Das Gericht der Europäischen Union hat am 14.04.2021 zum Aktenzeichen T-378/20 und T-379/20 entschieden, dass die von Schweden und Dänemark eingeführten Beihilfemaßnahmen zugunsten von SAS für die durch die Annullierung oder die Verschiebung von Flügen infolge der Reisebeschränkungen aufgrund der Covid-19-Pandemie entstandenen Schäden im Einklang mit dem Unionsrecht stehen.
Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 52/2021 vom 14.04.2021 ergibt sich:
Die Beihilfen stellen keine rechtswidrige Diskriminierung dar, da SAS in diesen beiden Mitgliedstaaten einen deutlich höheren Marktanteil als ihre größte Wettbewerberin hat.
Im April 2020 meldeten Dänemark und Schweden bei der Kommission zwei unterschiedliche Beihilfemaßnahmen zugunsten der Gesellschaft SAS AB an, bei denen es sich jeweils um eine revolvierende Kreditfazilität bis zum einem Höchstbetrag von 1,5 Mrd. schwedischen Kronen (SEK) handelte. Die von Schweden eingeführte Beihilfemaßnahme stellt eine Einzelbeihilfe dar, die Schweden SAS, bei der es sich um eine im Rahmen der Regelung über Darlehensgarantien zur Unterstützung aller schwedischen Luftfahrtunternehmen im Rahmen der COVID-19 Pandemie anspruchsberechtigte Gesellschaft handelt, zu gewähren beschlossen hat. Schweden hatte die Regelung vor der Anmeldung der Einzelbeihilfemaßnahme bei der Kommission angemeldet, und diese hatte sie am 11. April 2020 gemäß Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV genehmigt. Mit diesen Maßnahmen sollten die Schäden teilweise ausgeglichen werden, die SAS durch die Annullierung oder die Verschiebung ihrer Flüge infolge der im Rahmen der Covid-19 Pandemie eingeführten Reisebeschränkungen entstanden waren.
Mit Beschlüssen vom 15. April 2020 (C(2020) 2416 final der Kommission über die staatliche Beihilfe SA.56795 (2020/N) – Dänemark ) und vom 24. April 2020 (Beschluss C(2020) 2784 final der Kommission über die staatliche Beihilfe SA.57061 (2020/N) – Schweden) stufte die Kommission die angemeldeten Maßnahmen als nach Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbare staatliche Beihilfen (i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV) ein. Gemäß dieser Bestimmung sind Beihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind, mit dem Binnenmarkt vereinbar.
Das Luftfahrtunternehmen Ryanair hat Klagen auf Nichtigerklärung dieser Beschlüsse erhoben, die die Zehnte erweiterte Kammer des Gerichts der Europäischen Union jedoch abweist. Sie bestätigt in diesem Zusammenhang erstmals die Rechtmäßigkeit von Einzelbeihilfemaßnahmen als Reaktion auf die Auswirkungen der Covid-19 Pandemie im Hinblick auf Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV. In seinem Urteil vom 17. Februar 2021 (T-259/20 „Ryanair/Kommission“) prüfte das Gericht in ähnlicher Weise, ob die von Frankreich erlassene staatliche Beihilferegelung als Reaktion auf die Auswirkungen der Covid-19 Pandemie auf den französischen Luftverkehrsmarkt rechtmäßig ist. In seinem Urteil vom 14. April 202 (T-388/20 „Ryanair/Kommission“) hat das Gericht eine andere Einzelbeihilfemaßnahme auf der Grundlage von Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV geprüft.
Würdigung durch das Gericht
Als Erstes weist das Gericht den Klagegrund zurück, dass die gewährten Beihilfen mit dem Binnenmarkt unvereinbar seien, da mit ihnen die einer einzigen Gesellschaft entstandenen Schäden beseitigt werden sollten. Gemäß Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV kann eine Beihilfe zur Beseitigung von Schäden dienen, die durch außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind, selbst wenn durch sie nur ein einzelnes Unternehmen begünstigt wird, ohne dass sämtliche durch dieses Ereignis entstandenen Schäden beseitigt werden. Folglich hatte die Kommission nicht allein dadurch einen Rechtsfehler begangen, dass die Beihilfemaßnahmen zugunsten von SAS nicht all denen zugutekamen, denen aufgrund der COVID-19 Pandemie Schäden entstanden sind.
Als Zweites weist das Gericht den Klagegrund von Ryanair zurück, mit dem die Verhältnismäßigkeit der Beihilfemaßnahmen im Hinblick auf die SAS aufgrund der Covid-19 Pandemie entstandenen Schäden bestritten wurde. Zunächst gestattet es Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV nur, unmittelbar durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse entstandene wirtschaftliche Nachteile auszugleichen. In Anbetracht der stetigen Entwicklung der Pandemie und des Umstands, dass es sich bei der Bezifferung des SAS durch diese Pandemie entstandenen Schadens notwendigerweise um eine Prognose handelt, hatte die Kommission allerdings eine hinreichend konkrete Methode zur Berechnung dieses Schadens gewählt, um eine etwaige Überkompensation zu vermeiden. Die Kommission hat darauf hingewiesen, dass der Umfang des SAS entstandenen Schadens dem „Verlust des Mehrwerts“ entspreche, der in der Differenz zwischen den Einnahmen des Zeitraums vom März 2019 bis zum Februar 2020 und denen des Zeitraums vom März 2020 bis zum Februar 2021 bestehe, von dem zum einen die nicht angefallenen variablen Kosten, die auf Grundlage der zwischen März 2019 und Februar 2020 angefallenen Kosten berechnet worden seien, und zum anderen die Gewinnspanne hinsichtlich des Verlusts der Einnahmen abgezogen worden seien. Die Höhe des Schadens sei vorläufig unter Berücksichtigung einer Verringerung des Luftverkehrs zwischen 50 % und 60 % im Zeitraum von März 2020 bis Februar 2021 im Vergleich zum Zeitraum von März 2019 bis Februar 2020 ermittelt worden und entspreche einem Betrag zwischen 5 und 15 Mrd. SEK.
In diesem Zusammenhang betont das Gericht im Übrigen die von Dänemark und Schweden eingegangene Verpflichtung, bis spätestens zum 30. Juni 2021 eine nachträgliche Bewertung des SAS tatsächlich entstandenen Schadens vorzunehmen und unter Berücksichtigung sämtlicher Beihilfen, die SAS aufgrund der Covid-19 Pandemie – auch von ausländischen Behörden – gewährt werden könnten, gegebenenfalls die Rückzahlung der diesen Schaden übersteigenden Beihilfe von ihr zu fordern.
Als Drittes wird der Klagegrund eines angeblichen Verstoßes gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung zurückgewiesen. Eine Einzelbeihilfe begründet naturgemäß eine Ungleichbehandlung oder sogar eine Diskriminierung, die für ihren Charakter als Einzelmaßnahme kennzeichnend ist. Durch die Annahme, dass eine solche Beihilfe gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung verstoße, würde somit die Vereinbarkeit jeder Einzelbeihilfe mit dem Binnenmarkt systematisch in Frage gestellt, obwohl das Unionsrecht es den Mitgliedstaaten erlaubt, solche Beihilfen zu gewähren, sofern alle in Art. 107 AEUV vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind.
Im Übrigen kann die durch die betreffenden Maßnahmen geschaffene Ungleichbehandlung, selbst wenn sie einer Diskriminierung nach diesem Grundsatz gleichzusetzen wäre, gerechtfertigt sein, wenn sie zur Erreichung eines legitimen Ziels erforderlich, geeignet und angemessen ist. Soweit Ryanair auch auf Art. 18 AEUV verweist, stellt das Gericht zudem fest, dass diese Bestimmung unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbietet. Da aber Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV nach Ansicht des Gerichts zu den in den Verträgen vorgesehenen besonderen Bestimmungen gehört, setzt es seine Prüfung der betreffenden Maßnahmen auf dieser Grundlage fort.
Insoweit bestätigt das Gericht zum einen, dass der Zweck der betreffenden Maßnahmen die in Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV festgelegten Voraussetzungen erfüllt, da sie tatsächlich dazu dienen, die SAS durch ein außergewöhnliches Ereignis, nämlich die Covid-19 Pandemie, entstandenen Schäden teilweise zu beheben. Zum anderen ist die Ungleichbehandlung zugunsten von SAS geeignet, das Ziel dieser Maßnahmen zu erreichen, und geht nicht über das hinaus, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist, da SAS in Dänemark und Schweden den größten Marktanteil besitzt und dieser Markanteil deutlich höher ist als der ihrer größten Wettbewerberin in diesen beiden Ländern.
Als Viertes prüft das Gericht die Beschlüsse der Kommission im Hinblick auf den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassungsfreiheit. Es stellt in diesem Zusammenhang fest, dass Ryanair nicht dargelegt hat, weshalb der Ausschlusscharakter der Maßnahme geeignet sei, sie davon abzuhalten, sich in Dänemark oder in Schweden niederzulassen, oder Dienstleistungen von und nach Dänemark oder Schweden zu erbringen.
In der Rechtssache T-379/20 stellt das Gericht im Übrigen fest, dass die von Schweden angemeldete Beihilfemaßnahme gegenüber der schwedischen Beihilferegelung nach Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV zur Behebung der durch die COVID-19 Pandemie entstandenen Störung im Wirtschaftsleben Schwedens subsidiär ist. In seinem Urteil vom 17. Februar 2021 (T-238/20 „Ryanair/Kommission“) hat das Gericht die Klage von Ryanair gegen den Beschluss der Kommission abgewiesen, mit dem diese schwedische Beihilferegelung für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wurde.
Das Vorbringen, dass diese Maßnahme aus diesem Grund nicht dazu dienen könne, ein außergewöhnliches Ereignis im Sinne von Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV zu beseitigen, ist jedoch zurückzuweisen. Der AEU-Vertrag steht einer gleichzeitigen Anwendung von Art. 107 Abs. 2 Buchst. b und von Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV nicht entgegen, sofern die Voraussetzungen für jede dieser beiden Bestimmungen erfüllt sind. Dies gilt insbesondere, wenn die Tatsachen und die Umstände, die zu einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben führen, auf ein außergewöhnliches Ereignis zurückgehen.
Schließlich weist das Gericht die Klagegründe einer angeblichen Verletzung der Begründungspflicht als unbegründet zurück und stellt fest, dass es keiner Prüfung der Begründetheit des Klagegrundes einer Verletzung der aus Art. 108 Abs. 2 AEUV abgeleiteten Verfahrensrechte bedarf.