Der Verfassungsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg in Stuttgart hat am 14.12.2020 zum Aktenzeichen 1 VB 64/17 entschieden, dass die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde gegen ein amtsgerichtliches Urteil durch das OLG Karlsruhe im Zusammenhang mit der Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes verfassungswidrig war.
Aus der Pressemitteilung des VerfGH BW vom 15.12.2020 ergibt sich:
Das OLG Karlsruhe hatte mit Beschluss vom 05.09.2017 den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen ein Urteil des AG Karlsruhe, durch das er wegen eines Rotlichtverstoßes verurteilt worden war, verworfen. Der Beschwerdeführer hatte insbesondere gerügt, dass ihm die Einsicht in die Zuverlässigkeit der Messung betreffende Unterlagen wie die sog. Lebensakte des Messgeräts sowohl von der zuständigen Ordnungswidrigkeitenbehörde als auch vom Amtsgericht versagt worden war.
Der VerfGH Stuttgart hat der Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts stattgegeben.
Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs ist die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung der durch die Verfassung des Landes Baden-Württemberg (LV) gewährten Rechte auf effektiven Rechtsschutz und den gesetzlichen Richter rügt, zulässig und begründet.
Die Rechtsbeschwerde hätte zugelassen werden müssen. Der mit der Entscheidung über die Zulassung befasste Einzelrichter hätte die Sache gemäß § 80a Abs. 3 OWiG auf den mit drei Richtern besetzten Bußgeldsenat übertragen müssen, um die Entscheidung über eine etwaige Vorlage an den BGH nach § 121 Abs. 2 GVG zu ermöglichen. Anlass hierzu habe die von der Rechtsprechung noch nicht abschließend und auch uneinheitlich beantwortete Frage gegeben, ob und unter welchen Voraussetzungen der Betroffene ein ungeschriebenes Recht auf Beiziehung von und Einsicht in behördliche Unterlagen zur technischen Verlässlichkeit standardisierter Messverfahren (wie die sog. Lebensakte des Messgeräts sowie weitere Unterlagen zu dessen Beschaffenheit und Verwendung) habe, selbst wenn das Gericht sie nach sorgfältiger Prüfung und unter Berücksichtigung seiner Amtsaufklärungspflicht für nicht beweiserheblich halte und deshalb ihre Anforderung von der Bußgeldbehörde ablehne.
Die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage nach Grund und Reichweite eines ungeschriebenen Rechts auf Beiziehung von und Einsicht in behördliche Unterlagen zur technischen Verlässlichkeit standardisierter Messverfahren werde in der Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet. BGH und BVerfG haben sich lediglich zu verwandten Fragen des Beweisrechts geäußert. Auf dieser Grundlage und aus einer spezifisch beweisrechtlichen Perspektive lehne ein Teil der Oberlandesgerichte einen solchen Verschaffungsanspruch ab. In den letzten Jahren vor dem streitgegenständlichen Beschluss haben jedoch mehrere Oberlandesgerichte die Ablehnung entsprechender Beweisanträge als Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens beanstandet.
Das Oberlandesgericht hätte sich in dieser Situation mit der Frage einer Vorlage an den BGH gemäß § 121 Abs. 2 GVG, § 79 Abs. 3 OWiG auseinandersetzen müssen. Zum Zwecke einer Entscheidung hierüber hätte es zugleich die Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zulassen müssen. Stattdessen habe das Oberlandesgericht eine Pflicht zur Divergenzvorlage ohne hinreichende Prüfung verneint.
Eine solche Anwendung der Vorschriften zur Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) zum Zwecke einer anschließenden Vorlage an den BGH (§ 121 Abs. 2 GVG) verletze die Garantie effektiven Rechtsschutzes sowie das Recht des Betroffenen auf den gesetzlichen Richter.
Als Folge der Aufhebung des Beschlusses müsse das OLG Karlsruhe über den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde erneut entscheiden.