Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 24.01.2019 – 9 UF 238/18 entschieden, ob sich der Antragsgegner im hiesigen, dem Anwaltszwang unterworfenen Verfahren selbst vertreten. Dies folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 78 Abs. 4 ZPO.
Der Anwaltszwang für die Hauptsache bzw. die Einlegung der Beschwerde folgt im vorliegenden Verfahren daraus, dass es sich bei der streitgegenständlichen Unterhaltssache um eine Familienstreitsache gemäß § 112 Nr. 1 FamFG handelt. In jeder Familienstreitsache müssen sich die Beteiligten vor dem Familiengericht in erster bzw. vor dem Oberlandesgericht in zweiter Instanz durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, § 114 Abs. 1 FamFG.
Insoweit ist auch der in der Beschwerdebegründung enthaltene Hinweis des Antragsgegners darauf, dass er möglicherweise bei anderer Betrachtung in dem das Aufenthaltsbestimmungsrecht des Antragstellers betreffenden Verfahren sich nicht ordnungsgemäß vertreten habe, verfehlt. Denn bei diesem Verfahren handelt es sich zwar um eine Familiensache (§ 111 Nr. 2 FamFG), aber eben nicht um eine Familienstreitsache, vgl. die abschließende Auflistung in § 112 FamFG. Mit dieser Kindschaftssache liegt vielmehr ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit vor, welches nur als Folgesache dem Anwaltszwang unterworfen ist, § 114 Abs. 1 FamFG. Außerhalb des Scheidungsverbundes und als isoliert geführte Kindschaftssache besteht gerade kein Anwaltszwang vor dem Familien- und Oberlandesgericht (allgemeine Ansicht, vergleiche nur Hüßtege in: Thomas/Putzo, ZPO/FamFG, 39. Aufl. 2018, § 114 FamFG Rn. 2). Erst von dem Bundesgerichtshof besteht – wie aus § 114 Abs. 2 FamFG folgt – auch in diesen (und damit in allen) Familiensachen Rechtsanwaltszwang.
Die (entsprechende) Anwendbarkeit des § 78 Abs. 4 ZPO, wonach sich ein vertretungsberechtigter Rechtsanwalt in eigener Angelegenheit selbst vertreten kann, folgt für die dem Rechtsanwaltszwang nach § 114 Abs. 1 FamFG unterworfenen Ehe- und Familienstreitsachen aus § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG. Nach dieser Vorschrift gelten die allgemeinen Vorschriften der ZPO sowie die Vorschriften der ZPO über das Verfahren vor den Landgerichten entsprechend. Damit findet auch der das Selbstvertretungsrecht regelnde § 78 Abs. 4 ZPO entsprechende Anwendung (ebenso Helms in: Prütting/Helms, FamFG, 4. Aufl. 2018, § 114 FamFG Rn. 13; i.E. – allerdings ohne nähere Problematisierung – Zimmermann in: Keidel, FamFG, 19. Aufl. 2017 § 10 Rn. 5; zweifelnd Toussaint in: MünchKomm/ZPO, 5. Auflage 2016 § 78 Rn. 28 – Fn. 66; a.A. Haußleiter, FamFG, 2. Aufl. 2017, § 114 Rn. 7).
Dem steht nicht entgegen, dass § 114 FamFG für den Rechtsanwaltszwang in Familiensachen eine spezielle Regelung enthält. Ebenso wenig steht dem entgegen, dass § 114 Abs. 4 FamFG, der Ausnahmen von dem Anwaltszwang in Familiensachen regelt, auf § 78 Abs. 4 ZPO keine Bezugnahme enthält (vielmehr wird in § 114 Abs. 4 Nr. 6 FamFG allein auf § 78 Abs. 3 ZPO Bezug genommen). Vielmehr stellt § 114 FamFG – jedenfalls bezogen auf das aus § 78 Abs. 4 ZPO folgende Selbstvertretungsrecht – keine abschließende Regelung dar.
§ 114 Abs. 1 FamFG regelt in systematischer Hinsicht nach dem Willen des Gesetzgebers den Rechtsanwaltszwang in Familiensachen in Anlehnung an § 78 ZPO (BT-Drucks.16/6308 S. 223 f.; s.a. BGH FamRZ 2017, 1151). Zwar enthält § 114 FamFG damit die grundlegenden Regelungen des Anwaltszwanges und dessen Ausnahmen in Familiensachen. Die Norm regelt den Anwaltszwang in Familiensachen aber allein vorrangig (Weber in: Keidel, FamFG, 19. Aufl. 2017 § 113 Rn. 9). Auch wenn insoweit im Verfahrensrecht grundsätzlich Erwägungen des Vertrauensschutzes für eine weitgehend am Gesetzeswortlaut angelehnte Auslegung sprechen (BVerfG NJW 2007, 2977; BGH FamRZ 2017, 1151), ist alleine aus § 114 FamFG und den fehlenden Verweis auf § 78 Abs. 4 ZPO nicht der Schluss zu ziehen, dass die letztgenannte Vorschrift im Rahmen des Familienverfahrensrechts keine Anwendung finden soll. Enthält ein Gesetz die Anordnung der sinngemäßen Anwendung der einen Norm, jedoch keine ausdrückliche Regelung zu einer anderen damit im Zusammenhang stehenden Norm, lässt dies noch nicht den Umkehrschluss zu, dass dann die andere Norm nicht gleichwohl entsprechende Anwendung finden kann (vgl. BGH FamRZ 1999, 1197 zum Verhältnis des für entsprechend anwendbar erklärten § 39 FGB/DDR zu dem nicht angeführten § 40 FGB/DDR). Dies zeigt sich beispielsweise auch anhand der Regelung des § 114 Abs. 5 FamFG, wonach es in Ehesachen insbesondere einer besonderen Prozessvollmacht bedarf, die dann auch Folgesachen mit erfasst. Einen darüber hinausgehenden Regelungsgehalt kommt dieser Vorschrift nicht zu, sie enthält also keine abschließende Regelung der Vollmacht in Familiensachen. Die allgemeinen Vorschriften über die Vollmacht in den §§ 80 ff. ZPO bleiben daher über § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG in Ehe- und Familienstreitsachen weiterhin anwendbar (allg. Ansicht, vgl. nur Hüßtege in: Thomas/Putzo, ZPO/FamFG, 39. Aufl. 2018, § 114 FamFG Rn. 11).
Hinzu tritt der Umstand, dass die in § 114 FamFG enthaltenen Ausnahmen vom Anwaltszwang sich nur auf besondere Fallkonstellationen beziehen. Ausnahmen bestehen für bestimmte Beteiligte (siehe insb. § 114 Abs. 3 S. 1 FamFG – Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts), für bestimmte (Familien)Verfahren (siehe § 114 Abs. 4 Nr. 1, 2 und 5 FamFG) bzw. für bestimmte Verfahrenshandlungen (siehe § 114 Abs. 4 Nr. 3, 4, 6 [letzterer i.V.m. § 78 Abs. 3 ZPO] und 7 FamFG). Insbesondere die Bezugnahme in § 114 Abs. 4 Nr. 6 FamFG auf § 78 Abs. 3 ZPO will bestimmte vor einem beauftragten oder ersuchten Richter oder vor einem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorzunehmende Rechtshandlungen vom Anwaltszwang ausnehmen (zu dieser Frage vgl. auch BGH FamRZ 2017, 1151). Der § 78 Abs. 4 ZPO bezieht sich dagegen auf die Person des Rechtsanwaltes, der in den mit Anwaltszwang versehenen Verfahren auftreten kann. Diese Norm enthält damit keine Ausnahme vom Anwaltszwang, sondern setzt diesen sogar voraus und betrifft daher einen anderen Regelungsbereich als in § 114 Abs. 3 oder Abs. 4 FamFG enthalten. Das Selbstvertretungsrecht ändert für das Anwaltsverfahren nichts an dem Grundsatz der Erforderlichkeit einer Verfahrensführung durch einen Rechtsanwalt, sondern macht lediglich die Vertretung durch einen anderen Rechtsanwalt entbehrlich (Toussaint in: MünchKomm/ZPO, 5. Auflage 2016 § 78 Rn. 28).
Im Übrigen sprechen auch Sinn und Zweck des in § 114 Abs. 1 FamFG normierten Anwaltszwanges, ein Selbstvertretungsrecht des eigenbeteiligten Rechtsanwaltes aus § 78 Abs. 4 ZPO (weiterhin) zuzulassen. Der Anwaltszwang in Familiensachen dient einerseits dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Rechtspflege, andererseits aber mit Blick auf die erheblichen Auswirkungen und die häufig existenzielle Bedeutung familiengerichtlicher Verfahren vor allem den Schutz der Beteiligten durch eine sachgerechte Rechtsberatung (BGH FamRZ 2017, 1151). Insoweit soll der Anwaltszwang vor allem eine Warn- und Beratungsfunktion für den rechtsunkundigen Beteiligten erfüllen (BGH FamRZ 2017, 1151). Diese Funktionen sind aber bei der Selbstvertretung eines Anwaltes gewahrt, da dieser selber vom Fach ist. Dass er möglicherweise nicht über spezialisierte Kenntnisse des Familienrechtes verfügt, steht dem nicht entgegen, da § 78 Abs. 4 ZPO oder auch § 114 Abs. 1 ZPO eine derartige Spezialisierung nicht voraussetzen. Zudem hat auch ein in der familienrechtlichen Materie unter Umständen weniger kenntnisreiche Rechtsanwalt aufgrund seines fachlichen Hintergrundes ohne weiteres die Möglichkeit, sich – anders als ein juristischer Laie – schnell in diese Materie einzuarbeiten.
Zuletzt spricht der aus der amtlichen Begründung zu § 114 FamFG hervorgehende gesetzgeberische Wille dafür, dass mit der Einführung des FamFG zum 1. September 2009 das Selbstvertretungsrecht in Familiensachen nicht entfallen sollte. Nach dem vor dem 1. September 2009 geltenden Rechtszustand konnten Rechtsanwälte sich in den dem Rechtsanwaltszwang unterworfenen Ehe- und Folgesachen stets selbst vertreten (vgl. z.B. Bergerfurth/Rogner, Der Ehescheidungsprozess, 15. Aufl. 2006 S. 19). Dies folgt aus dem im früheren Recht unmittelbar und auch für die früheren Familiensachen geltenden § 78 ZPO a.F., welcher im damaligen Abs. 6 (inhaltsgleich zum aktuellen § 78 Abs. 4 ZPO) das Selbstvertretungsrecht enthielt. Ein Willen des Gesetzgebers, daran etwas mit der Einführung des § 114 FamFG zum 1. September 2009 zu ändern, ist den Ausführungen des Gesetzgebers nicht zu entnehmen (vgl. auch Toussaint in: MünchKomm/ZPO, 5. Auflage 2016 § 78 Rn. 28 bei Fn. 66). Im Gegenteil ging der Gesetzgeber davon aus, dass für Ehesachen und Folgesachen die in § 114 FamFG getroffene Regelung mit dem bisherigen Rechtszustand übereinstimmte und insoweit allein eine Erweiterung des Anwaltszwangs für die (im alten Recht ohne Anwaltszwang ausgestatteten) familienrechtlichen Unterhaltsstreitigkeiten erfolgen sollte (BT-Drucks.16/6308 S. 223 f.).