Das Landessozialgericht Baden-Württemberg in Stuttgart hat am 02.06.2021 zum Aktenzeichen L 5 BA 142/20 entschieden, dass der Chefdirigent des Philharmonieorchesters Konstanz nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegt.
Aus der Pressemitteilung des LSG BW vom 23.06.2021 ergibt sich:
Der Kläger D ist ausgebildeter Violinist und Dirigent. Seit September 2016 leitet er als Chefdirigent das Philharmonieorchester der Stadt Konstanz auf der Grundlage eines fünfjährigen Dirigentenvertrages. Ende September 2016 beantragte die Stadt Konstanz beim beklagten Rentenversicherungsträger, den sozialversicherungsrechtlichen Status des Chefdirigenten festzustellen. Mit Bescheid vom Januar 2017 stellte die Beklagte ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis des D zur Stadt Konstanz fest. Denn D habe den organisatorischen Rahmen einzuhalten, der durch die Stadt einseitig vorgegeben werde. Laut Dirigentenvertrag habe die Stadt die Rechtsmacht, die Durchführung der Beschäftigung einseitig zu bestimmen. Ein unternehmerisches Risiko trage D nicht.
Auf die hiergegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht Konstanz den Bescheid aufgehoben und festgestellt, dass die Tätigkeit des D als Chefdirigent bei der Stadt nicht der Versicherungspflicht unterliegt. Nach Gesamtabwägung aller Umstände sei D selbstständig für die Stadt tätig.
Der 5. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Die Tätigkeit eines Dirigenten könne grundsätzlich sowohl als Beschäftigung als auch im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses ausgeübt werden. Hier überwögen die Indizien, die für eine selbstständige Tätigkeit des D als Chefdirigent des Philharmonieorchesters sprechen. Insbesondere fehle es in wesentlichen Bereichen an einem Weisungsrecht der Stadt Konstanz gegenüber dem Chefdirigenten und an einer relevanten betrieblichen Eingliederung. D trage das volle Ausfallrisiko, dass Konzerte nicht zur Aufführung gebracht werden könnten. Könne D die Konzerte, für die er unter Umständen über Monate hinweg mit dem Orchester geprobt habe, aus welchen Gründen auch immer nicht aufführen, gingen ihm rund 80 % seines Honorars verloren. D lege auch die Konzerttermine fest und habe das Letztentscheidungsrecht über die Probentermine. An Arbeitszeiten sei er nicht gebunden. Nur etwa 1/3 der von ihm international dirigierten Konzerte erbringe er im Auftrag der Stadt. Zudem trete er werbend am Markt auf und bediene sich eines Managements. Die Stadt habe zudem nur ein Vetorecht bei der Auswahl von Stücken, die nicht im Einklang mit dem Charakter oder den finanziellen Mitteln der Philharmonie stehen. Im Übrigen habe sie hiervon auch keinen Gebrauch gemacht. D habe auch nicht die Rolle eines Vorgesetzten eingenommen, indem er bezüglich unpünktlicher Orchestermitglieder zusammen mit der Stadt nach „Lösungen“ gesucht habe. Er sei auch nicht deshalb in den Betrieb der Stadt eingegliedert, weil er sich vertraglich verpflichtet habe, die Philharmonie bei drei der Stadt Konstanz wichtigen Veranstaltungen zu repräsentieren. Eine solche Vereinbarung sei dem Umstand geschuldet, dass sich die Stadt mit der Verpflichtung des D als international renommierten Künstler (ähnlich dem Trainer einer Fußballmannschaft) „eine Marke eingekauft“ habe, mit der sie nach außen hin wahrgenommen werden und Werbung machen möchte.