründen. Hinzukommen müssen dann vielmehr zusätzliche Umstände, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen.

Nach dieser Rechtsprechung bestand seit dem klagestattgebenden, erstinstanzlichen Urteil im Kündigungsrechtsstreit vom 04.07.2019 ein überwiegendes Beschäftigungsinteresse des Klägers. Dieses wurde sodann durch die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln im Berufungsverfahren 8 Sa 558/19 nochmals bekräftigt. Konkrete genteilige Umstände, die im vorliegenden Fall ein gleichwohl überwiegendes Arbeitgeberinteresse begründen könnten, hat die Beklagte unstreitig nicht vorgetragen. Demnach ist der erforderliche Verfügungsanspruch zweifelsfrei gegeben.

Dieser Anspruch ist auch ausnahmsweise im einstweiligen Rechtsschutz durchsetzbar. Zwar scheidet eine auf Weiterbeschäftigung gerichtete einstweilige Verfügung regelmäßig aus, wenn der klagenden Arbeitnehmer es unterlassen hat, den Weiterbeschäftigungsantrag zusammen mit dem Kündigungsschutzantrag im normalen Erkenntnisverfahren geltend zu machen (vgl. LAG Köln, Beschluss vom 18.08.2000 – 12 Ta 189/00, NZA-RR 2001, 387; Küttner/Kania, Personalbuch, 27. Aufl., Weiterbeschäftigungsanspruch Rn. 22; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 11. Aufl., Rn. 2287). Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Arbeitnehmer bei Einreichung der Kündigungsschutzklage aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gehindert war, zeitgleich einen Weiterbeschäftigungsantrag zu stellen (vgl. LAG Hamm, Urteil vom 09.06.2006 – 19 Sa 880/06, NZA-RR 2007, 17). Ein typischer Anwendungsfall ist insoweit eine zunächst bestehende Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 24.07.2014 – 3 SaGa 2/14, BeckRS 2014, 73117).So liegt der Fall hier. Der Kläger war unstreitig während des gesamten erstinstanzlichen Kündigungsschutzverfahrens arbeitsunfähig krank. Die Geltendmachung des Weiterbeschäftigungsbegehrens war daher erstmalig nach Wiedergenesung am 15.07.2019 überhaupt möglich. Eine unterlassene Antragstellung im Kündigungsschutzverfahren kann dem Kläger daher nicht vorgehalten werden. Das Gleiche gilt für den Einwand der Beklagten, der Kläger hätte sodann sein Weiterbeschäftigungsbegehren in der Berufungsinstanz geltend machen müssen. Auch hierfür ist keine Rechtgrundlage erkennbar. Im Gegenteil gilt vielmehr der Grundsatz, dass Ansprüche regelmäßig in der ersten arbeitsgerichtlichen Instanz einzuklagen sind. Die Klageerweiterung in der Berufungsinstanz bildet demgegenüber die prozessuale Ausnahme.

Der titulierte Anspruch auf Weiterbeschäftigung ist auf eine Beschäftigung nach der Entgeltgruppe 9b der Entgeltordnung zum TVöD gerichtet. Unstreitig war der Kläger zuletzt als Mitarbeiter des Ordnungsamtes der Beklagten tätig. Mangels einer anderweitigen Beschäftigungszuweisung seitens der Beklagten stellt diese Tätigkeit somit die aktuelle vertragsgemäße Beschäftigung des Klägers dar. Die Beschäftigung hat mit Tätigkeiten der Entgeltgruppe 9b der Entgeltordnung zum TVöD zu erfolgen. Dies ist die nach Vortrag der Beklagten zutreffende Eingruppierung des Klägers. Für das Vorliegen der Voraussetzungen einer höheren Eingruppierung fehlt jeglicher Sachvortrag des Klägers.

Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ist auch der erforderliche Verfügungsgrund gegeben. Die Dringlichkeit folgt hier aus dem anderenfalls eintretenden endgültigen Rechtsverlust. Der Darlegung eines weitergehenden Nachteils bedarf es grundsätzlich nicht (vgl. LAG Hamm, Urteil vom 09.06.2006 – 19 Sa 880/06, NZA-RR 2007, 17; LAG Hessen, Urteil vom 03.03.2005 – 9 SaGa 2286/04, BeckRS 2005, 42832; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 11. Aufl., Rn. 2287; ebenso zu § 102 Abs. 5 BetrVG: LAG Köln, Urteil vom 26.11.2012 – 5 SaGa 14/12, juris). Das gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – der Kläger in zwei Instanzen im Kündigungsrechtstreit obsiegt und das Landesarbeitsgericht bei einer Einzelfallentscheidung die Revision nicht zugelassen hat.