Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt in Magdeburg hat am 25.01.2021 zum Aktenzeichen 3 R 2/21 entschieden, dass die Einschränkung des Bewegungsradius auf 15 Kilometer um das Gebiet der Stadt Halle (Saale) voraussichtlich rechtmäßig ist und daher bestehen bleibt.
Aus der Pressemitteilung: des OVG SA Nr. 1/2021 vom 26.01.2021 ergibt sich:
Mit der am 11.01.2021 in Kraft getretenen Zweiten Eindämmungsverordnung der Stadt Halle (Saale) vom 09.01.2021 (im Folgenden: 2. EindV) hat die Stadt Halle (Saale) für ihr Stadtgebiet festgestellt, dass innerhalb eines Zeitraumes von sieben Tagen die Rate der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 kumulativ den Wert von 200 je 100.000 Einwohner überschritten hat und diese Inzidenz mindestens über einen Zeitraum von fünf Tagen, seit dem 04.01.2021, andauert (§ 1 der 2. EindV). Gemäß § 7 Satz 1 der 2. EindV ist der Aufenthalt außerhalb des Radius von 15 Kilometern um das Gebiet der Stadt Halle (Saale) ohne triftigen Grund untersagt. Gemäß § 7 Satz 2 der 2. EindV bestimmt sich der Radius von 15 Kilometern als Umkreis ab der Grenze des Gebiets der Stadt Halle (Saale). Triftige Gründe im Sinne von § 7 Satz 1 der 2. EindV werden in § 7 Satz 3 der 2. EindV im Einzelnen aufgeführt. Der Antragsteller ist Einwohner der Stadt Halle (Saale), der Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren. Er wendet gegen § 7 der 2. EindV im Wesentlichen ein, diese verletze ihn in seiner Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG). Er fahre aus Freizeitgründen regelmäßig und mehrmals in der Woche in mehr als 15 km außerhalb des Hoheitsgebietes der Antragsgegnerin liegende Gebiete (Landschaften, Wälder, Flüsse oder Seen), die nicht touristisch geprägt seien. Die 2. EindV sei vom Oberbürgermeister der Antragsgegnerin erlassen worden, der dafür nicht sachlich zuständig sei. Zudem fehle der Antragsgegnerin für die streitige Norm die örtliche Zuständigkeit. Die Antragsgegnerin sei nicht befugt, die Bewegungsfreiheit ihrer Einwohner außerhalb ihres Stadtgebietes einzuschränken. Überdies sei § 7 der 2. EindV materiell rechtswidrig. So fehle es an einer tauglichen, hinreichend bestimmten Ermächtigungsgrundlage.
Das OVG Magdeburg hat den Antrag auf vorläufige Außervollzugsetzung der vom Antragsteller angegriffenen Regelung in § 7 der 2. EindV abgelehnt.
Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts erweist sich nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage die Regelung jedenfalls nicht als offensichtlich rechtswidrig. Rechtliche Grundlage für die angegriffene Regelung ist § 13 Abs. 2 der Neunten Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Sachsen-Anhalt vom 15.12.2020, zuletzt geändert durch Verordnung vom 22.01.2021 (im Folgenden: 9. SARS-CoV-2-EindV). Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 der 9. SARS-CoV-2-EindV werden die Landkreise und kreisfreien Städte auf der Grundlage der Regelungen des § 13 Abs. 1 der 9. SARS-CoV-2-EindV ermächtigt und verpflichtet, durch Rechtsverordnung lokale Maßnahmen, auch die Einschränkung des Bewegungsradius auf 15 Kilometer um den Wohnort, zu erlassen, soweit innerhalb eines Zeitraums von sieben Tagen die Rate der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 kumulativ den Wert von 200 je 100 000 Einwohner überschreitet und diese Inzidenz mindestens über einen Zeitraum von fünf Tagen andauert. Weiter bestimmt § 13 Abs. 2 Satz 2 der 9. SARS-CoV-2-EindV, dass von der Einschränkung des Satzes 1 Ausnahmen beim Vorliegen bestimmter triftiger Gründe festzulegen sind. Triftige Gründe sind insbesondere die Ausübung beruflicher, mandatsbezogener oder ehrenamtlicher Tätigkeiten, die Inanspruchnahme medizinischer Versorgungsleistungen oder die Wahrnehmung des Sorgerechts (§ 13 Abs. 2 Satz 3 der 9. SARS-CoV-2-EindV). Tagestouristische Ausflüge stellen explizit keinen triftigen Grund dar (§ 13 Abs. 2 Satz 4 der 9. SARS-CoV-2-EindV). Der Radius von 15 Kilometer bestimmt sich als Umkreis ab der Grenze der Gemeinde oder Verbandsgemeinde des Wohnortes der betroffenen Person (§ 13 Abs. 2 Satz 5 der 9. SARS-CoV-2-EindV). Diese Rechtsverordnung ist aufzuheben, sofern innerhalb eines Zeitraums von sieben Tagen die Rate der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 kumulativ den Wert von 200 je 100 000 Einwohner unterschreitet und diese Inzidenz mindestens über einen Zeitraum von fünf Tagen andauert (§ 13 Abs. 2 Satz 6 der 9. SARS-CoV-2-EindV).
Bei summarischer Prüfung ergäben sich keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken an der Vereinbarkeit der Verordnungsermächtigung in § 13 Abs. 2 der 9. SARS-CoV-2-EindV mit höherrangigem Recht. Mit § 13 Abs. 2 der 9. SARSCoV-2-EindV habe die Landesregierung Sachsen-Anhalts von der ihr in § 32 Satz 2 Infektionsschutzgesetz (IfSG) eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen nach Satz 1 der Vorschrift durch Rechtsverordnung auf andere Stellen zu übertragen. Der Regelung des § 13 Abs. 2 der 9. SARS-CoV-2-EindV fehle es auch nicht an der hinreichenden Bestimmtheit. Entgegen der Auffassung des Antragstellers seien die Voraussetzungen, unter denen die Antragsgegnerin eine Einschränkung des Bewegungsradius vorzunehmen ermächtigt und verpflichtet ist, in § 13 Abs. 2 der 9. SARS-CoV-2-EindV mit der gebotenen Klarheit festgelegt. Mit dem Oberbürgermeister habe auch das zuständige Organ der Antragsgegnerin die 2. EindV erlassen. Innerhalb der Kommunen erledigt nach § 66 Abs. 4 Kommunalverfassungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (KVG LSA) der Hauptverwaltungsbeamte – hier der Oberbürgermeister der Antragsgegnerin – die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises in eigener Zuständigkeit, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Dies gilt auch, wenn es hierzu aufgrund gesetzlicher Ermächtigung einer Normsetzung in Gestalt einer Rechtsverordnung bedarf. Es ist nach summarischer Prüfung voraussichtlich rechtlich auch nicht zu beanstanden, dass § 7 der 2. EindV der Antragsgegnerin den Aufenthalt der Einwohner der Antragsgegnerin außerhalb ihres Hoheitsgebietes beschränkt. Die Befugnis zum Erlass einer außerterritorialen Regelung ist den kreisfreien Städten wie der Antragsgegnerin durch die Landesregierung in der Verordnungsermächtigung des § 13 Abs. 2 der 9. SARSCoV-2-EindV ausdrücklich eingeräumt worden. Dies erscheine rechtlich unbedenklich. Die personelle Hoheit der die Antragsgegnerin umgebenden Landkreise werde durch die angegriffene Regelung schon deshalb nicht berührt, weil die Regelung ausschließlich die Einwohner der Antragsgegnerin betreffe und das erlaubte Verhalten der Einwohner anderer Gebietskörperschaften unberührt lasse.
Die in § 7 der 2. EindV getroffene Regelung sei voraussichtlich auch in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Die Einschränkung des Bewegungsradius auf 15 Kilometer um den Wohnort ziele auf die Durchsetzung einer konsequenten Verringerung der Kontakte, um dadurch die (weitere) Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 einzudämmen. Durch die Verlangsamung der Ausbreitung des Virus sollen die zu erwartenden schweren Erkrankungsfälle über einen längeren Zeitraum verteilt und Versorgungsengpässe in den Krankenhäusern vermieden werden. Zugleich soll ein Viruseintrag aus Landkreisen und kreisfreien Städten mit einem sehr hohen Inzidenzwert in andere Gebiete mit niedrigerem Inzidenzwert verhindert werden. Die mit dieser Maßnahme verbundenen Grundrechtseingriffe erwiesen sich voraussichtlich als verhältnismäßig. Dabei sei zu berücksichtigen, dass den handelnden Behörden in einer durch zahlreiche Unsicherheiten geprägten epidemischen Lage bei der Festlegung der ins Auge gefassten Regelungsziele und der Beurteilung dessen, was sie zur Verwirklichung der Ziele für geeignet, erforderlich und angemessen halten dürfen, ein gerichtlich nur begrenzt überprüfbarer weiter Einschätzungs- und Prognosespielraum eingeräumt sei. Dieser Spielraum sei vorliegend nicht erkennbar überschritten. Dabei sei in Rechnung zu stellen, dass die von der Einschränkung des Bewegungsradius betroffenen Einwohner der Antragsgegnerin lediglich in einem überschaubaren Bereich ihrer Freizeitgestaltung beeinträchtigt seien. Dem stünden die besonders hochwertigen Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit gegenüber, die angesichts des gegenwärtigen Standes des Infektionsgeschehens mit landesweit erheblich gestiegenen und während der gesamten Pandemie erstmals erreichten Inzidenzen, der damit verbundenen starken Belastung des Gesundheitssystems, namentlich der intensivmedizinischen Abteilungen der Krankenhäuser, und der Gefahr der Verbreitung von Virusmutationen mit einer nochmals höheren Infektiosität in besonderem Maße gefährdet seien.