Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat mit Beschlüssen vom 28.08.2020 zu den Aktenzeichen 13 MN 299/20, 13 MN 307/20 entschieden, dass die vollständige Schließung von Prostitutionsstätten unverhältnismäßig ist und hat daher die Coronabedingte Schließung von Prostitutionsstätten vorläufig außer Vollzug gesetzt.
Aus der Pressemitteilung des OVG Lüneburg Nr. 42/2020 vom 28.08.2020 ergibt sich:
Das OVG Lüneburg hat über Normenkontrolleilanträge entschieden, die sich gegen die in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der (6.) Niedersächsischen Verordnung zur Neuordnung der Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 vom 10. Juli 2020 (im Folgenden: Corona-VO) angeordnete Schließung von Prostitutionsstätten, Bordellen und ähnlichen Einrichtungen sowie der Straßenprostitution richteten. In einem Verfahren hatte sich ein Vermieter von Prostitutionsfahrzeugen (sog. Lovemobilen) gegen die Schließung gewandt (13 MN 299/20).
Das OVG Lüneburg hat in diesem Verfahren festgestellt, dass Lovemobile begrifflich nicht unter § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Corona-VO fallen, und diesen Antrag daher mangels Antragsbefugnis des Antragstellers verworfen.
Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts hätte der Verordnungsgeber, wenn er die Bereitstellung von Prostitutionsfahrzeugen verbieten wollte, den entsprechenden Rechtsbegriff aus § 2 des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) verwenden müssen, der unter dem Oberbegriff „Prostitutionsgewerbe“ Prostitutionsstätten, Prostitutionsfahrzeuge, Prostitutionsveranstaltungen und Prostitutionsvermittlung regele.
Der Antragsteller des zweiten Verfahrens betreibt in Braunschweig eine derzeit geschlossene Prostitutionsstätte (13 MN 307/20). Er hat seinen Antrag im Wesentlichen damit begründet, dass das vollständige und ausnahmslose Verbot, Prostitutionsstätten, Bordelle und ähnliche Einrichtungen sowie die Straßenprostitution für den Publikumsverkehr und Besuche zu öffnen, eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber den seit längerem unter Schutz- und Hygieneauflagen zugelassenen sog. körpernahen Dienstleistungen darstelle und daher gegen das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoße.
Das OVG Lüneburg hat dem Antrag stattgegeben und hat die in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Corona-VO enthaltene Regelung vorläufig und mit allgemeinverbindlicher Wirkung außer Vollzug gesetzt.
Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts sind die gesetzlichen Voraussetzungen für ein staatliches Handeln auch angesichts des aktuellen Infektionsgeschehens weiterhin erfüllt. Die zuständigen Infektionsschutzbehörden seien allerdings verpflichtet, die Schutzmaßnahmen fortlaufend zu überprüfen und zu hinterfragen, ob es angesichts neuer Erkenntnisse etwa zu den Verbreitungswegen des Virus oder zur Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems verantwortet werden könne, die Schließung unter – gegebenenfalls strengen – Auflagen weiter zu lockern. In Bezug auf die in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Corona-VO enthaltene vollständige und ausnahmslose Schließungsanordnung spreche Überwiegendes dafür, dass diese Anordnung jedenfalls nicht mehr erforderlich sei, weil den Betreibern derartiger Einrichtungen mildere Beschränkungen auferlegt werden könnten, die den Gesundheitsschutz gleichermaßen fördern könnten.
Zu berücksichtigen sei zunächst, dass sich die Schließungsanordnung nur auf bestimmte Einrichtungen und auf die Anbahnung und Erbringung sexueller Dienstleistungen auf den und im Umfeld der öffentlichen Straßen und Anlagen (Straßenprostitution) beziehe, während die Ausübung der Prostitution z.B. in Privatwohnungen oder Hotelzimmern ebenso wenig verboten sei wie die Bereitstellung von Prostitutionsfahrzeugen. Vor diesem Hintergrund könne es nur um eine Minimierung, nicht um einen völligen Ausschuss einer Infektionsgefahr im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen gehen. Dieser Zweck könne auch durch spezielle Hygienekonzepte sowie der Erhebung der Kontaktdaten erreicht werden. Den von dem Antragsgegner vorgetragenen Bedenken, wonach von vornherein wegen des im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen vorstellbaren erhöhten Bedürfnisses der Kunden nach Diskretion eine Einhaltung derartiger Vorgaben nicht kontrollierbar sei, ist das Oberverwaltungsgericht mit eingehender Begründung nicht gefolgt. Die vollständige Schließung von Prostitutionsstätten sei daher unverhältnismäßig und verletze den Antragsteller in seinem Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG). Ob zugleich ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vorliege, könne daher offen gelassen werden.
Die vorläufige Außervollzugsetzung habe zur Folge, dass bis zu einer möglichen Neuregelung durch den Verordnungsgeber für sexuelle Dienstleistungen auch die in § 8 Abs. 1 der Corona-VO enthaltenen allgemeinen Regelungen für körpernahe Dienstleistungen (Erstellung eines Hygienekonzepts, Einhaltung von Abstand zwischen den Kunden, Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, Desinfektion nach jedem Kunden, Dokumentation der Kontaktdaten) Anwendung fänden.
Die Beschlüsse sind unanfechtbar.