Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 20.12.2018 zum Aktenzeichen 6 B 94/18 entschieden, dass die Frage der Eigenschaft islamischer Dachverbände als Religionsgemeinschaft weiterer Aufklärung bedarf.
Die Kläger sind islamische Dachverbände in der Rechtsform des eingetragenen Vereins. Ihre Mitglieder sind Moscheegemeinden sowie islamische Verbände und Vereine. Ihre Klagen mit dem Ziel, das Land Nordrhein-Westfalen zu verpflichten, an den öffentlichen Schulen islamischen Religionsunterricht einzurichten, sind in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Nach Auffassung des OVG Nordrhein-Westfalen sind die Kläger keine Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes, weil sie keine Lehrautorität in religiösen Fragen wahrnähmen. Lehrmeinungen des Gelehrtenrats des Klägers zu 1 hätten nur empfehlenden Charakter. Beide Kläger äußerten sich nicht in zentralen Konfliktfragen des Islam in Deutschland wie dem Verhältnis von Grundgesetz und Scharia, der Stellung der Frauen und der religiösen Toleranz.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerden hat das Bundesverwaltungsgericht das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache erneut an das Berufungsgericht zurückverwiesen, weil das Oberverwaltungsgericht die verwaltungsprozessrechtliche Bindung an die tragenden rechtlichen Erwägungen des ersten in dieser Sache ergangenen Revisionsurteils des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2005 nicht hinreichend beachtet hat (BVerwG, Urteil vom 23.02.2005, Az.: 6 C 2.04).
Religionsgemeinschaften haben nach Art. 7 Abs. 3 Satz 1 und 2 des Grundgesetzes einen Anspruch darauf, dass der Schulträger nach ihren Glaubensgrundsätzen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen einrichtet. Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem ersten Revisionsurteil entschieden, dass Dachverbände wie die Kläger Religionsgemeinschaften sind, wenn sie unter anderem über Kompetenz und Autorität in Fragen der religiösen Lehre verfügen. Dies betrifft die Glaubensinhalte des religiösen Bekenntnisses, die sich daraus ergebenden Verhaltensanforderungen für die religiös Verantwortlichen und die Gläubigen sowie die Ausübung des Kults. Lehrautorität setzt voraus, dass sie mit einer gewissen Kontinuität ausgeübt wird, und die Lehrmeinungen Gewicht haben, sodass sich die religiös Verantwortlichen und Gläubigen daran orientieren. Ein verbindliches Lehramt ist nicht erforderlich; dessen Einrichtung hängt vom Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft ab.
Auch einer Religionsgemeinschaft steht der Anspruch nach Art. 7 Abs. 3 Satz 1 und 2 des Grundgesetzes nur zu, wenn sie Gewähr bietet, die Verfassungsordnung des Grundgesetzes, insbesondere die Grundrechte und die freiheitliche Verfassung des Staatskirchenrechts, zu respektieren.
Das Oberverwaltungsgericht hat diese bindenden Maßgaben nicht beachtet, weil es die Eigenschaft als Religionsgemeinschaft von einem verbindlichen Lehramt in religiösen Fragen und der Abgabe von Stellungnahmen in Fragen des Verhältnisses von Staat und Religion abhängig gemacht hat. Der zweite Gesichtspunkt betrifft die Respektierung der Verfassungsordnung durch eine bestehende Religionsgemeinschaft. Das Oberverwaltungsgericht wird die Tätigkeit der Kläger in Fragen der religiösen Lehre und deren Bedeutung für religiös Verantwortliche und Gläubige weiter aufzuklären haben. Stellt es fest, dass die Kläger über Lehrautorität verfügen und auch die weiteren Voraussetzungen für eine Religionsgemeinschaft erfüllt sind, wird es der Frage der Respektierung der Verfassungsordnung nachzugehen haben.
Rechtsanwalt Dipl.-Jur. Jens Usebach, LL.M. vertritt Religionsgemeinschaften im Verfassungsrecht und Kirchenrecht!