Der Bundesgerichtshof hat mit Beschlüssen vom 8. Februar 2024 zu den Aktenzeichen I ZR 34/23 („Seniorenwohnheim“) und I ZR 35/23 dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen vorgelegt, mit denen geklärt werden soll, ob der Betreiber eines Seniorenwohnheims, der über eine Satellitenempfangsanlage empfangene Rundfunkprogramme durch ein Kabelnetz an die Heimbewohner weitersendet, eine öffentliche Wiedergabe vornimmt.
Aus der Pressemitteilung des BGH Nr. 025/2024 vom 08.02.2024 ergibt sich:
Sachverhalt:
Die Klägerinnen sind Verwertungsgesellschaften, die die urheberrechtlichen Nutzungsrechte von Musikurhebern (I ZR 34/23) und Sendeunternehmen (I ZR 35/23) wahrnehmen. Die Beklagte betreibt ein Senioren- und Pflegezentrum. In dessen Pflegebereich wohnen in 88 Einzel- und 3 Doppelzimmern auf Dauer 89 pflegebedürftige Seniorinnen und Senioren, die umfassend pflegerisch versorgt und betreut werden. Zusätzlich zum Pflegebereich verfügt die Einrichtung über verschiedene Gemeinschaftsbereiche wie Speisesäle und Aufenthaltsräume.
Die Beklagte empfängt über eine eigene Satellitenempfangsanlage Rundfunkprogramme (Fernsehen und Hörfunk) und sendet diese zeitgleich, unverändert und vollständig durch ihr Kabelnetz an die Anschlüsse für Fernsehen und Hörfunk in den Zimmern der Heimbewohner weiter.
Die Klägerinnen sehen in der Weitersendung der Rundfunkprogramme einen Eingriff in die von ihnen wahrgenommenen urheberrechtlichen Nutzungsrechte und haben die Beklagte deshalb – erfolglos – zum Abschluss von Lizenzverträgen aufgefordert.
Bisheriger Prozessverlauf:
In beiden Verfahren hat das Landgericht den Klagen stattgegeben und der Beklagten dem Antrag der Klägerin entsprechend die Weitersendung der Rundfunkprogramme untersagt.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klagen abgewiesen. Die Weitersendung der Rundfunkprogramme erfülle nicht die Voraussetzungen einer öffentlichen Wiedergabe, weil sich die Wiedergabe auf den begrenzten Personenkreis der Bewohner der Einrichtung beschränke, die – ähnlich den Mitgliedern einer Wohnungseigentümergemeinschaft – einen strukturell sehr homogenen und auf dauernden Verbleib in der Einrichtung ausgerichteten stabilen Personenkreis mit eher niedriger Fluktuation bildeten. Die Gemeinschaftsräume böten die Möglichkeit zu gemeinsamen Mahlzeiten, persönlichem Austausch und sozialem Miteinander der Bewohner. Anders als in einem Hotel oder einer Reha-Einrichtung bestehe durch die Wahl der Heimeinrichtung als Wohnung für den letzten Lebensabschnitt zwischen den Bewohnern eine enge Verbundenheit.
Mit ihren Revisionen verfolgen die Klägerinnen ihre Klageanträge weiter.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
In dem Verfahren I ZR 34/23 hat der Bundesgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union drei Fragen zur Auslegung des in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft enthaltenen Begriffs der öffentlichen Wiedergabe vorgelegt.
Zunächst soll durch den Gerichtshof der Europäischen Union geklärt werden, ob es sich bei den Bewohnern eines kommerziell betriebenen Seniorenwohnheims, die in ihren Zimmern über Anschlüsse für Fernsehen und Hörfunk verfügen, an die der Betreiber des Seniorenwohnheims über eine eigene Satellitenempfangsanlage empfangene Rundfunkprogramme zeitgleich, unverändert und vollständig durch sein Kabelnetz weitersendet, im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zum Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG um eine „unbestimmte Anzahl potentieller Adressaten“ (die – wie etwa Gäste eines Hotels oder Patienten eines Rehabilitationszentrums – eine Öffentlichkeit bilden können) oder um „besondere Personen, die einer privaten Gruppe angehören“ (die keine Öffentlichkeit bilden) handelt.
Fraglich ist außerdem, ob die bisher vom Gerichtshof der Europäischen Union verwendete Definition, wonach die Einstufung als „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG erfordert, dass „die Wiedergabe des geschützten Werks unter Verwendung eines technischen Verfahrens, das sich von dem bisher verwendeten unterscheidet (wie hier die Kabelweitersendung eines über eine Satellitenempfangsanlage empfangenen Rundfunkprogramms), oder ansonsten für ein neues Publikum erfolgt, das heißt für ein Publikum, an das der Inhaber des Urheberrechts nicht gedacht hatte, als er die ursprüngliche öffentliche Wiedergabe seines Werks erlaubte“, weiterhin allgemeine Gültigkeit hat, oder ob das verwendete technische Verfahren nur noch in Fällen Bedeutung hat, in denen eine Weiterübertragung von zunächst terrestrisch, satelliten- oder kabelgestützt empfangenen Inhalten (anders als im Streitfall) in das offene Internet stattfindet.
Ferner ist bislang nicht eindeutig geklärt, ob es sich um ein „neues Publikum“ im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zum Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG handelt, wenn der zu Erwerbszwecken handelnde Betreiber eines Seniorenwohnheims über eine eigene Satellitenempfangsanlage empfangene Rundfunkprogramme zeitgleich, unverändert und vollständig durch sein Kabelnetz an die vorhandenen Anschlüsse für Fernsehen und Hörfunk in den Zimmern der Heimbewohner weitersendet. Fraglich ist insbesondere, ob es für diese Beurteilung von Bedeutung ist, ob die Bewohner unabhängig von der Kabelsendung die Möglichkeit haben, die Fernseh- und Rundfunkprogramme in ihren Zimmern terrestrisch zu empfangen, sowie, ob die Rechtsinhaber bereits für die Zustimmung zur ursprünglichen Sendung eine Vergütung erhalten.
Das Verfahren I ZR 35/23 hat der Bundesgerichtshof bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in dem Verfahren I ZR 34/23 ausgesetzt.