Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 23.02.2021 zum Aktenzeichen 1 ABR 12/20 entschieden, dass wenn die Betriebsparteien in einer Betriebsvereinbarung dem Arbeitgeber ein Leistungsbestimmungsrecht i.S.v. § 315 BGB bei der Festsetzung eines Faktors zur Berechnung eines Bonus für die Arbeitnehmer einräumen, der Betriebsrat im Wege seines Durchführungsanspruchs nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nicht vom Arbeitgeber verlangen kann, eine Ausübung der Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen zu treffen.
§ 315 Abs. 1 BGB gestaltet nur das individualrechtliche Schuldverhältnis der Arbeitsvertragsparteien.
Die Beteiligten streiten über einen Durchführungsanspruch des Betriebsrats. Betriebsrat und Arbeitgeberinnen schlossen am 10.11.2016 für die AT-Beschäftigten im Innendienst eine Betriebsvereinbarung zu Bonuszahlungen (BV Bonus).
Diese sieht vor, dass der Mitarbeiter und der Vorgesetzte jährlich eine individuelle Zielvereinbarung schließen, die sowohl Geschäftsziele als auch persönliche Ziele enthält.
Nach der BV Bonus werden die Geschäftsziele „jährlich durch das Unternehmen, resp. den jeweiligen Geschäftsbereich, festgelegt und mitgeteilt“.
Die Leitung des Konzerns, dem die Arbeitgeberinnen angehören, kündigte im Dezember 2017 an, dass für dieses Jahr keine Jahresboni ausgeschüttet würden, da die Unternehmensergebnisse deutlich hinter der Planung zurückgeblieben seien.
Die Arbeitgeberinnen teilten in der Folgezeit mit, der Faktor Geschäftszielerreichung (BPF) betrage für das Jahr 2017 in allen Geschäftsbereichen null.
Der Betriebsrat ist der Auffassung, er könne auf der Grundlage seines Durchführungsanspruchs von den Arbeitgeberinnen die ordnungsgemäße Ausübung des in der BV Bonus vorgesehenen Leistungsbestimmungsrechts gemäß § 315 BGB verlangen.
Die bisherige Festsetzung der BPF für das Jahr 2017 entspreche nicht billigem Ermessen.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerden der Arbeitgeberinnen zurückgewiesen.
Die Revision der Arbeitgeberin hat Erfolg. Entscheidungsanalyse: Zwar gewährt die BV Bonus ein Leistungsbestimmungsrecht für den – zur Berechnung eines Bonus notwendigen – Faktor Geschäftszielerreichung, dessen Ausübung sich nach § 315 Abs. 1 BGB richtet.
Die aus § 315 Abs. 1 BGB resultierende Verpflichtung zur Bestimmung dieses Faktors nach billigem Ermessen gestaltet allerdings nicht das betriebsverfassungsrechtliche Rechtsverhältnis zwischen den die BV Bonus abschließenden Betriebsparteien, sondern nur das – durch die unmittelbar und zwingend geltende BV Bonus begründete – Schuldverhältnis zwischen den einzelnen AT-Mitarbeitern und ihrem jeweiligen Vertragsarbeitgeber.
Der Betriebsrat kann daher im Rahmen seines Durchführungsanspruchs nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG lediglich verlangen, dass die mit den Arbeitgeberinnen vereinbarte Festlegung des Faktors Geschäftszielerreichung vorgenommen wird.
Er hat jedoch keinen Anspruch darauf, dass diese Leistungsbestimmung den Vorgaben des § 315 Abs. 1 BGB entsprechend und damit nach billigem Ermessen ausgeübt wird. Ist die Leistungsbestimmung – wie vorliegend – erfolgt, kann die Frage, ob sie dem Maßstab der Billigkeit genügt, ausschließlich im Individualklageverfahren nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 BGB geklärt werden.
Bereits der Wortlaut des § 315 Abs. 1 BGB lässt auf ein solche, nur das individuelle Vertragsverhältnis betreffende Wirkungsweise der Norm schließen.
Die Regelung stellt darauf ab, dass die Leistungsbestimmung durch einen der „Vertragschließenden“ erfolgt.
Ergibt sich das Leistungsbestimmungsrecht – wie vorliegend – aus den Regelungen einer nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG unmittelbar und zwingend geltenden Betriebsvereinbarung, richtet sich das Gebot des § 315 Abs. 1 BGB, die Bestimmung der Leistung nach billigem Ermessen zu treffen, daher nicht an den Arbeitgeber in seiner Funktion als Vertragspartei der Betriebsvereinbarung, sondern in seiner Rolle als Arbeitsvertragspartei.
Dies spricht dafür, dass § 315 Abs. 1 BGB die Verpflichtung, eine am Maßstab der Billigkeit ausgerichtete Leistungsbestimmung vorzunehmen, nur im Verhältnis zur anderen (Arbeits-)Vertragspartei begründen will. Diese Auslegung wird den zugrunde liegenden Schutzgedanken gestützt.
Es handelt sich bei § 315 BGB um eine zivilrechtliche Generalklausel, die als Übermaßverbot das „freie Spiel der Kräfte“ in der vertragsrechtlichen Praxis begrenzt und deshalb primär eine Schutzwirkung zugunsten der schwächeren Vertragspartei entfalte. In einer solchen Situation ist der Betriebsrat nicht.
Er ist vielmehr derjenige, der gemeinsam mit dem Arbeitgeber durch den Abschluss von Betriebsvereinbarungen unmittelbar und zwingend in den Arbeitsverhältnissen geltende Regelungen schafft.
Hinsichtlich der Zulässigkeit der Anträge des Betriebsrats hat der 1. Senat außerdem festgestellt, dass ein in erster Instanz voll obsiegender Antragsteller in der zweiten Instanz neue Sachanträge und weitere Verfahrensgegenstände nur im Wege einer Anschlussbeschwerde nach § 87 Abs. 2 Satz 1, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 524 ZPO in das Verfahren einführen kann.