Der Landtag Nordrhein-Westfalen diskutiert derzeit eine Novelle des Versammlungsgesetzes. Der umstrittene Entwurf enthält unter anderem Regelungen zu Videoaufnahmen durch die Polizei, zur Versammlungsanmeldung sowie zu einer Verschärfung des Uniformierungsverbots. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) warnt davor, Bürgerinnen und Bürger durch einschneidende Begleitmaßnahmen von der Ausübung ihres Grundrechts abzuhalten.
Aus der Pressemitteilung des DAV vom 01.07.2021 ergibt sich:
Das nordrhein-westfälische Versammlungsgesetz will einen Ausgleich zwischen der grundrechtlich garantierten Versammlungsfreiheit und der öffentlichen Sicherheit schaffen – unter Berücksichtigung gesellschaftlicher und technischer Entwicklungen der letzten Jahre. Die schwarz-gelbe Landesregierung schießt mit ihrem Entwurf übers Ziel hinaus: „In der Gesamtschau des Entwurfs drängt sich der Eindruck auf, dass Versammlungen hier als etwas prinzipiell Störendes, jedenfalls als prinzipiell Gefährliches und zu Überwachendes angesehen werden und nicht als etwas, das in einer Demokratie zu fördern ist“, warnt Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler, Mitglied des DAV-Ausschusses Gefahrenabwehrrecht und Sachverständiger bei der Anhörung im Mai im Innenausschuss NRW.
Polizeiliche Videoaufnahmen
Nach dem Gesetzentwurf der Landesregierung soll die Polizei bei Versammlungen unter freiem Himmel unter bestimmten Voraussetzungen Übersichtsaufnahmen anfertigen dürfen. „Die Videobeobachtung beeinträchtigt die innere Versammlungsfreiheit, weil bereits die Möglichkeit einer Aufzeichnung eine Einschüchterungswirkung hat“, mahnt Achelpöhler. „Bürgerinnen und Bürger könnten von der Teilnahme an einer Versammlung abgeschreckt werden oder sich innerhalb dieser nicht frei bewegen.“ Wegen ihres Einschüchterungseffekts stellt der Einsatz von Videokameras immer einen Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit dar. Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch für Übersichtsaufnahmen, die nicht gespeichert werden.
Anmeldung – oder lieber nicht?
Versammlungen müssen grundsätzlich angemeldet werden – etwa um verkehrslenkende Maßnahmen zu ergreifen oder um die Gefahr gegenläufiger Kundgebungen einzuschätzen. Problematisch ist beim Regierungsentwurf jedoch die Sanktionsebene. So droht dem Leiter oder Veranstalter einer nicht angemeldeten Versammlung eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr – was in der Praxis mit der Effektivität der Gefahrenabwehr kollidieren kann, wie Achelpöhler skizziert: „Bei unangemeldeten Kleinversammlungen – etwa drei Demonstrantinnen mit einem Transparent vor dem Haupteingang eines Energieversorgers – wären die Teilnehmenden gut beraten, keinen Ansprechpartner für die Polizei zu benennen. Wer sich nämlich gegenüber der Polizei, auch in guter Absicht, als Ansprechperson zur Verfügung stellt, bringt sich in die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung.“ Eine Vermeidung der Kooperation zur Vermeidung einer Strafanzeige kann nicht im Sinne der Vorschrift sein.
Vom Uniformierungsverbot zum Militanzverbot
Das neue Versammlungsgesetz enthält auch ein Verbot von militantem Auftreten, etwa durch gleichartige Kleidung oder einschüchterndes Aufmarschieren rechtsextremer Gruppen oder auch linksradikaler Störer. Als Beispiel für gleichartige Kleidung sollen selbst die weißen Maler-Overalls – vielfach bei Klimaschutzdemos zu sehen – künftig verboten sein: Die Begründung des Gesetzentwurfs nennt sie in einem Atemzug mit Nazi-Uniformen von SA und SS. Auch hier geht der Entwurf zu weit: „Gleichartige Kleidung als Ausdruck einer gemeinsamen Meinungsäußerung ist etwas anderes als eine Uniformierung zum Ausdruck der Gewaltbereitschaft“, stellt Achelpöhler klar. „Das Verbot darf nicht an der bloßen Einheitlichkeit des Auftretens anknüpfen, sondern allein an der damit zum Ausdruck kommenden Gewaltbereitschaft.“
Am vergangenen Wochenende war es bei einer Demonstration gegen das heftig kritisierte Gesetz zu zahlreichen Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und der Polizei gekommen. Die Fraktionen von SPD und Grünen in NRW haben hierzu eine aktuelle Stunde im Landtag einberufen, die am heutigen Donnerstagvormittag stattfindet. Das umstrittene Versammlungsgesetz selbst soll voraussichtlich Anfang September wieder auf der Agenda des Landtags stehen. Dort wird zunächst die Abstimmung im Innenausschuss im Nachgang zur Anhörung im Mai erwartet. Einige Tage später soll das Plenum darüber entscheiden.