Der Deutsche Anwaltverein (DAV) lehnt in seiner Stellungnahme zu den Trilog-Verhandlungen bezüglich einer Übergangsverordnung der Europäischen Kommission das verdachtsunabhängige Scannen von Inhaltsdaten als unverhältnismäßig ab.
Aus der Pressemitteilung des DAV vom 10.03.2021 ergibt sich:
Das Berufsgeheimnis müsse geschützt sein.
In den derzeit stattfindenden Trilog-Verhandlungen über einen Verordnungsvorschlag der Kommission über eine vorübergehende Ausnahme von bestimmten Vorschriften der Richtlinie 2002/58/EG hinsichtlich der Verwendung von Technik durch Anbieter nummernunabhängiger interpersoneller Kommunikationsdienste zur Verarbeitung personenbezogener und anderer Daten zwecks Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet (COM(2020) 568 final) zwischen EU-Parlament, Rat und Kommission wurde deutlich, dass die Übergangsverordnung Online-Kommunikationsdiensten erlauben würde, flächendeckend und verdachtsunabhängig mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz Inhalte zu scannen und dabei auch vertrauliche Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant bzw. anderen Berufsgeheimnisträgern zu umfassen – folglich ohne den Schutz des Berufsgeheimnisses zu gewährleisten. Im Verhandlungsmandat des EU-Parlaments von Dezember 2020 war das Berufsgeheimnis noch enthalten, doch in den Trilog-Verhandlungen wurde das Berufsgeheimnis, sowie viele andere prozessuale Absicherungen für Betroffene, wieder aus dem Text gestrichen.
Der DAV spricht sich ausdrücklich dafür aus, die Vorbereitung und Begehung von sexuellem Kindesmissbrauch und deren Verbreitung über das Internet durch wirksame Maßnahmen auf europäischer Ebene zu bekämpfen. Die von der Kommission vorgeschlagene Übergangs-VO würde jedoch eklatant unverhältnismäßige Eingriffe in die Freiheitsgrundrechte von Nutzern internet-basierter Kommunikationsdienste ermöglichen. Darüber hinaus lässt der Verordnungsvorschlag hinreichende prozessuale Absicherungen für Betroffene vermissen. Die anlasslose und umfassende Analyse von Inhaltsdaten und deren Übermittlung an staatliche Stellen im Fall echter oder vermeintlicher „Treffer“ führt letztlich zu einer vollständigen Aufhebung der Vertraulichkeit elektronischer Kommunikation. Bereits die inhaltliche Auswertung von Kommunikationsdaten stellt unabhängig von einer späteren Übermittlung an Dritte einen erheblichen Eingriff in Grundrechte dar, der einer Rechtfertigung bedarf. Zwar stellt die Bekämpfung von Kindesmissbrauch zweifellos einen legitimen Regelungszweck da, indes übersteigt die in Art. 3 der Übergangsverordnung geregelte Befugnis zur unterschiedslosen Analyse sämtlicher Kommunikationsinhalte evident die Grenzen der Verhältnismäßigkeit. Das Gesetzesvorhaben ist daher insgesamt abzulehnen.
Sollte die Übergangsverordnung trotzdem angenommen werden, fordert der DAV, dass jede automatisierte oder manuelle Auswertung von Kommunikationsdaten zum Zwecke der Verhütung und Verfolgung von Straftaten ausnahmslos an den Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung gemessen werden muss. Außerdem müssen Regelungen zum Schutz des Berufsgeheimnisses aufgenommen werden, wie sie etwa der Änderungsantrag 28 des Parlamentsberichts vorsieht. Das Berufsgeheimnis ist in einem Rechtsstaat unabdingbar und dient u.a. der Verwirklichung des Anspruchs auf ein faires Verfahren inklusive einer Verteidigung (Art. 6 EMRK), des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf inklusive der Beratung, Verteidigung und Vertretung (Art. 47 GRCh). Namentlich in Fällen, in denen Anwälte Opfer von Kindermissbrauch vertreten oder solcher Taten Beschuldigte verteidigen, würde die geplante Verordnung unweigerlich zu Eingriffen in die Vertraulichkeit von Mandatsbeziehungen führen. Ein solches Ergebnis wäre aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit sowie zum Schutze der Rechte von Mandanten und Rechtsanwälten schlechterdings inakzeptabel.
Weitere Information
Stellungnahme des DAV Nr. 25/2021 v. 10.03.2021 (PDF, 174 KB)