Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 19. Dezember 2023 zum Aktenzeichen 2 BvC 4/23 die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag über den Beschluss des Deutschen Bundestages vom 10. November 2022 hinausgehend in weiteren 31 Wahlbezirken des Landes Berlin sowie den zugehörigen Briefwahlbezirken für ungültig erklärt und eine Wiederholungswahl angeordnet. Zudem hat er den genannten Beschluss des Bundestages insoweit aufgehoben, als die Bundestagswahl in sieben Wahlbezirken und den damit verbundenen Briefwahlbezirken für ungültig erklärt wurde.
Aus der Pressemitteilung des BVerfG Nr. 119/2023 vom 19. Dezember 2023 ergibt sich:
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wendet sich mit ihrer Wahlprüfungsbeschwerde gegen den Beschluss des Bundestages vom 10. November 2022, mit dem dieser die Bundestagswahl 2021 in 431 Wahlbezirken in Berlin für ungültig erklärt und insoweit eine Wiederholungswahl angeordnet hat.
Der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 10. November 2022 ist im Ergebnis überwiegend rechtmäßig. Der Bundestag hat das Wahlgeschehen jedoch unzureichend aufgeklärt, da er auf die gebotene Beiziehung und Auswertung der Niederschriften der einzelnen Wahlbezirke verzichtet hat. Dies hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht nachgeholt. Daraus ergibt sich, dass einerseits die Bundestagswahl in weiteren 25 Wahlbezirken des Landes Berlin einschließlich der zugehörigen Briefwahlbezirke für ungültig zu erklären und andererseits die Ungültigerklärung der Wahl in sieben Wahlbezirken und deren Briefwahlbezirken im Beschluss des Deutschen Bundestages aufzuheben ist. Daneben führen erst nach der mündlichen Verhandlung bekanntgewordene Besonderheiten der Auszählung von Briefwahlstimmen zur Ungültigerklärung der Bundestagswahl in weiteren sechs Briefwahlbezirken und den sechs mit diesen verbundenen Urnenwahlbezirken. Die Wiederholungswahl ist als Zweistimmenwahl (d. h. mit Erst- und Zweitstimme) durchzuführen.
Sachverhalt:
Am 26. September 2021 fand in Berlin die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag statt. Zugleich wurden die Wahlen zum 19. Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen durchgeführt sowie über einen Volksentscheid abgestimmt. Am Wahltag fand auch der Berlin-Marathon statt. Beim Bundestag wurden insgesamt 1.713 Wahleinsprüche eingelegt, die ausschließlich oder teilweise das Wahlgeschehen in Berlin betrafen. Der Bundestag stellte in 327 Wahlbezirken der zwölf Wahlkreise mandatsrelevante Wahlfehler fest. Diese Wahlbezirke sind wegen gemeinsam gebildeter Briefwahlbezirke mit 104 weiteren Wahlbezirken verbunden. Mit Beschluss vom 10. November 2022 erklärte der Bundestag die Bundestagswahl in 431 Wahlbezirken für ungültig und ordnete insoweit eine Wiederholungswahl an.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass der Beschluss des Bundestages rechtswidrig sei, soweit dieser die Wahl in sechs vom Bundeswahlleiter angefochtenen Wahlkreisen nicht insgesamt für ungültig erklärt habe. Zudem sei der Beschluss rechtswidrig, soweit der Bundestag die Ungültigerklärung der Wahl über die Wahlkreise 76 und 77 hinaus auch auf die Erststimmenwahl bezogen habe.
Am 16. November 2022 erklärte der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen in Gänze für ungültig. Hiergegen wurde Verfassungsbeschwerde erhoben, verbunden mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der darauf abzielte, die Wiederholungswahl bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu verhindern. Den Eilantrag lehnte das Bundesverfassungsgericht am 25. Januar 2023 ab (vgl. Pressemitteilung Nr. 13/2023 vom 31. Januar 2023); eine Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde steht noch aus. Die Wiederholung der Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen fand am 12. Februar 2023 statt.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
Die Wahlprüfungsbeschwerde ist teilweise begründet.
Die Wahlprüfung dient der Feststellung der ordnungsgemäßen Zusammensetzung des Parlaments und dem Schutz des subjektiven Wahlrechts der Bürgerinnen und Bürger. Sie ist zunächst Sache des Deutschen Bundestages. Das Bundesverfassungsgericht überprüft im Wahlprüfungsbeschwerdeverfahren dessen Entscheidung grundsätzlich in vollem Umfang unter Berücksichtigung der dem Wahlprüfungsausschuss eingeräumten Entscheidungsspielräume.
Hat der Bundestag verfahrensfehlerfrei von weiteren Ermittlungen abgesehen, besteht für das Bundesverfassungsgericht weder die Veranlassung noch die Befugnis, weitergehende Ermittlungen anzustellen. Nur wenn sich die Beweiserhebung des Bundestages selbst als lückenhaft oder in sonstiger Weise unzureichend erweist, kann das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht auch insoweit tätig werden.
Der Beschluss des Deutschen Bundestages beruht auf einer unzureichenden Aufklärung des Wahlgeschehens, da er die Niederschriften der einzelnen Wahlbezirke weder selbst ausgewertet noch deren Auswertung in sonstiger Weise veranlasst hat.
Diese Auswertung war vorliegend aber geboten. Dass aus dem Schweigen der Niederschriften nicht auf das Fehlen von Wahlfehlern geschlossen werden kann, schließt nicht aus, dass in einzelnen Niederschriften besondere Vorkommnisse ausgewiesen sind, die das Vorliegen von Wahlfehlern dokumentieren. Der Bundestag wäre zur Gewährleistung einer bestmöglichen Sachaufklärung daher verpflichtet gewesen, die Niederschriften der einzelnen Wahlbezirke beizuziehen und auszuwerten.
Nachdem er darauf verzichtet hatte, war das Bundesverfassungsgericht gehalten, diese Möglichkeit der Aufklärung des tatsächlichen Wahlgeschehens eigenständig wahrzunehmen.
Der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 10. November 2022 ist materiell im Ergebnis überwiegend rechtmäßig.
Der Bundestag hat die in Betracht kommenden Wahlfehler ihrem Inhalt nach weitgehend zutreffend bestimmt.
Ein Wahlfehler liegt immer dann vor, wenn die Regelungen des Bundeswahlgesetzes und der Bundeswahlordnung sowie die diese prägenden Wahlgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt sind. Nur soweit gesetzliche Vorgaben bestehen, kommen Wahlfehler in Betracht.
Danach weisen die Abläufe bei der Bundestagswahl 2021 in Berlin Wahlfehler in Bezug sowohl auf die Vorbereitung als auch auf die Durchführung der Wahl auf. Davon sind über den angegriffenen Beschluss des Deutschen Bundestages hinaus weitere Urnenwahlbezirke betroffen.
Bereits in der Phase der Vorbereitung der Bundestagswahl 2021 in Berlin sind Wahlfehler festzustellen:
Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 3 BWahlO, wonach die Teilnahme an der Wahl möglichst zu erleichtern ist, wäre es erforderlich gewesen, eine Ausstattung der Wahlräume mit Wahlkabinen und Stimmzetteln in einem Umfang zu veranlassen, der einen möglichst reibungslosen Wahlablauf ohne überlange Wartezeiten ermöglicht hätte. Dem genügte die Planung der Ausstattung der Wahllokale mit Wahlkabinen nicht. Es wurden keine tragfähigen Überlegungen angestellt, wie viele Wahlkabinen in den jeweiligen Wahlräumen erforderlich waren, um unter den Bedingungen einer Mehrfachwahl mit sechs Entscheidungsmöglichkeiten auf fünf inhaltlich verschiedenen und unterschiedlich gestalteten Stimmzetteln überlange Wartezeiten zu vermeiden.
Daneben wurde bei der Wahlvorbereitung gegen § 49 Nr. 3 BWahlO verstoßen, weil die amtlichen Stimmzettel zwar beschafft, aber teilweise den Wahlvorständen der Wahlbezirke vor Beginn der Wahlhandlung nicht in genügender Zahl übergeben wurden.
Auch bei der Durchführung der Bundestagswahl 2021 in Berlin sind zahlreiche Wahlfehler festzustellen.
Dies gilt zunächst, soweit Wahlberechtigten ein Stimmzettel eines anderen Wahlkreises ausgehändigt wurde, so dass deren Erststimme gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 in Verbindung mit Satz 2 Halbsatz 2 BWahlG ungültig abgegeben war.
Eine zeitweilige völlige Schließung eines Wahllokals stellt einen Wahlfehler dar, weil sie gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl gemäß § 54 BWahlO verstößt. Auch Unterbrechungen der Bundestagswahl bei fortbestehender öffentlicher Zugänglichkeit des Wahllokals begründen einen Wahlfehler. Sie verstoßen gegen § 47 BWahlO, wonach die Wahl von 8 Uhr bis 18 Uhr dauert. Zweifelhaft erscheinen allenfalls Fälle, in denen zwar die Abgeordnetenhauswahl, hingegen nicht die Bundestagswahl unterbrochen wurde. Das Wahlgeschehen einer Mehrfachwahl ist jedoch insoweit einheitlich zu beurteilen. Daher liegt in diesen Fällen eine Störung des Wahlgeschehens vor, die auch die Bundestagswahl erfasst.
Aus den Niederschriften gehen einzelne Fälle hervor, in denen Personen, die nur bei der Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung wahlberechtigt waren, Stimmzettel für die Bundestagswahl erhalten und diese eingeworfen haben. Soweit es nicht gelang, den Einwurf solcher Stimmzettel abzuwenden, liegen Wahlfehler vor (§ 56 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 BWahlO).
Überlange Wartezeiten sind als solche nicht als Wahlfehler anzusehen. Es fehlt an rechtlichen Vorgaben zum Umfang zulässiger Wartezeiten. Besonders lange Wartezeiten indizieren allerdings regelmäßig eine unzureichende Ausstattung der Wahlräume mit Wahlkabinen und/oder Stimmzetteln und damit das Vorliegen eines Verstoßes gegen § 46 Abs. 1 Satz 3, § 49 Nr. 3 BWahlO. Als zeitliche Grenze dürfte dabei – unter Berücksichtigung des Umstands, dass in Berlin bis zu sechs Stimmen auf fünf unterschiedlichen Stimmzetteln abgegeben werden konnten – eine Wartezeit ab einer Stunde anzusehen sein, so dass in diesen Fällen vom Vorliegen eines Wahlfehlers auszugehen ist.
Auch eine Stimmabgabe nach 18 Uhr begründet als solche keinen Wahlfehler. Ein solcher liegt nur vor, wenn die Wahlberechtigten nicht rechtzeitig vor dem Ablauf der Wahlzeit erschienen und trotzdem zur Wahl zugelassen worden sind. Derartige Fälle sind nicht ersichtlich.
Davon zu unterscheiden ist die Frage, inwieweit Öffnungszeiten der Wahllokale über das Ende der Wahlzeit hinaus als ausreichendes Indiz für das Vorliegen sonstiger Wahlfehler angesehen werden können. Insoweit geht der Wahlprüfungsausschuss davon aus, dass in allen Urnenwahllokalen mit Schließzeiten nach 18:30 Uhr lange Wartezeiten vorgelegen hätten, die auf eine unzureichende, fehlerhafte Ausstattung der Wahllokale zurückzuführen seien. Der Senat teilt diese Einschätzung.
In der Veröffentlichung der Prognosen zur Bundestagswahl um 18 Uhr liegt kein Verstoß gegen § 32 Abs. 2 BWahlG. Denn die Prognosen wurden gerade nicht vor dem Ablauf der um 18 Uhr endenden Wahlzeit (§ 47 Abs. 1 BWahlO) veröffentlicht.
Nach diesen Maßgaben hat der Senat die Niederschriften der einzelnen Wahlbezirke ausgewertet. Danach sind über die Feststellungen im angegriffenen Beschluss des Bundestages hinaus 15 weitere Urnenwahlbezirke mit Wahlfehlern behaftet, die über einen gemeinsamen Briefwahlbezirk mit zehn weiteren Urnenwahlbezirken verbunden sind:
Urnenwahlbezirke 75 01 102 und 75 01 106 (jeweils Wahlkreis 75): Stimmabgabe begann nicht vor 8:59 Uhr beziehungsweise 8:55 Uhr.
Urnenwahlbezirk 75 01 314 (Wahlkreis 75): Wartezeiten von über einer Stunde (Indiz für Wahlfehler).
Urnenwahlbezirk 75 01 402 (Wahlkreis 75): Wartezeiten von bis zu 60 Minuten (Indiz für Wahlfehler).
Urnenwahlbezirk 76 03 112 (Wahlkreis 76): Ende der Stimmabgabe um 18:31 Uhr (Indiz für Wahlfehler).
Urnenwahlbezirk 76 03 113 (Wahlkreis 76): Ende der Wahlhandlung um 19:40 Uhr (Indiz für Wahlfehler).
Urnenwahlbezirk 76 03 406 (Wahlkreis 76): überlange Wartezeiten (Indiz für Wahlfehler). Um 16:41 Uhr seien die Stimmzettel für die Bundestagswahl ausgegangen (Unterbrechung).
Urnenwahlbezirk 79 06 407 (Wahlkreis 79): Wartezeit von mehr als einer Stunde (Indiz für Wahlfehler).
Urnenwahlbezirk 80 04 304 (Wahlkreis 80): Unterbrechung der Wahlhandlung von mindestens 40 Minuten.
Urnenwahlbezirk 80 04 505 (Wahlkreis 80): Unterbrechung der Wahlhandlung: Zwischen 15 Uhr und 15:50 Uhr „keine Stimmzettel“.
Urnenwahlbezirk 80 04 722 (Wahlkreis 80): Es fehlten für 55 Minuten die Stimmzettel für die Bundestagswahl.
Urnenwahlbezirk 82 08 609 (Wahlkreis 82): Wartezeiten von über einer Stunde (Indiz für Wahlfehler).
Urnenwahlbezirke 84 09 623 und 84 09 625 (jeweils Wahlkreis 84): Ende der Wahlhandlung um 18:35 Uhr beziehungsweise 18:36 Uhr (Indiz für Wahlfehler).
Urnenwahlbezirk 85 10 530 (Wahlkreis 85): verspätete Öffnung des Wahllokals.
Umgekehrt kann die Feststellung von Wahlfehlern im angegriffenen Beschluss des Deutschen Bundestages in drei Fällen nicht aufrechterhalten werden. Der Bundestag hat in diesen Fällen Wartezeiten von weniger als einer Stunde beziehungsweise unbezifferte Wartezeiten ohne Unterbrechung der Wahlhandlung als ausreichend angesehen, um von einer unzureichenden Ausstattung der Wahllokale ausgehen zu können.
Die mögliche Lückenhaftigkeit der Niederschriften insbesondere in Bezug auf Warteschlangen und Wartezeiten oder Unterbrechungen der Wahl stellt weder selbst einen Wahlfehler dar, noch lässt sie auf weitere Wahlfehler schließen. Insbesondere kann daher nicht von einer flächendeckend unzureichenden Ausstattung der Wahllokale ausgegangen werden.
Die Wahlfehler sind weitgehend mandatsrelevant.
Ein Wahlfehler kann allein dann Auswirkungen auf die Gültigkeit der Wahl haben, wenn er mandatsrelevant ist. Dies ist der Fall, wenn er Einfluss auf die Verteilung der Sitze im Parlament haben kann. Es muss sich bei der Auswirkung des Wahlfehlers auf die Sitzverteilung um eine nach der allgemeinen Lebenserfahrung konkrete und nicht ganz fernliegende Möglichkeit handeln (Grundsatz der potentiellen Kausalität). Dabei ist das potentielle Wahlverhalten nicht im Sinne einer exakten Übertragung des Wahlergebnisses, wohl aber im Sinne einer groben Orientierung zu berücksichtigen.
Davon ausgehend ist die Mandatsrelevanz bezogen auf das Zweitstimmenergebnis gegeben, soweit Wahlfehler in der Form einer unzureichenden Ausstattung der Urnenwahllokale mit Wahlkabinen und Stimmzetteln vorliegen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, sondern ist vielmehr wahrscheinlich, dass die mehr als einstündigen Wartezeiten, die Unterbrechungen der Wahlhandlung, die verspäteten Öffnungen beziehungsweise die vorübergehenden oder vorzeitigen Schließungen von Wahllokalen dafür ursächlich waren, dass Wahlberechtigte nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben. Es besteht auch die konkrete Möglichkeit, dass bei einer Wahlteilnahme dieser Personen die SPD die für ein zusätzliches Bundestagsmandat erforderliche Anzahl von 802 Zweitstimmen erzielt hätte.
Anders verhält es sich hinsichtlich der in wenigen Einzelfällen dokumentierten Ausgabe von Stimmzetteln an nicht wahlberechtigte Personen, die in der Folge auch bei der Bundestagswahl abgestimmt haben. Selbst wenn diese Personen alle zugunsten einer Landesliste gestimmt hätten, hätte dies für die Sitzverteilung im Deutschen Bundestag keine Bedeutung. Ebenso ist der nur in Einzelfällen aufgetretene Wahlfehler fehlender Barrierefreiheit nicht mandatsrelevant.
Für die Erststimmen ist eine Mandatsrelevanz für die Wahlkreise 76 und 77 gegeben, da in diesen Wahlkreisen die Differenz zwischen dem Wahlkreisgewinner und dem Erstunterlegenen lediglich 26 % (Wahlkreis 76) beziehungsweise 19 % (Wahlkreis 77) der Nichtwähler betrug.
Rechtsfolge der festgestellten mandatsrelevanten Wahlfehler ist die auf die betroffenen Wahlbezirke und die damit verbundenen Wahlbezirke beschränkte Ungültigerklärung der Wahl und deren Wiederholung als Zweistimmenwahl.
Die Wahlprüfungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts unterliegt dem Gebot des geringstmöglichen Eingriffs. Sie darf nur so weit gehen, wie es der festgestellte Wahlfehler verlangt. Von mehreren Möglichkeiten zur Korrektur eines mandatsrelevanten Fehlers ist diejenige zu wählen, die dem Interesse am Bestand der gewählten Volksvertretung am stärksten Rechnung trägt. Eine Nichtigerklärung der gesamten Wahl setzt Wahlfehler von einem solchen Gewicht voraus, dass der Fortbestand der in dieser Weise gewählten Volksvertretung unerträglich erscheint.
Demgemäß kam eine Ungültigerklärung der gesamten Bundestagswahl 2021 im Land Berlin nicht in Betracht. Da nur in 339 von 2.256 Urnenwahlbezirken (15,03 %) Wahlfehler feststellbar waren, konnte der weit überwiegende Teil der Wahlberechtigten seine Stimme in Wahllokalen abgeben, die von erkennbaren Wahlfehlern nicht betroffen waren. Der Fortbestand der in dieser Weise gewählten Volksvertretung kann daher nicht als unerträglich angesehen werden.
Unerheblich ist insoweit, dass der Verfassungsgerichtshof Berlin eine vollständige Wiederholung der Wahl des Abgeordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlungen angeordnet hat. Einer Übertragung auf das vorliegende Verfahren steht entgegen, dass zwar nach dem äußeren Rahmen ein einheitliches Wahlgeschehen vorliegt, dieses aber auf der Basis unterschiedlicher Rechtsgrundlagen der Konstituierung unterschiedlicher Parlamente diente. Hinzu kommt, dass bei den Landeswahlen Wahlfehler (wie etwa die Verwendung kopierter Stimmzettel) auftraten, die bei der Bundestagswahl nicht feststellbar sind. Vor allem aber ging der Verfassungsgerichtshof Berlin davon aus, dass die von ihm festgestellten Wahlfehler 88 von 147 Sitzen und damit 60 % der Mitglieder des Abgeordnetenhauses betrafen.
Eine bloße Berichtigung des Wahlergebnisses ist nicht möglich. Es ist nicht konkret feststellbar, wie sich die Wahlfehler auf das Wahlergebnis ausgewirkt haben. Nach dem Gebot des geringstmöglichen Eingriffs ist die Bundestagswahl in Berlin daher in denjenigen Wahlbezirken, die mit mandatsrelevanten Wahlfehlern behaftet sind, und in den damit verbundenen Wahlbezirken für ungültig zu erklären.
Eine darüberhinausgehende Ausweitung der Ungültigerklärung der Wahl auf sechs der zwölf Berliner Bundestagswahlkreise scheidet demgegenüber aus. Die Beschwerdeführerin verweist darauf, dass vom Vorliegen weiterer, nicht nur auf bloße Einzelfälle beschränkter, wenn auch nicht dokumentierter Wahlfehler auszugehen sei. Dabei lässt sie außer Betracht, dass in Fällen, in denen nicht aufklärbar ist, ob ein Wahlfehler vorliegt, die Wahlprüfungsbeschwerde ohne Erfolg zu bleiben hat.
Nicht zu beanstanden ist, dass der Deutsche Bundestag angeordnet hat, die Wahl durchgängig als Zweistimmenwahl zu wiederholen. Einer auf die Zweitstimme beschränkten Wiederholung der Wahl steht entgegen, dass § 44 Abs. 2 BWahlG bestimmt, dass die Wiederholungswahl nach „denselben Vorschriften wie die Hauptwahl“ stattfindet. Soweit demgegenüber auf die Möglichkeit der teilweisen Ungültigerklärung gemäß § 44 Abs. 1 BWahlG verwiesen wird, hat die Vorschrift nicht die Unterscheidung zwischen Erst- und Zweitstimme zum Gegenstand, sondern ist mit Blick auf den gebotenen Bestandsschutz der gewählten Volksvertretung auf die räumliche Begrenzung der Wiederholungswahl gerichtet.
Gesondert zu würdigen ist der erst im Wahlprüfungsbeschwerdeverfahren bekanntgewordene Umstand, dass Wahlbriefe aus für ungültig erklärten Wahlbezirken umverteilt wurden, so dass sie nicht in das Ergebnis der vom Beschluss des Deutschen Bundestages umfassten Briefwahlbezirke, sondern in das Ergebnis anderer, nicht für ungültig erklärter Briefwahlbezirke eingingen.
Die Umverteilung von 1.080 Wahlbriefen aus fünf für ungültig erklärten Briefwahlbezirken auf sechs andere Briefwahlbezirke im Wahlkreis 81 war wahlrechtswidrig. Soweit Wahlbriefe eines Briefwahlbezirks, in dem die Wahl für ungültig zu erklären ist, in einem anderen Briefwahlbezirk ausgezählt wurden, der selbst nicht mit einem wahlfehlerhaften Urnenwahlbezirk verknüpft ist, werden die mit diesen Wahlbriefen abgegebenen Stimmen von der Ungültigerklärung nicht erfasst. Bei einer Wiederholungswahl blieben die im aufnehmenden Briefwahlbezirk ausgezählten Stimmen gültig. Zugleich könnte erneut eine gültige Stimme abgegeben werden. Hierdurch würde der Grundsatz der Gleichheit der Wahl verletzt. Daher war die Wahl auch in den Briefwahlbezirken, die Wahlbriefe aus für ungültig erklärten Briefwahlbezirken übernommen und ausgezählt haben, und den damit verbundenen Urnenwahlbezirken für ungültig zu erklären.
Die Umverteilung von erst am Wahltag eingegangenen Wahlbriefen in den Wahlkreisen 78, 79, 82, 83 und 86 auf ortsnahe Briefwahlbezirke stellt zwar einen Wahlfehler dar. Dieser kann bei der Anordnung der Wahlwiederholung aber außer Betracht bleiben. Das Risiko, dass Personen im Falle der Wiederholungswahl nochmals wählen oder überhaupt nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen können, ist angesichts der Zahl der insgesamt umverteilten Wahlbriefe auf Einzelfälle beschränkt und daher gegenüber dem Interesse am Bestand der gewählten Volksvertretung nachrangig.
Der Anordnung der Wiederholungswahl in den betroffenen Wahlkreisen steht die Veränderung des Elektorats durch Zu- und Fortzüge nicht entgegen. Zwar besteht auch in diesen Fällen das Risiko der Doppel- beziehungsweise Nichtwahl. Diese Wirkung stellt sich jedoch als notwendige Folge der gesetzlichen Regelungen für die Wiederholungswahl dar. § 44 BWahlG sieht nach sechs Monaten die Erstellung neuer Wählerverzeichnisse vor. Verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen bestehen nicht.