Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 08. August 2021 zum Aktenzeichen 2 BvR 171/20 entschieden, dass ein Beschwerdeführer in Strafsachen den Zugang bei sich oder seinem Bevollmächtigten mitteilen muss.
Gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG beginnt die Monatsfrist mit der Zustellung oder formlosen Mitteilung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung, wenn diese nach den maßgebenden verfahrensrechtlichen Vorschriften von Amts wegen vorzunehmen ist. Im Falle mehrfacher Bekanntmachung einer strafgerichtlichen Entscheidung beginnt der Lauf der Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG bereits mit der zuerst bewirkten Zustellung oder formlosen Mitteilung der den Rechtsweg beendenden Entscheidung.
Im Strafprozess erfolgt die Bekanntmachung von Entscheidungen von Amts wegen wahlweise durch Zustellung oder formlose Mitteilung, wenn die Entscheidungen – wie hier – nicht in Anwesenheit der betroffenen Person ergehen und keine strafprozessuale Frist in Gang setzen (vgl. § 35 Abs. 2 Satz 2 StPO).
Die fristauslösende Zustellung oder formlose Mitteilung im Strafverfahren kann dabei nicht nur an die von der Entscheidung betroffene Person, sondern auch an einen durch Rechtsgeschäft bestellten oder kraft Gesetzes ermächtigten Zustellungsbevollmächtigten erfolgen. Gemäß § 145a Abs. 1 StPO gelten der gewählte Verteidiger, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet, sowie der bestellte Verteidiger kraft Gesetzes als ermächtigt, Zustellungen und sonstige Mitteilungen für den Beschuldigten in Empfang zu nehmen.
Entscheidet sich das Strafgericht gemäß § 145a Abs. 1 StPO für eine Zustellung an den Wahl- oder Pflichtverteidiger, so wird der Beschuldigte hiervon unterrichtet und erhält gemäß § 145a Abs. 3 Satz 1 StPO zugleich formlos eine Abschrift der Entscheidung. Hierin liegt eine formlose Mitteilung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG.
Da § 145a Abs. 1 StPO nicht zur Zustellung oder sonstigen Mitteilung an den Wahl- oder Pflichtverteidiger verpflichtet und § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO keine Anwendung findet, kann umgekehrt ebenso eine Zustellung nur an den Beschuldigten erfolgen; in diesem Fall ist aber dem Verteidiger nach § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO eine Abschrift zu übermitteln (siehe auch Nr. 108 RiStBV). Auch dies stellt eine formlose Mitteilung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG dar und ist daher geeignet, die Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG auszulösen.
Angesichts dessen ist im Verfassungsbeschwerdeverfahren die Angabe aller Zugangszeitpunkte – also sowohl des Zugangs bei dem oder den Verteidiger(n) als auch beim Beschuldigten – oder die Klarstellung, dass nur eine einzige (gegebenenfalls formlose) Bekanntgabe erfolgt ist, jedenfalls dann erforderlich, wenn sich die Einhaltung der Monatsfrist nicht ohne Weiteres aus den Unterlagen ergibt. Ein differenzierter Vortrag zu den jeweiligen Zugangszeitpunkten wird insbesondere dann notwendig, wenn die Verfassungsbeschwerde über einen Monat nach dem Entscheidungsdatum der angegriffenen letztinstanzlichen Entscheidung beim Bundesverfassungsgericht eingeht und der Verteidiger einen Zugangszeitpunkt bei sich selbst angibt, nach dem die Verfassungsbeschwerde nur einen Tag vor Ablauf der Monatsfrist gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG erhoben wurde. Andernfalls kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschuldigte die Entscheidung bereits zu einem früheren Zeitpunkt erhalten hat.
Eine eigenverantwortliche Feststellung des Fristbeginns ist dem Bevollmächtigen im Verfassungsbeschwerdeverfahren auch zumutbar, da er diesen in aller Regel durch Austausch mit dem Beschwerdeführer oder durch Einsicht in die Gerichtsakte unproblematisch ermitteln kann.
Hiervon ausgehend kann im vorliegenden Verfahren auf Grundlage des Beschwerdevortrags nicht zuverlässig beurteilt werden, ob die Verfassungsbeschwerde die Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG wahrt. In der Verfassungsbeschwerdeschrift teilt der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers lediglich mit, dass der Beschluss vom 20. Dezember 2019 ihm am 2. Januar 2020 zugestellt worden sei. Zu einer Übermittlung der Entscheidung an den Beschwerdeführer verhält sich der Bevollmächtigte indessen nicht ausdrücklich.
Ein Vortrag zur Zustellung der Entscheidung an den Beschwerdeführer war hier aber erforderlich. Die Entscheidung des Landgerichts ist bereits am 20. Dezember 2019 ergangen. Wenn es für die Fristberechnung auf den Tag der Zustellung bei dem Bevollmächtigten ankäme, ist die Verfassungsbeschwerde erst am letzten Tag der Einlegungsfrist eingegangen. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Entscheidung dem Beschwerdeführer selbst in der Zeit zwischen dem 20. Dezember 2019 und dem 1. Januar 2020 zugestellt oder formlos mitgeteilt wurde. Für die Berechnung der Einlegungsfrist käme es dann auf diesen Zeitpunkt an, mit der Folge, dass die Verfassungsbeschwerde das Bundesverfassungsgericht nicht mehr rechtzeitig erreicht hätte.