Das Thüringer Oberverwaltungsgericht in Weimar hat am 29.04.2020 zum Aktenzeichen 3 EO 254/20 entschieden, dass die infektionsschutzrechtliche Untersagung von Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung in besonderen Wohnformen zu unbestimmt und unverhältnismäßig ist und die entsprechende Bestimmung der Verordnung der Thüringer Gesundheitsministerin vorläufig außer Vollzug gesetzt.
Aus der Pressemitteilung des Thür. OVG Nr. 8/2020 vom 29.04.2020 ergibt sich:
Die – bundesweit einmalige – Regelung in § 10 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Dritten Thüringer SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung lautet:
„Angebote der Eingliederungshilfe für diejenigen Menschen mit Behinderung, die
1. sich in besonderen Wohnformen (ehemaliges stationäres Wohnen) befinden,
…
sind untersagt. Abweichend von Satz 1 bleiben Versorgungsangebote weiter zulässig, soweit eine dringende medizinische, psychologische oder ethisch-soziale Notwendigkeit für sie vorliegt.“
Die Antragstellerin, eine anerkannte Trägerin der Eingliederungshilfe, die u.a. zwei Einrichtungen mit besonderer Wohnform für Menschen mit geistigen Behinderungen bzw. für psychisch kranke und seelisch behinderte Menschen in Ostthüringen betreibt, hatte befürchtet, wegen dieser Regelung ihre gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den von ihr betreuten Menschen nicht mehr erbringen zu können und die Betreuten damit in eine hilflose Lage zu bringen.
Das OVG Weimar hat entschieden, dass die Bestimmung schon zu unbestimmt ist.
Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts bietet Satz 2 der Vorschrift, der Ausnahmen bei Vorliegen einer dringenden medizinischen, psychologischen oder ethisch-sozialen Notwendigkeit ausdrücklich zulässt, in dieser durch die Corona-Pandemie herbeigeführten Ausnahmesituation keine klare Handlungsanweisung, was von den Betroffenen bzw. den Hilfe gewährenden Stellen verlangt wird, bzw. was ihnen erlaubt oder verboten ist.
Die Regelung sei ferner überwiegend ungeeignet, das Ziel von Kontaktbeschränkungen zum Zwecke der Infektionsverhinderung zu erreichen. Die Eingliederungshilfe werde häufig in Form von Geld- oder Sachleistungen gewährt, die nicht per se mit einem physischen Kontakt verbunden seien. Soweit die Eingliederungshilfe als Dienstleistung durch die die jeweilige Wohngruppe betreuenden Fachkräfte geleistet werde, sei zu berücksichtigen, dass die Fachkräfte schon aufgrund der auch von der Verordnung erlaubten Tätigkeit im Rahmen der Grundversorgung der Wohngruppe mit den von ihnen betreuten Menschen in einem unmittelbaren Kontakt stünden. Die bislang untersagten Leistungen der Eingliederungshilfe begründeten deshalb in diesem Rahmen keine zusätzliche Gefahrenquelle für eine Infizierung.
Soweit die Untersagung auch Leistungen der medizinischen Rehabilitation sowie der Teilhabe am Arbeitsleben und an Bildung beträfen, bestehe kein rechtlicher Grund, Menschen mit Behinderung nach Öffnung von Einrichtungen, die diese Leistungen erbringen, auszuschließen.
Zur Klarstellung hat das OVG Weimar die Maßgaben erlassen, dass Dienstleistungen im Rahmen der sozialen Teilhabe von den in der Wohngruppe ohnehin tätigen Betreuern zu erbringen sind. Die Eingliederungshilfe im Rahmen einer Gruppenbetreuung dürfe nur Menschen mit Behinderung in ihrer besonderen Wohnform offenstehen.
Der Beschluss ist unanfechtbar.