Das Bundesverfassungsgericht hat am 20.01.2021 zum Aktenzeichen 1 BvR 2671/20 entschieden, dass das Eilverfahren gegen die Aussetzung des bekenntnisgebundenen islamischen Religionsunterrichts an einigen Schulen in Hessen, der in Kooperation mit dem Islamverband Ditib in Hessen angeboten wird, zum Ende des laufenden Schuljahres 2019/2020 neu verhandelt werden muss.
Aus der Pressemitteilung des BVerfG Nr. 6/2020 vom 22.01.2021 ergibt sich:
Der Beschwerdeführer, DITIB Landesverbandes Hessen e.V., ist ein Landesverband für muslimische Gemeinden in Hessen, dessen Zweck unter anderem in der Pflege und Vermittlung des islamischen Glaubens besteht. Er wurde mit Bescheid des Hessisches Kultusministeriums vom 17.12.2012 als Gesprächs- und Kooperationspartner für einen bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht in Hessen anerkannt. Der Unterricht wurde als ordentliches Lehrfach zum Schuljahr 2013/2014 eingeführt und seitdem in Kooperation mit dem Beschwerdeführer erteilt. Mit Pressemitteilung vom 28.04.2020 erklärte das Hessische Kultusministerium, die Vollziehung des Bescheids vom 17.12.2012 zum Ende des laufenden Schuljahres 2019/2020 auszusetzen. Es bestünden Zweifel an der grundsätzlichen Eignung des Beschwerdeführers als Kooperationspartner für den bekenntnisgebundenen islamischen Religionsunterricht. Fraglich sei insbesondere, ob die für eine Kooperation notwendige Unabhängigkeit vom türkischen Staat vorhanden sei. Bereits seit dem Schuljahr 2019/2020 laufe ein Schulversuch eines rein staatlichen bekenntnisfreien Islamunterrichts ohne Kooperation mit einer Religionsgemeinschaft. Dieser Schulversuch solle ab dem Schuljahr 2020/2021 auch auf die Schulstandorte überführt werden, an denen der Beschwerdeführer bisher bekenntnisgebundenen Religionsunterricht anbiete.
Der Beschwerdeführer beantragte beim Verwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Das Land Hessen solle „bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache“ verpflichtet werden, wie bisher in Kooperation mit dem Beschwerdeführer islamischen Religionsunterricht an insgesamt 51 Grundschulen und 12 weiterführenden Schulen in Hessen zu erteilen (Antrag zu 1). Ferner stellte der Beschwerdeführer den Antrag, es dem Land Hessen zu untersagen, anstelle des in Kooperation mit ihm erteilten bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichts staatlichen Islamunterricht zu erteilen, insbesondere durch Lehrkräfte erteilen zu lassen, denen der Beschwerdeführer eine Lehrbefugnis (Idschaza) erteilt hatte (Antrag zu 2). Das Verwaltungsgericht lehnte die Anträge als unzulässig ab. Der Verwaltungsgerichtshof wies die dagegen erhobene Beschwerde zurück; der Beschwerdeführer habe keine Gründe vorgetragen, die für eine Zulässigkeit der Anträge sprechen könnten.
Der Beschwerdeführer rügt insbesondere eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 und Art. 7 Abs. 3 GG.
Das BVerfG hat die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte wegen Verletzung des Anspruchs auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
Wesentliche Erwägungen des BVerfG:
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.
- Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes.
- a) Die Gerichte haben den Antrag zu 1) auf der Grundlage einer nicht mehr nachvollziehbaren Auslegung des Rechtsschutzbegehrens als unzulässig angesehen und dem vorläufigen Rechtsschutz so jede Effektivität genommen.
Das Verwaltungsgericht hat angenommen, der Beschwerdeführer mache die begehrte vorläufige Verpflichtung zur Fortsetzung des islamischen Religionsunterrichts davon abhängig, dass ein Hauptsacheverfahren anhängig sei. Da dies nicht der Fall sei, könne über den Antrag nicht entschieden werden. Diese Auslegung des Antrags liegt schon deshalb fern, weil der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO „schon vor Klageerhebung“ gestellt werden kann. Der Beschwerdeführer hatte überdies auf Nachfrage des Verwaltungsgerichts erklärt, mit der Formulierung „bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache“ habe deutlich gemacht werden sollen, dass eine vorläufige und keine endgültige Regelung begehrt werde. Unter diesen Umständen ist es nicht mehr vertretbar anzunehmen, dem Beschwerdeführer sei es darum gegangen, dass nicht vor Erhebung einer Klage über eine vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners entschieden werde.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Antrag unzulässig, weil sich der Beschwerdeführer in der Hauptsache mit der Anfechtungsklage gegen einen noch ausstehenden belastenden Verwaltungsakt wenden wolle. Auch diese Auslegung des Rechtsschutzbegehrens ist sachlich nicht mehr vertretbar. Der Antrag zu 1) ist nach seinem klaren Wortlaut auf eine sofortige, vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zur Fortführung des islamischen Religionsunterrichts gerichtet. Weshalb es dem Beschwerdeführer stattdessen um vorläufigen Rechtsschutz gegen einen Verwaltungsakt gehen sollte, dessen Erlass noch nicht einmal absehbar ist, ist schlicht nicht nachvollziehbar, zumal der Beschwerdeführer bis dahin die faktische Aussetzung des erteilten islamischen Religionsunterrichts hinnehmen müsste.
- b) Auch die Versagung des mit dem Antrag zu 2) ersuchten vorläufigen Rechtsschutzes wegen fehlender Antragsbefugnis verletzt den Anspruch des Beschwerdeführers auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes.
Schon nach dem eindeutigen Wortlaut dieses Antrags geht es dem Beschwerdeführer offensichtlich nicht darum, dass in Hessen Schulunterricht, der den Islam zum Gegenstand hat, ausschließlich in Kooperation mit ihm erfolgen darf, wie das Verwaltungsgericht angenommen hat. Vielmehr wendet er sich danach allein gegen die Ersetzung des bisherigen, in Kooperation mit ihm eingerichteten und angebotenen islamischen Religionsunterrichts durch einen in staatlicher Regie durchgeführten Islamunterricht.
Auch der Verwaltungsgerichtshof geht in sachlich nicht mehr vertretbarer Weise davon aus, der Beschwerdeführer könne sich bereits nicht auf eine schutzwürdige Position berufen. Er nimmt an, dieser habe nicht hinreichend dargetan, dass der staatliche Islamunterricht, der nunmehr anstelle des in Kooperation mit ihm erteilten islamischen Religionsunterrichts angeboten werde, ebenfalls als bekenntnisgebundener Religionsunterricht ausgestaltet sei. Damit hat der Verwaltungsgerichtshof zum einen die Darlegungsanforderungen überspannt. Er geht selbst davon aus, dass die Sorge des Beschwerdeführers, der bisherige islamische Religionsunterricht werde durch einen staatlichen Religionsunterricht ersetzt, angesichts der Elterninformationsschreiben „durchaus nachvollziehbar“ sei. Denn dort würden die Eltern darauf hingewiesen, dass sich der Islamunterricht von dem islamischen Religionsunterricht nicht unterscheide und daher auch die gleichen Lehrmaterialien benutzt würden. Wenn der Verwaltungsgerichtshof gleichwohl bereits die Antragsbefugnis wegen fehlender Auseinandersetzung mit den auf der Internetseite des Landes veröffentlichten Kerncurricula für das Schulfach Islamunterricht verneint, erschwert er den Zugang zu einer gerichtlichen Sachprüfung in unzumutbarer Weise. Zum anderen lässt das Gericht bei seiner Auslegung des Rechtsschutzbegehrens außer Acht, dass es dem Beschwerdeführer schon nach dem Wortlaut des Antrags zu 2) vor allem um eine auch nach außen klar erkennbare Tren-nung des staatlichen Islamunterrichts von dem zuvor in Übereinstimmung mit seinem Glaubensbekenntnis erteilten islamischen Religionsunterricht geht.
- Hinsichtlich der Rüge einer Verletzung des Rechts auf Durchführung eines bekenntnisgebundenen islamischen Religionsunterrichts nach Art. 7 Abs. 3 GG kommt eine Vorabentscheidung vor Erschöpfung des fachgerichtlichen Rechtswegs in der Hauptsache nach § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG schon deshalb nicht in Betracht, weil das verwaltungsgerichtliche Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, in dem bisher noch keine Sachprüfung stattgefunden hat, nunmehr wieder eröffnet ist.