Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 30.11.2022 zum Aktenzeichen 6 C 10.21 entschieden, dass Absolventen der zweiten juristischen Staatsprüfung haben gemäß Art. 15 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 5 Satz 1 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) einen Anspruch darauf, dass ihnen das Landesjustizprüfungsamt unentgeltlich eine Kopie der von ihnen angefertigten Aufsichtsarbeiten mitsamt den zugehörigen Prüfergutachten zur Verfügung stellt. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden.
Aus der Pressemitteilung des BVerwG Nr. 76/2022 vom 01.12.2022 ergibt sich:
Nachdem der Kläger im Jahr 2018 die zweite juristische Staatsprüfung vor dem Landesjustizprüfungsamt des beklagten Landes Nordrhein-Westfalen bestanden hatte, verlangte er von dem Amt unter Berufung auf die datenschutzrechtlichen Vorschriften, ihm unentgeltlich eine Kopie der von ihm angefertigten Aufsichtsarbeiten und der zugehörigen Prüfergutachten zur Verfügung zu stellen. Das Landesjustizprüfungsamt war zu einer Übermittlung der Kopien nur gegen Erstattung der nach dem Landeskostenrecht berechneten Kosten in Höhe von 69,70 € bereit und lehnte den Antrag des Klägers ab. Der von dem Kläger hiergegen erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen stattgegeben. Die von dem Land Nordrhein-Westfalen gegen dieses Urteil eingelegte Berufung hat das Oberverwaltungsgericht Münster zurückgewiesen. Die hiergegen eingelegte Revision des Landes Nordrhein-Westfalen ist vor dem Bundesverwaltungsgericht erfolglos geblieben.
Nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO hat die betroffene Person u.a. das Recht auf Auskunft über ihre personenbezogenen Daten. Gemäß Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO kann sie von dem Verantwortlichen die Überlassung einer Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, verlangen. Aus Art. 12 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Art. 15 Abs. 3 Satz 2 DSGVO ergibt sich, dass die erste derartige Kopie unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden muss. Durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ist seit dem Jahr 2017 geklärt, dass die schriftlichen Prüfungsleistungen in einer berufsbezogenen Prüfung und die Anmerkungen der Prüfer dazu wegen der in ihnen jeweils enthaltenen Informationen über den Prüfling insgesamt – das heißt letztlich Wort für Wort – personenbezogene Daten des Prüflings darstellen. Macht in diesen Fällen der betroffene Prüfling das Recht auf Erhalt einer unentgeltlichen ersten Datenkopie geltend, muss das Prüfungsamt eine vollständige Kopie der schriftlichen Prüfungsarbeiten und der zugehörigen Prüfergutachten unentgeltlich zur Verfügung stellen. Dies gilt nicht nur nach einem weiten Normverständnis, nach dem das Recht auf eine Datenkopie stets die Überlassung einer Reproduktion der Daten in der bei dem Verantwortlichen vorliegenden Form umfasst. Nichts Anderes folgt aus einem engeren Interpretationsansatz, nach dem grundsätzlich nur ein Anspruch auf die Zurverfügungstellung der aus dem jeweiligen Verarbeitungszusammenhang extrahierten personenbezogenen Daten oder auch nur einer strukturierten Zusammenfassung dieser Daten besteht. Denn ein solches Vorgehen ist bei Prüfungsarbeiten nicht möglich. Deshalb hat das Bundesverwaltungsgericht von einer Vorlage der Frage an den EuGH abgesehen, welcher Auffassung zu folgen ist.
Dem von dem Kläger geltend gemachten Anspruch stehen keine Ausschlussgründe nach der Datenschutzgrundverordnung entgegen. Insbesondere handelt es sich nicht um einen exzessiven Antrag im Sinne des Art. 12 Abs. 5 Satz 2 DSGVO. Der Umfang, den seine Bearbeitung nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts bei dem Landesjustizprüfungsamt verursacht, ist als vergleichsweise gering zu beurteilen. Der Anspruch bezieht sich vorliegend auf acht Klausuren mit insgesamt 348 Seiten. Durchgreifende Anhaltspunkte für eine rechtsmissbräuchliche Anspruchsverfolgung hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht verneint. Es hat ferner festgestellt, dass der fristgebundene Einsichtsanspruch nach dem nordrhein-westfälischen Juristenausbildungsgesetz den datenschutzrechtlichen Anspruch unberührt lässt. An diese Auslegung des Landesrechts ist das Bundesverwaltungsgericht gebunden.