Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 19. April 2024 zum Aktenzeichen 2 WD 9.23 im Berufungsverfahren die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme gegen einen Oberleutnant der Reserve bestätigt, der sich im Jahr 2015/2016 aktiv für die Identitäre Bewegung Deutschland e.V. engagiert hatte. Er wirkte beim Aufbau einer Regionalgruppe in Bayern, bei mehreren Demonstrationen und in einem Werbefilm der Identitären Bewegung mit. Damit hat er die für alle Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr geltende verfassungsrechtliche Treuepflicht aus § 8 SG verletzt.
Aus der Pressemitteilung des BVerwG Nr. 40/2024 vom 27.08.2024 ergibt sich:
Die Identitäre Bewegung Deutschland e.V. verfolgte bereits 2015/2016 verfassungswidrige Ziele. Ihre weltanschauliche Ausrichtung ist – wie die Anhörung der Sachverständigen ergeben hat – seit der Vereinsgründung im Jahr 2012 im Wesentlichen konstant. Sie ist in zweierlei Hinsicht mit den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar. Sie widerspricht zum einen dem für eine Demokratie essentiellen Grundsatz der Gleichheit aller Staatsbürger. Nach der Ideologie der Identitären Bewegung kommt es auf die ethnisch-kulturelle Identität einer Person an, womit sie eine gleichheitswidrige Unterscheidung in Deutsche „erster“ und „zweiter Klasse“ vornimmt. Die Angehörigen der verschiedenen Ethnien sollen jeweils in ihrem Staatsgebiet leben bzw. dahin zurückkehren. Nicht ethnisch Deutsche sollen daher in ihre Heimatländer zurückwandern („Remigration“) und durch Druck dazu gebracht werden, wofür auch die Parole „Reconquista“ (Rückeroberung) verwendet wird. Dieses Konzept des sogenannten „Ethnopluralismus“ wird auch von der Partei „Die Heimat“ (früher NPD) vertreten und führt zu einer Ausgrenzung von Ausländern, Migranten und ethnischen Minderheiten. Es verletzt den Anspruch nicht ethnisch deutscher Staatsangehöriger auf gleichberechtigte politische Teilhabe und verstößt damit gegen ein Kernelement des grundgesetzlichen Demokratieprinzips (vgl. BVerfG, Urteil vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19, NJW 2024, 645 Rn. 350 ff., 380 ff.).
Die Identitäre Bewegung steht zum anderen für ein identitäres Demokratieverständnis im Sinne Carl Schmitts. Parlamentarismus und Mehrparteiensystem werden diskreditiert und abgelehnt. Bei einer Identität von Volk und Vertretern könne der wahre Volkswille ohne diese Institutionen besser verwirklicht werden. Auch die Forderung nach Abschaffung von Parteien und Parlament steht in klarem Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Sie verbietet es zwar nicht, das gegenwärtige repräsentative demokratische System umzugestalten oder durch eine unmittelbare plebiszitäre Demokratie zu ersetzen. Den Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verlässt jedoch, wer den Parlamentarismus verächtlich macht, ohne aufzuzeigen, auf welchem anderen Weg dem Grundsatz der Volkssouveränität Rechnung getragen werden soll (vgl. BVerfG, Urteil vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19, NJW 2024, 645 Rn. 543-546).
Das Bundesverwaltungsgericht ist auch zu der Überzeugung gelangt, dass der angeschuldigte Oberleutnant der Reserve die Programmatik der Identitären Bewegung kannte und sich ihr aus innerer Überzeugung angeschlossen hat. Der frühere Soldat hatte bereits während seines Studiums mit Vertretern der Neuen Rechten Kontakt, publizierte in der von Götz Kubitschek – dem Mitbegründer der Identitären Bewegung – herausgegebenen Zeitschrift „Sezession“ und kannte den damaligen stellvertretenden Vorsitzenden der Identitären Bewegung schon aus Studienzeiten. Er war somit ein gut informierter Insider. Da er die politischen Ziele der Identitären Bewegung kannte und aufgrund seines Studiums der Staatswissenschaften zu bewerten verstand, war bei seinem Engagement für die Identitäre Bewegung von einer zumindest bedingt vorsätzlichen verfassungswidrigen Betätigung auszugehen.
Nach der Rechtsprechung des 2. Wehrdienstsenats rechtfertigt eine von innerer Überzeugung getragene verfassungswidrige Betätigung regelmäßig die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme. Davon abzuweichen bestand kein Anlass. Die Höchstmaßnahme beinhaltet bei einem inzwischen ausgeschiedenen Zeitsoldaten den Verlust noch offener Übergangsleistungen. Der ehemalige Oberleutnant hat konkret eine Übergangsbeihilfe in Höhe von mehr als 23.000 € eingebüßt und ist nicht mehr berechtigt, einen militärischen Dienstgrad zu führen. Das Urteil erging – wie es die Wehrdisziplinarordnung vorsieht – in nicht öffentlicher Verhandlung.