Der Europäische Gerichtshof hatte zu entscheiden, ob eine Dienstleistung, die Taxikunden und Taxifahrer mittels einer elektronischen Anwendung unmittelbar miteinander in Kontakt bringt, zulassungsfrei betrieben werden darf.
Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 149/2020 vom 03.12.2020 ergibt sich:
Die Star Taxi App SRL, eine Gesellschaft mit Sitz in Bukarest (Rumänien), betreibt eine Smartphone-Applikation, die eine direkte Verbindung zwischen Taxikunden und Taxifahrern herstellt. Diese Applikation ermöglicht eine Suche, die dazu führt, dass eine Liste der für eine Fahrt zur Verfügung stehenden Taxifahrer angezeigt wird. Dem Kunden steht es dann frei, einen der aufgelisteten Fahrer zu wählen. Star Taxi App übermittelt weder die Aufträge an die Taxifahrer, noch legt sie den Fahrpreis fest, der am Ende der Fahrt direkt an den Fahrer entrichtet wird. Am 19.12.2017 erließ der Consiliul General al Municipiului București (Rat der Stadt Bukarest) den Beschluss Nr. 626/2017, mit dem die Pflicht, für die sog. Dispatching-Tätigkeit eine Zulassung einzuholen, auf Betreiber von IT-Anwendungen wie Star Taxi App ausgeweitet wurde. Wegen Verstoßes gegen diese Regelung wurde gegen Star Taxi App eine Geldbuße in Höhe von 4.500 rumänischen Lei (ca. 929 Euro) verhängt. Da Star Taxi App der Ansicht war, dass ihre Tätigkeit einen Dienst der Informationsgesellschaft darstelle, für den der in der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (ABl. 2000, L 178, 1) vorgesehene Grundsatz der Zulassungsfreiheit gelte, erhob sie beim Tribunalul București (Landgericht Bukarest) Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses Nr. 626/2017.
In diesem Zusammenhang fragt das Tribunalul București den EuGH, ob eine Dienstleistung, die darin besteht, Taxikunden und Taxifahrer mittels einer elektronischen Anwendung unmittelbar miteinander in Kontakt zu bringen, einen Dienst der Informationsgesellschaft darstellt. Für den Fall, dass diese Frage bejaht wird, möchte es vom EuGH wissen, ob eine Regelung wie der Beschluss Nr. 626/2017 mit dem Unionsrecht vereinbar ist (genauer geht es um die Art. 1 und 5 der Richtlinie (EU) 2015/1535 (ABl. 2015, L 241, 1), die Art. 3 und 4 der Richtlinie 2000/31, die Art. 9, 10 und 16 der Richtlinie 2006/123/EG (ABl. 2006, L 376, 36) sowie Art. 56 AEUV).
Nach Auffassung des EuGH stellt die von Star Taxi App angebotene Dienstleistung einen „Dienst der Informationsgesellschaft“ im Sinne der Definition in der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr dar, da diese Dienstleistung gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbracht wird. Der Umstand, dass ein solcher Dienst an die Person, die eine innerstädtische Fahrt unternehme oder unternehmen möchte, unentgeltlich erbracht werde, sei insoweit unbeachtlich, sofern der Dienst – wie hier – Anlass dafür sei, dass sein Anbieter mit jedem zugelassenen Taxifahrer einen Dienstleistungsvertrag schließe, in dessen Rahmen der Fahrer einen festen monatlichen Betrag zahle.
Allerdings falle eine Dienstleistung nach der Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 19.12.2019 – C-390/18 „Airbnb Ireland“ und Urt. v. 20.12.2017 C-434/15, Rn. 38 bis 44 „Asociación Profesional Elite Taxi“) unter Umständen nicht unter den Begriff „Dienst der Informationsgesellschaft“, obwohl sie die in der Definition enthaltenen Merkmale aufweise. Dies gelte insbesondere, wenn ein Vermittlungsdienst offensichtlich integraler Bestandteil einer Gesamtdienstleistung sei, die hauptsächlich aus einer rechtlich anders einzustufenden Dienstleistung bestehe. Insoweit sei festzustellen, dass die von Star Taxi App angebotene Dienstleistung auf einem bereits bestehenden und organisierten Taxiverkehrsdienst aufbaue. Zudem wähle der Dienstleister die Taxifahrer nicht aus und lege den Fahrpreis weder fest, noch erhebe er ihn; er kontrolliere auch weder die Qualität der Fahrzeuge und ihrer Fahrer noch das Verhalten der Fahrer. Folglich könne diese Dienstleistung nicht als integraler Bestandteil einer Gesamtdienstleistung angesehen werden, die hauptsächlich aus einer Verkehrsdienstleistung bestünde.
Sodann sei zu prüfen, ob eine Regelung wie der Beschluss Nr. 626/2017 mit dem Unionsrecht vereinbar sei. Insoweit hat der EuGH zunächst untersucht, ob ein solcher Beschluss eine technische Vorschrift darstellt. Die Informationsverfahrensrichtlinie 2015/1535 sehe nämlich vor, dass die Mitgliedstaaten der Kommission jeden Entwurf einer „technischen Vorschrift“ unverzüglich übermittelten. Eine nationale Regelung, die einen „Dienst der Informationsgesellschaft“ berühre, werde als „technische Vorschrift“ eingestuft, wenn sie speziell auf Dienste der Informationsgesellschaft abziele und u.a. für die Erbringung des betreffenden Dienstes oder seine Verwendung in einem Mitgliedstaat oder in einem großen Teil dieses Staates verbindlich sei. Da aber die rumänische Regelung in keiner Weise auf Dienste der Informationsgesellschaft Bezug nehme und ohne Differenzierung Dispatching-Dienste aller Art erfasse, gleich ob sie telefonisch oder mit einer IT-Anwendung erbracht werden, stelle sie keine „technische Vorschrift“ dar. Daraus folge, dass die Pflicht, Entwürfe „technischer Vorschriften“ vorab der Kommission zu übermitteln, für eine solche Regelung nicht gelte.
Den Mitgliedstaaten sei es nach der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr verboten, die Aufnahme und die Ausübung einer in der Erbringung von „Diensten der Informationsgesellschaft“ bestehenden Tätigkeit einer Zulassungspflicht oder einer sonstigen Anforderung gleicher Wirkung zu unterwerfen. Allerdings gelte dieses Verbot nicht für Zulassungspflichten, die – wie der Beschluss Nr. 626/2017 – nicht speziell und ausschließlich „Dienste der Informationsgesellschaft“ betreffen. Die Dienstleistungsrichtlinie 2006/1235 erlaube es den Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen, die Aufnahme einer Dienstleistungstätigkeit einer Zulassungsregelung zu unterwerfen. Diese Voraussetzungen seien folgende: Die Regelung dürfe nicht diskriminierend sein, sie müsse durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, und das angestrebte Ziel dürfe nicht mit milderen Mitteln erreicht werden können. Insoweit sei es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die Zulassungsregelung für Taxi-Dispatchingdienste durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sei. Eine Zulassungsregelung beruhe jedoch nicht auf Kriterien, die durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt seien, wenn die Erteilung der Zulassung von Anforderungen abhänge, die in technologischer Hinsicht nicht zu der betreffenden Dienstleistung passen.
Der EuGH ist zu folgendem Ergebnis gekommen:
Erstens stelle eine Dienstleistung, die darin bestehe, Taxikunden und Taxifahrer mittels einer elektronischen Anwendung unmittelbar miteinander in Kontakt zu bringen, einen „Dienst der Informationsgesellschaft“ dar, wenn sie nicht untrennbar mit dem Taxiverkehrsdienst verbunden und daher kein integraler Bestandteil von ihm sei.
Zweitens stelle eine Regelung einer örtlichen Behörde, mit der die Erbringung eines „Dienstes der Informationsgesellschaft“ einer Zulassungspflicht unterworfen werde, der andere Anbieter von Taxibestelldiensten bereits unterliegen, keine „technische Vorschrift“ im Sinne der Informationsverfahrensrichtlinie 2015/1535 dar.
Drittens stehe die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr dem nicht entgegen, dass auf Anbieter eines „Dienstes der Informationsgesellschaft“ eine Zulassungspflicht angewandt werde, die bereits für Anbieter von wirtschaftlich äquivalenten, keine Dienste der Informationsgesellschaft darstellenden Dienstleistungen gelte.
Viertens und letztens stehe die Dienstleistungsrichtlinie 2006/123 der Anwendung einer entsprechenden Zulassungsregelung entgegen, es sei denn, diese entspreche den in dieser Richtlinie genannten Kriterien, was das vorlegende Gericht zu prüfen habe.