Das Landgericht Osnabrück hat am 25.01.2021 zum Aktenzeichen 4 O 79/19 im Verfahren um mögliche Ansprüche der Stadt Osnabrück gegen die Bundesrepublik Deutschland entschieden, dass der Bund nicht verpflichtet ist, die Gertrudenberger Höhlen in Osnabrück zu sichern.
Aus der Pressemitteilung des LG Osnabrück Nr. 7/2021 vom 27.01.2021 ergibt sich:
Die Stadt Osnabrück nimmt als Grundstückseigentümerin die Bundesrepublik Deutschland in Anspruch. Das in dem Streitfall betroffene städtische Grundstück liegt im Bereich des Gertrudenberges, eines Hügels am Rande der Osnabrücker Innenstadt. Unter dem Hügel, auch dem Grundstück der Stadt, befindet sich ein im Mittelalter durch Kalksteinabbau entstandenes und später u.a. als Bierkeller genutztes Höhlensystem. Dieses diente im Zweiten Weltkrieg als Luftschutzbunker, der bis zu 4.000 Menschen Schutz bot. Nach dem Krieg wurden die Höhlen zunächst verschlossen. Spätestens ab den 1960er Jahren wurden die Höhlen durch die Bundesrepublik erneut geöffnet und Sicherungsmaßnahmen durchgeführt, auch mit Blick auf eine mögliche erneute Nutzung als Schutzraum im Notfall.
Die klagende Stadt Osnabrück verlangt mit der Klage von der Bundesrepublik Deutschland als Beklagter, alle gegenwärtigen oder künftigen Gefahren zu beseitigen, die von dem Höhlensystem für ihr Grundstück ausgehen können. Jedenfalls aber solle die Bundesrepublik die Luftschutzeinbauten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs und Reste eines Baustoffgemischs, das nach dem Vortrag der Stadt in den 1970er/1980er Jahren zur Stabilisierung eingebracht worden war, entfernen. Die Stadt trägt zur Begründung vor, dass von den Höhlen Gefahren ausgingen, sowohl bei deren Betreten, etwa durch Steinschlag, als auch möglicherweise – wenn auch nicht aktuell – durch Deckeneinbrüche zur Oberfläche. Die Einbauten durch das Deutsche Reich im Zweiten Weltkrieg, so die Stadt, hätten die von den Höhlen ausgehenden Risiken verschärft, unter anderem weil dadurch die ursprüngliche Statik der Höhle gestört worden sei. Bei Einbringen der Baustoffmischung in den 1970er/1980er Jahren durch die Bundesrepublik seien zahlreiche Löcher in die Höhlendecken gebohrt worden. Auch dies habe die Stabilität beeinträchtigt. Die Mischung bestehe zudem teilweise aus giftiger Asche. Sie enthalte unter anderem Arsen, welches auch das Grundwasser gefährde.
Die Bundesrepublik lehnt es dagegen ab, die von der Stadt begehrten Verpflichtungen zu übernehmen. In weiten Teilen sei das Vorbringen der Stadt letztlich spekulativ. Aktuell gingen von den Höhlen jedenfalls keine Gefahren aus, solange man sie für Besucher geschlossen halte. Auch die eingebrachte Baustoffmischung sei ungefährlich. Die Stadt habe außerdem selbst seit Jahrzehnten an der Verwaltung der Höhle mitgewirkt. Dem Einfüllen der Baustoffmischung habe sie nicht widersprochen, obwohl sie darüber vorab informiert worden sei. Weiter beruft sich der Bund auf die Verjährung eventueller Ansprüche der Stadt.
Das LG Osnabrück hat die Klage abgewiesen.
Nach Auffassung des Landgerichts sind eventuelle Ansprüche gegen die Bundesrepublik wegen der Einbauten des Deutschen Reichs nach dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz durch Zeitablauf erloschen. Die gesetzliche Ausschlussfrist von einem Jahr für solche Ansprüche habe zu laufen begonnen, als die Höhleneingänge nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst verschlossen worden seien, mutmaßlich durch die britische Armee. Die Frist sei damit seit mehr als 70 Jahren abgelaufen. Die erneute Öffnung in den 1960er Jahren spiele keine Rolle. Gleiches gelte für die Tatsache, dass die Bundesrepublik spätestens ab den 1970er Jahren die Höhlen regelmäßig kontrolliert und offenkundig als potentiellen Luftschutzraum angesehen habe. All dies ändere nichts an der zwischenzeitlichen faktischen Entwidmung der Anlage als Bunker durch Verschließen der Eingänge. Auch der Grundsatz von Treu und Glauben verpflichte die Bundesrepublik nicht, für eventuelle Gefahren durch frühere Einbauten des Deutschen Reichs einzustehen. Dass die Bundesrepublik – letztlich überobligatorisch – für mehrere Jahrzehnte die Höhlen gesichert und überwacht habe, habe die Stadt nicht so verstehen dürfen, dass die Bundesrepublik sich auf alle Zeiten zur Beseitigung aller potentiellen Gefahren verpflichten wollte. Neue, die Stabilität beeinflussende Einbauten habe die Bundesrepublik nicht vorgenommen.
Auch bezüglich des Baustoffgemischs seien alle eventuellen Ansprüche der Stadt verjährt. Aus den im Verfahren vorgelegten Verwaltungsunterlagen ergebe sich, dass das Gemisch bereits 1974 eingefüllt worden sein müsse. Das sei offenkundig mit Wissen der Stadt erfolgt und habe dem Zweck der Stabilisierung gedient, nicht einer erneuten Herrichtung als Schutzraum, wie die Stadt vorgetragen hatte. Die Ansprüche seien deshalb spätestens 2004 verjährt. Selbst wenn man aber mit den Argumenten der Stadt annehmen wollte, die Verfüllung sei ohne ihr Wissen und mit dem Ziel erfolgt, die Höhlen erneut als Zivilschutzraum herzurichten, ändere dies im Ergebnis nichts. Auch dann wären alle Ansprüche zumindest seit fast zehn Jahren verjährt. Erneut gebe es dabei keinen Anlass, der Bundesrepublik die Berufung auf den Einwand der Verjährung zu verwehren. Dass das Baustoffgemisch gefährliche Stoffe enthalten könnte, sei erst 2013 erstmals diskutiert worden und habe sich erst im Jahr 2020 konkretisiert. Es gebe keinen Hinweis, dass dies der Bundesrepublik bei der Einfüllung 1974 bekannt gewesen sei. Dass sie durch diese und andere Maßnahmen die Höhlen Jahrzehntelang überobligatorisch instandgehalten habe, könne ohnehin der Bundesrepublik nun nicht zum Nachteil gereichen.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Stadt Osnabrück kann es binnen eines Monats nach Zustellung der schriftlichen Entscheidungsgründe mit der Berufung zum OLG Oldenburg angreifen.
In zwei ähnlich gelagerten Fällen hatte das LG Osnabrück im letzten Jahr die Klagen zweier weiterer Grundstückseigentümer im Bereich der Gertrudenberger Höhlen ebenfalls abgewiesen. Diese Urteile sind mittlerweile rechtskräftig, nachdem die jeweiligen Kläger keine Rechtsmittel eingelegt haben.