Das Verwaltungsgericht Chemnitz hat mit Beschluss vom 27.10.2022 zum Aktenzeichen 3 L 455/22 einen Eilantrag eines Rechtsreferendars und eines Rechtsanwalts abgelehnt, mit dem sie erreichen wollten, dass der Referendar seine praktische Ausbildung zum 01.11.2022 bei dem Rechtsanwalt beginnen kann und die Zuweisung durch den Freistaat Sachsen, vertreten durch das Oberlandesgericht (OLG) Dresden an einen anderen Rechtsanwalt hinfällig wird.
Aus der Pressemitteilung des VG Chemnitz vom 01.11.2022 ergibt sich:
Der Antragsteller zu 1 absolviert beim Freistaat Sachsen seinen Juristischen Vorbereitungsdienst mit der Stammdienststelle am Landgericht Chemnitz, nachdem der Verfassungsgerichtshof des Freistaats Sachsen ihn nach erfolgreicher Verfassungsbeschwerde vorläufig hierzu zugelassen hatte. Der Antragsteller zu 2 ist Rechtsanwalt mit Kanzlei in Chemnitz, Vorsitzender der „Freien Sachsen“ und Vorsitzender der Ratsfraktion „PRO CHEMNITZ/Freie Sachsen“ im Stadtrat von Chemnitz. Zum 01.11.2022 begann die neun Monate dauernde Rechtsanwaltsstation, die der Antragsteller zu 1 beim Antragsteller zu 2 ableisten will.
In seiner Entscheidung zur Zulassung des Antragstellers zu 1 zum Juristischen Vorbereitungsdienst führte der Freistaat Sachsen, dass dieser für die Ausbildung in der Rechtsanwaltsstation einem vom OLG ausgewählten Ausbilder zugewiesen werde, falls ein von ihm ausgewählter Ausbilder aus Sicht des OLG weniger geeignet erscheint. In dieser Zulassungsentscheidung führte der Freistaat Sachsen u.a. auch aus, dass es für einen Rechtsreferendar mit dem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis als unvereinbar angesehen werde, wenn er innerhalb der Partei „Der III. Weg“ politische Ämter übernehme, für diese Versammlungen anmelde oder als Redner auftrete. Am 27.09.2022 hat das OLG Dresden den Antrag des Antragstellers zu 1 auf Zuweisung zum Antragsteller zu 2 abgelehnt, den Antragsteller zu 1 einem anderen Rechtsanwalt zugewiesen und diesen Bescheid für sofort vollziehbar erklärt. Das OLG verwies darauf, dass der Antragsteller zu 2 weniger geeignet sei als Rechtsanwalt, dem der Antragsteller zu 1 zugewiesen wurde, weil dieser allgemein bekannt „Akteur der rechtsextremen Szene in Chemnitz“ sei. Zudem sei die Partei „Freie Sachsen“ vom Sächsischen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft worden und sie werde bundesweit vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall beobachtet. Ein hiergegen erhobener Widerspruch blieb erfolglos.
Am 26.10.2022 haben die Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht Chemnitz erhoben und zugleich um vorläufigen und einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht mit dem Ziel, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen und den Freistaat Sachsen zu verpflichten, den Antragsteller zu 1 vorläufig dem Antragsteller zu 2 zur Ausbildung im Rahmen der Rechtsanwaltsstation zuzuweisen. Sie führten zur Begründung im Wesentlichen aus, dass der Antragsteller zu 2 nicht ungeeignet sei und dessen politische Tätigkeit außerhalb seiner Anwaltstätigkeit nicht von Bedeutung sei. Soweit seine politische Tätigkeit herangezogen werde, um eine Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege zu begründen, verstoße das gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Grundgesetz, der eine politische Diskriminierung untersage. Eine fachliche Ungeeignetheit sei ebenfalls nicht gegeben. Der Antragsgegner lasse sich allein von politischen und damit sachfremden Erwägungen leiten. Der Antragsteller zu 1 verfüge über ein Ausbildungsgestaltungsrecht, das durch die Entscheidung des Antragsgegners nicht unerheblich beeinträchtigt werde. Es stelle eine unzulässige politische Diskriminierung und fachliche Herabsetzung dar, wenn die zwischen dem Referendar und dem Anwalt vereinbarte Übernahme der Ausbildung untersagt werde.
Der Eilantrag bleib ohne Erfolg.
Nach der vom Gericht zu treffenden Interessenabwägung überwiegt das Interesse an der sofortigen Vollziehung der Zuweisungsentscheidung an einen anderen Rechtsanwalt als den Antragsteller zu 2. Bei der Frage des „weniger geeignet“ geht es nicht darum, dass der Antragsteller zu 2 fachlich weniger geeignet sei. Es geht darum, dass und wie im Juristischen Vorbereitungsdienst des Antragstellers zu 1 die „Funktionsfähigkeit der Rechtspflege“ abgesichert werden kann. Hierfür dient die Auflage, dass der Antragsteller zu 1 für die praktische Ausbildung in der Rechtsanwaltsstation einem anderen Rechtsanwalt zugewiesen wird, wenn der von ihm ausgewählte Rechtsanwalt aus Gründen der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege weniger geeignet erscheint.
Die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege setzt voraus, dass gesellschaftliches Vertrauen nicht nur in die einzelne Richterpersönlichkeit, sondern in die Justiz insgesamt existiert, was auch die Justiz als die für den Juristischen Vorbereitungsdienst verantwortliche Stelle einschließt. Dieses Vertrauen kann durch eine Vielzahl von Umständen gestärkt oder beeinträchtigt werden, wobei dem Staat die Aufgabe der Optimierung zukommt.
Der Antragsteller zu 2 ist für die Partei „Freie Sachsen“ aktiv, welche vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall beobachtet wird. Daher bestehen hinsichtlich der Verfassungstreue des Antragstellers zu 2 Bedenken.
Auch hinsichtlich der Verfassungstreue des Antragstellers zu 1 bestehen Bedenken, weshalb er infolge der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs des Freistaats Sachsen zum Juristischen Vorbereitungsdienst nur unter Auflagen zugelassen wurde. Eine dieser Auflagen sei eine entsprechende Auswahl der jeweiligen Ausbildungsstation, soweit diese nicht vom Antragsteller wählbar ist. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass der Referendar bei der Rechtsanwaltsstation seinen auszubildenden Rechtsanwalt selbst auswählt. Die Justiz gestaltet insoweit nicht das „Was und Wie der Ausbildung„. Hierauf hat sie keinen Einfluss. Die Ausgestaltung des Vorbereitungsdienstes und die Sicherung der Funktion der Rechtspflege sind daher bereits bei der Frage der Zuweisung an einen bestimmten Rechtsanwalt zu berücksichtigen.
Aufgrund dieser Bedenken hinsichtlich der Verfassungstreue der Antragsteller würden Umstände geschaffen, die das gesellschaftliche Vertrauen in die Justiz beeinträchtigen können, wenn ein Referendar einem Rechtsanwalt zur Ausbildung zugewiesen würde, ohne dass die Möglichkeit einer „Reglementierung“ besteht. Daher erscheint die Entscheidung des Antragsgegners, den Antragsteller zu 1 einem anderen Rechtsanwalt als den Antragsteller zu 2 zuzuweisen, nicht als offensichtlich falsch.
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Die Antragsteller haben Beschwerde zum Sächsischen Oberverwaltungsgericht eingelegt. Das Hauptsacheverfahren ist weiterhin am Verwaltungsgericht Chemnitz anhängig.