Bundesverfassungsgericht: Umgangsverfahren mit mangelhafter Begründung, fehlender Anhörung der Kinder und Befristung des Umgangsausschlusses können verfassungswidrig sein

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 25. Juni 2021 zum Aktenzeichen 1 BvR 2027/20 entschieden, dass in Verfahren wegen dem Umfang der Eltern mit ihren Kindern eine mangelhafte Begründung, die fehlende Anhörung der Kinder und eine Befristung des Umgangsausschlusses verfassungswidrig sein kann.

Der Beschwerdeführer ist der Vater einer im Jahr 2009 geborenen Tochter und eines im Jahr 2011 geborenen Sohnes, die beide bei ihrer Mutter leben. Nach einer Urlaubsreise des Beschwerdeführers mit der Tochter im Jahr 2019 verblieb die Tochter zunächst beim Beschwerdeführer und erklärte, bei ihm leben zu wollen. Der Sohn hatte die Teilnahme an der Reise verweigert. Nach einem Wechsel in den Haushalt der Mutter äußerte die Tochter sodann, bei dieser leben zu wollen.

In einem daraufhin eingeleiteten Umgangsverfahren wurden die Kinder angehört. Die Tochter erklärte nunmehr, den Beschwerdeführer nicht oder allenfalls unter Aufsicht treffen zu wollen. Der Sohn wünschte, keinen Kontakt zum Beschwerdeführer zu haben. In der Folge wurde aufgrund von Berichten der Tochter der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs gegen den Beschwerdeführer erhoben und ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Mit angegriffenem Beschluss vom 14. Januar 2020 schloss das Amtsgericht sodann das Umgangsrecht des Beschwerdeführers mit der Tochter für die Dauer des Ermittlungsverfahrens aus. Bezüglich des Sohnes regelte es das Umgangsrecht dahingehend, dass der Beschwerdeführer Umgang mit seinem Sohn „2x monatlich für zwei Stunden in begleiteter Form in Gegenwart von zwei Aufsichtspersonen einer Jugendhilfeeinrichtung“ hat. Das Oberlandesgericht wies eine hiergegen eingelegte Beschwerde des Beschwerdeführers mit angegriffenem Beschluss vom 15. Juli 2020 zurück.

Besteht Streit über die Ausübung des Umgangsrechts, haben die Fachgerichte eine Entscheidung zu treffen, die sowohl die Grundrechtspositionen der Eltern als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigt. Die Gerichte müssen sich im Einzelfall um eine Konkordanz der verschiedenen Grundrechte bemühen. Eine Einschränkung oder ein Ausschluss des Umgangsrechts ist nur veranlasst, wenn nach den Umständen des Einzelfalls der Schutz des Kindes dies erfordert, um eine Gefährdung seiner seelischen oder körperlichen Entwicklung abzuwehren.

Die von den Fachgerichten getroffenen tatsächlichen Feststellungen und die von ihnen im Einzelnen vorgenommene Abwägung hat das Bundesverfassungsgericht nicht nachzuprüfen. Der verfassungsgerichtlichen Prüfung unterliegt jedoch, ob fachgerichtliche Entscheidungen auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts beruhen. Die Intensität dieser Prüfung hängt davon ab, in welchem Maße von der Entscheidung Grundrechte beeinträchtigt werden.

Grundrechtsschutz ist auch durch die Gestaltung des Verfahrens sicherzustellen; das gerichtliche Verfahren muss in seiner Ausgestaltung geeignet und angemessen sein, um der Durchsetzung der materiellen Grundrechtspositionen wirkungsvoll zu dienen. Diesen Anforderungen werden die Gerichte nur gerecht, wenn sie sich mit den Besonderheiten des Einzelfalls auseinandersetzen, die Interessen der Eltern sowie deren Einstellung und Persönlichkeit würdigen und auf die Belange des Kindes eingehen. Der Wille des Kindes ist zu berücksichtigen, soweit das mit seinem Wohl vereinbar ist. Voraussetzung hierfür ist, dass das Kind in dem gerichtlichen Verfahren die Möglichkeit erhält, seine persönlichen Beziehungen zu den Eltern erkennbar werden zu lassen. Die Gerichte müssen ihr Verfahren deshalb so gestalten, dass sie möglichst zuverlässig die Grundlage einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung erkennen können.

Aus den Begründungen der angegriffenen Entscheidungen allein ist nicht erkennbar, ob die Gerichte diesen Anforderungen gerecht geworden sind.

Das Oberlandesgericht bezieht sich auf die aus seiner Sicht zutreffenden und umfassenden Ausführungen des Amtsgerichts. Dessen Begründung erschöpft sich jedoch in der Feststellung einer nicht näher beschriebenen Gefährdung des Wohls beider Kinder bei der Durchführung eines uneingeschränkten Umgangsrechts und der Annahme, die getroffene Regelung sei zur Abwehr dieser Gefährdung erforderlich. Im Übrigen nimmt das Amtsgericht ausschließlich Bezug auf die hier nicht vorgelegten Berichte des Jugendamts und des Verfahrensbeistands. Auch unter Berücksichtigung der ergänzenden Ausführungen des Oberlandesgerichts ergibt sich jedenfalls aus den angegriffenen Entscheidungen selbst nicht, dass die Fachgerichte hier alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt und in der Entscheidung abgewogen haben und ob ihre Annahme, das Wohl beider Kinder sei bei Durchführung eines weitergehenden Umgangs gefährdet, auf einer tragfähigen Grundlage beruht.

Das Oberlandesgericht begründet nicht weiter, auf welcher Grundlage es den in der vom Amtsgericht im Oktober 2019 durchgeführten Anhörung geäußerten Willen der Kinder für nachhaltig und überzeugend hält. Nachdem die Tochter zuvor im August 2019 ebenfalls in einer gerichtlichen Anhörung einen gegenteiligen Willen geäußert hatte, bestand Anlass, die Nachhaltigkeit des geäußerten Willens eingehender zu prüfen.

Die angegriffenen Entscheidungen selbst enthalten zur Begründung der angenommenen Kindeswohlgefährdung bis auf die Bezugnahme auf den geäußerten Willen der Kinder und die generelle Aussage, aus dem laufenden Ermittlungsverfahren resultiere eine Gefährdung des Wohls der Tochter bei der Durchführung des Umgangs keine weiteren eigenen Ausführungen. Ob insoweit eine einzelfallbezogene Prüfung erfolgt ist und warum die Fachgerichte fachlich begleitete Umgänge des Beschwerdeführers mit der Tochter nicht für mit dem Kindeswohl vereinbar hielten, ergibt sich aus den Entscheidungen nicht. Soweit das Oberlandesgericht eine Kindeswohlgefährdung der Tochter im Zusammenhang mit ihrer (möglichen) Stellung als Zeugin in dem gegen den Beschwerdeführer geführten, den Vorwurf deren sexuellen Missbrauchs betreffenden Strafverfahren annehmen sollte, fehlen nähere Ausführungen. Auf die Frage ihres Zeugnisverweigerungsrechts aus § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO, für dessen Ausübung (§ 52 Abs. 2 Satz 2 StPO) die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft nach § 1909 Abs. 1 Satz 1 BGB in Frage kommen könnte, und dessen eventuelle Bedeutung für eine auch aus der Beteiligung am Strafverfahren resultierende Gefährdung des Kindeswohls geht die Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht ein. Ebenso wenig begründen die Fachgerichte, warum sie unter Berufung auf den Willen der Kinder einen begleiteten Umgang mit dem Sohn und den Ausschluss des Umgangs mit der Tochter angeordnet haben, während der Sohn in der Anhörung durch das Amtsgericht jeglichen Umgang mit dem Beschwerdeführer ablehnte und die Tochter einen begleiteten Umgang zumindest für möglich hielt. Ob insoweit weitere Erkenntnisse im Verfahren vorlagen, teilt die Verfassungsbeschwerde nicht mit. Aber auch aus den angegriffenen Entscheidungen ist dies nicht ersichtlich.

Im Hinblick auf die Verfahrensgestaltung des Oberlandesgerichts erscheint bedenklich, dass es von einer eigenen Anhörung der Kinder abgesehen hat. Grundsätzlich ermöglicht zwar § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG das Absehen von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise. Vorliegend erscheint es jedoch bedenklich, dass das Oberlandesgericht das Absehen von der Anhörung der Kinder damit begründet, dass sie kürzlich vom Amtsgericht angehört worden seien, obwohl die letzte Anhörung durch das Amtsgericht zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts bereits neun Monate zurücklag. Auch insoweit kann ohne die in Bezug genommenen Unterlagen nicht abschließend überprüft werden, ob trotz des nicht unbeträchtlichen Zeitraums seit der amtsgerichtlichen Anhörung die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen des Absehens von der erneuten Anhörung vorlagen.

Die Regelung des Umgangs des Beschwerdeführers mit dem Sohn dürfte zudem den einfachrechtlichen Anforderungen an eine vollstreckbare Umgangsregelung nicht genügen. Diese erfordert eine erschöpfende Bestimmung des Umgangs nach Art, Ort und Zeit. Die angeordnete Umgangsregelung enthält aber weder den Ort noch den genauen Zeitpunkt des Umgangs noch regelt sie hinreichend bestimmt, welche Jugendhilfeeinrichtung und welche Fachpersonen den Umgang begleiten sollen. Mangels einer diesbezüglichen Rüge des Beschwerdeführers kann nicht festgestellt werden, ob aufgrund der fehlenden Vollstreckbarkeit der Regelung auch Grundrechte des Beschwerdeführers beeinträchtigt werden.

Auch die Befristung des Ausschlusses des Umgangs des Beschwerdeführers mit seiner Tochter bis zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens begegnet zumindest Bedenken. Diese Befristung könnte unverhältnismäßig sein, weil kein nach dem Kalender bestimmbares Ereignis zur Beendigung des Umgangsausschlusses gewählt wurde, sondern ein Ereignis, dessen Eintrittszeitpunkt nicht absehbar ist. Dabei ist es nicht fernliegend, dass das fragliche Ermittlungsverfahren erst nach geraumer Zeit abgeschlossen werden kann, so dass der angeordnete Umgangsausschluss möglicherweise für eine sehr lange Zeit gilt, was ein sehr schwerer Eingriff in das Elternrecht des Beschwerdeführers wäre. Aus den gerichtlichen Entscheidungen wird weder ersichtlich, dass sich die Gerichte dessen bewusst waren, noch, von welcher Dauer des Ermittlungsverfahrens sie grundsätzlich ausgegangen sind. Die Verfassungsbeschwerde enthält allerdings ebenfalls keine Angaben zu den im Verfahren gewonnenen Erkenntnissen über den Stand und Inhalt des Ermittlungsverfahrens, so dass auch insoweit eine verfassungsrechtliche Prüfung nicht möglich ist.