Das Thüringer Oberverwaltungsgericht in Weimar hat mit Beschluss vom 10.04.2020 zum Aktenzeichen 3 EO 248/20 entschieden, dass die von einer politischen Partei und ihres Thüringer Landesvorsitzenden beabsichtigte Versammlung zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald am 11.04.2020 auf dem ehemaligen Appellplatz des Geländes verboten bleibt.
Aus der Pressemitteilung des Thür. OVG Nr. 6/2020 vom 10.04.2020 ergibt sich:
Die Antragsteller begehren eine einstweilige Anordnung gegen das vom Thüringer Gesundheitsministerium mit der am 07.04.2020 erlassenen Zweiten Thüringer Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 (Zweite Thüringer SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung – 2. ThürSARS-CoV-2-EindmaßnVO) in § 3 Abs. 1 angeordnete Versammlungsverbot und die damit verbundene Einschränkung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG.
Das OVG Weimar hat den Eilantrag abgelehnt.
Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist nicht ernstlich streitig, dass es sich bei der Coronavirus-Krankheit COVID-19 um eine nach dem Infektionsschutzgesetz zu bekämpfende im gesamten Bundesgebiet verbreitete übertragbare Krankheit handele. Die zuständige Stelle sei in einer solchen Situation zum Handeln verpflichtet. Ihr bleibe lediglich ein Ermessen hinsichtlich der Auswahl der zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten anzuwendenden notwendigen Schutzmaßnahmen, die sich, solange sie erforderlich seien, auch an Dritte richten dürften.
Entgegen der Auffassung der Antragssteller habe das Oberverwaltungsgericht keine Zweifel daran, dass die erforderlichen Schutzmaßnahmen auch zeitlich beschränkte Versammlungsverbote umfassen könnten. Es spreche auch einiges dafür, dass das angegriffene Versammlungsverbot jedenfalls derzeit noch verhältnismäßig sei. Denn nach der Einschätzung des Robert-Koch-Instituts drohe angesichts des hochdynamischen, exponentiell verlaufenden Infektionsgeschehens mit teils schweren Krankheitsfällen in absehbarer Zeit ohne wirksame Gegenmaßnahmen eine Überlastung des Gesundheitswesens. Der Erhalt der Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens stelle ein überragendes Gemeinwohlinteresse dar, das der Staat schützen müsse. Vor diesem Hintergrund erweise sich das Versammlungsverbot mit gewisser Wahrscheinlichkeit als zur Zweckerreichung geeignetes und erforderliches Mittel, denn es liege auf der Hand, dass es bei Versammlungen, deren Basis ein gemeinschaftliches Tun ist, regelmäßig zu einer Vielzahl von Kontakten der in einer engen körperlichen Nähe zueinander stehenden Versammlungsteilnehmer kommen könne und darauf auch angelegt sei. Hinzukomme, dass häufig durch lautes Rufen, Skandieren und die körperliche Nähe als wesentliche Elemente einer Versammlung der verstärkte und weiterreichende Ausstoß von möglicherweise infektiösen Aerosolen konkret zu befürchten sei. Die Unterbindung solcher Zusammenkünfte sei daher grundsätzlich geeignet, die Entstehung von Infektionsketten zu vermeiden. Selbst wenn innerhalb des Versammlungsgeländes die Beachtung von weitgehenden Sicherheits- und Hygienestandards kontrollierbar wäre, gelte dies nicht mehr für mögliche Ansammlungen beim ankommenden und abfahrenden Verkehr, also beim Betreten und Verlassen des Versammlungsbereichs.
Es sei aber offen und könne im vorliegenden Eilverfahren nicht abschließend beantwortet werden, ob das völlige Verbot von Versammlungen gerechtfertigt sei oder Versammlungen jedenfalls unter bestimmten strengen zeitlichen und sachlichen Auflagen zu erlauben seien, so dass das Oberverwaltungsgericht aufgrund einer Folgenabwägung entscheiden müsse. Es habe in der Vergangenheit wiederholt betont, dass das Grundrecht der Versammlungsfreiheit als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit und als eines der vornehmsten Menschenrechte einen hervorragenden Rang genieße, weil es für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung konstituierend sei. Erst die Versammlungsfreiheit ermögliche die ständige geistige Auseinandersetzung und den Kampf der Meinungen als Lebenselement dieser Staatsform.
Werde dieses Recht eingeschränkt, bedeute dies, dass der Staat eine fortwährende Beobachtungs- und Überprüfungspflicht habe. Insbesondere habe er laufend zu kontrollieren, ob bestehende Einschränkungen schon zu einem früheren Zeitpunkt nicht mehr erforderlich seien oder sich als weitgehend nutzlos erwiesen. In diesem Fall müssten sie umgehend aufgehoben oder modifiziert werden. Wegen der herausragenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit werde unverzüglich zu prüfen sein, ob durch Auflagen dem erforderlichen Gesundheitsschutz Rechnung getragen werden könne.
Das Oberverwaltungsgericht verkenne bei seiner Entscheidung nicht, dass der den Antragstellern durch eine ablehnende Entscheidung drohende Rechtsverlust auch teilweise irreversibel sei, weil die beabsichtigte Versammlung auf den Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald fixiert sei. Allerdings sei auch zu berücksichtigen, dass die Einschränkungen ihres Versammlungsrechts zeitlich limitiert sind und das Gedenken vor Ort zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden könne, wie dies auch für andere Veranstaltungen aus Anlass des Jahrestages beabsichtigt sei. Es sei auch zu bedenken, dass sich Öffentlichkeit für eine – im Übrigen nicht eingeschränkte – gemeinsame Meinungskundgabe auch durch den Einsatz moderner digitaler Medien erzeugen lasse.
Würde man allerdings die Versammlung zulassen, würde es der Gleichbehandlungsgrundsatz gebieten, in naher Zukunft auch andere Versammlungen ausnahmsweise zuzulassen. Damit träte eine dem Gefahrabwehrkonzept des Antragsgegners vollständig zuwiderlaufende Situation ein, die unmittelbar zu einer Verstärkung von Infektionsketten und damit einer Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems führen könnte. Eine solche Möglichkeit werde durch die Entwicklungen in anderen Regionen Europas und in Übersee eindrücklich konkret belegt.
Der Beschluss ist unanfechtbar.