Das Verwaltungsgericht Kassel hat mit Beschluss vom 17.03.2021 zu den Aktenzeichen 6 L 562/21.KS und 6 L 573/21.KS zwei Eilanträgen von Antragstellern gegen Versammlungsverbote der Stadt Kassel für Samstag, den 20.03.2021, stattgegeben.
Aus der Pressemitteilung des VG Kassel Nr. 3/2021 vom 17.03.2021 ergibt sich:
Die Antragsteller meldeten bei der Stadt Kassel Versammlungen und Aufzüge zum Thema „Einhaltung der Grundrechte und Demokratie. Für Frieden, Freiheit und Solidarität“ sowie „Freie Bürger Kassel – Grundrechte und Demokratie“ für den Bereich der Schwanenwiese/Platz der Deutschen Einheit bzw. der Karlsaue für den 20. März 2021 an. Die Stadt Kassel verbot beide Versammlungen und Aufzüge mit Verfügung vom 12. März 2021. Zur Begründung führte sie aus, angesichts der steigenden Coronavirus-Infektionen müsse zum Schutz des Grundrechtes von Leben und Gesundheit das Recht des Antragstellers auf Versammlungsfreiheit zurücktreten. Zudem sei davon auszugehen, dass die Versammlungsteilnehmer sich weitgehend aus der sog. Querdenker-Szene zusammensetzten. Aufgrund von Erfahrungen von bundesweiten Querdenker-Protesten und auch Erfahrungen konkret in Kassel sei die Missachtung coronabedingter Auflagen nicht auszuschließen. Es müsse auch mit Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten gerechnet werden.
Hiergegen erhoben die Antragsteller jeweils Widerspruch bei der Stadt Kassel und stellten zugleich beim Verwaltungsgericht Kassel Eilanträge.
Das VG Kassel hat den Eilanträgen stattgegeben.
Die Versammlungsverbote seien offensichtlich rechtswidrig. Die Stadt Kassel habe die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Versammlungsfreiheit verkannt. Grundsätzlich könnten zwar Gefahren, die von einem erhöhten Infektionsrisiko ausgingen, geeignet sein, ein Versammlungsverbot zu rechtfertigen. Dies sei aber nur in Extremsituationen zulässig. Eine solche sei nicht anzunehmen. Derzeit bestehe keine akute Gefahr für eine Überforderung des Gesundheitssystems. Die Inzidenz bewege sich sowohl bundesweit als auch in Hessen und Kassel noch unter dem Wert von 100. Die Zahl der Verstorbenen sei massiv zurückgegangen. Dabei berücksichtigte das Gericht, dass die Verbote sich auch an Personen richteten, von denen weder objektiv noch dem Anschein nach eine Gefahr oder der tragfähige Verdacht einer Gefahrverursachung im Sinne einer Verbreitung für das Corona-Virus ausgehe.
Überdies sei zu beachten, dass durch andere Maßnahmen (Abstandhalten/Maskentragen etc.) die Infektionsgefahr soweit reduziert werden könne, dass sich ein Totalverbot als unverhältnismäßig erweise. So seien mildere Maßnahmen als ein Verbot möglich. Zum Beispiel könnten Auflagen zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen oder das Einhalten von Mindestabständen erfolgen. Die Stadt habe die Geeignetheit solcher Maßnahmen nicht mit einer tragfähigen Begründung ausgeschlossen. Die Stadt lege nicht konkret dar, weshalb gerade vorliegend ein qualifizierter Bezug zur sog. Querdenker-Szene bestehe. Das gelte auch für die Angaben der Stadt zu etwaigen Auflagenverstößen in der Vergangenheit. Es fehle des Weiteren an einer tragfähigen Begründung dafür, warum selbst verstärkter Einsatz polizeilicher Kontrollen die Einhaltung der Auflagen nicht sicherstellen könne. Die Stadt habe auch im Übrigen nicht herausgearbeitet und nachvollziehbar dargelegt, warum mildere Maßnahmen wie die Reduktion der Teilnehmerzahl oder ggf. eine Ortsverlegung nicht in Betracht kämen.
Das Versammlungsverbot sei auch nicht dadurch zu rechtfertigen, dass Gegendemonstrationen angemeldet worden seien. Dass die Stadt unter Hinzuziehung externer Polizeikräfte, Trennung von Versammlung, Gegendemonstration und möglichen anderen Kundgebungen, Verlegung des Versammlungsortes, nicht in der Lage wäre, die Sicherheit der Versammlung zu gewährleisten, habe die Stadt nicht konkret dargelegt.
Gegen die Beschlüsse steht den Beteiligten die Beschwerde an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zu.