Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat am 16.09.2020 zu den Aktenzeichen VI-3 Kart 750/19 (V), VI-3 Kart 751/19 (V), VI-3 Kart 753/19 (V), VI-3 Kart 754/19 (V), VI-3 Kart 758/19 (V), VI-3 Kart 759/19 (V), VI-3 Kart 760/19 (V) und VI-3 Kart 761/19 (V) entschieden, dass der von der Bundesnetzagentur eingeführte und von allen Fernleitungsnetzbetreibern zu erhebende einheitliche „Briefmarkentarif“ als Referenzpreis für Ein- und Ausspeiseentgelte zulässig ist.
Aus der Pressemitteilung des OLG Düsseldorf vom 16.09.2020 ergibt sich:
Hintergrund sind die neuen Vorgaben, welche die Bundesnetzagentur für Preisbildung für Gasfernleitungsdienstleistungen mit Festlegungen vom 29.03.2019 erlassen hat. Bis dahin setzten die Gasfernleitungsbetreiber die ihnen durch die Bundesnetzagentur zugestandenen Erlösobergrenzen in individuelle Entgelte um. Die Preisbildung basierte auf netzbetreiberindividuellen Kosten. Durch die Neuregelung führte die Bundesnetzagentur einen von allen Fernleitungsnetzbetreibern zu erhebenden distanzunabhängigen einheitlichen „Briefmarkentarif“ als Referenzpreis für Ein- und Ausspeiseentgelte ein.
Die Beschwerden einiger Fernleitungsnetzbetreiber sowie eines Gaslieferanten richteten sich gegen die Einführung der einheitlichen „Briefmarkenentgelte“ für den Gastransport durch die deutschen Fernleitungsnetze.
Das OLG Düsseldorf hat die Beschwerden zurückgewiesen.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts entspricht dieser Briefmarkentarif europarechtlichen Vorgaben und ist auch unter Beachtung der Besonderheiten der deutschen Fernleitungslandschaft nicht zu beanstanden.
Ermittelt werde der Tarif, indem die zugestandenen Erlöse aus Fernleitungsdienstleistungen durch die prognostizierten Transportkapazitäten dividiert werden. Seine Anwendung habe zur Folge, dass die Fernleitungsnetzbetreiber jährlich von ihren Erlösobergrenzen abweichende Summen erlösten und die Abweichungen zwischen der jeweiligen Erlösobergrenze und den auf Basis des Einheitstarifs erwirtschafteten Beträgen untereinander auszugleichen seien. Der einheitliche Briefmarkentarif führe dazu, dass einige Fernleitungsnetzbetreiber ihre Entgelte erhöhen mussten, andere sie absenken konnten. Der gegen die Einführung des Einheitstarifs gerichtete Eilantrag war erfolglos geblieben und wurde im Mai 2019 abschlägig beschieden.
Grundlage der Bepreisung in den deutschen Marktgebieten sei ein Entry-Exit-System. Die Fernleitungsnetzentgelte werden unabhängig von konkreten Transportpfaden erhoben. Dies diene der Förderung des Wettbewerbs, indem die Marktakteure den Ein- und Ausspeisepunkt getrennt voneinander kontrahierten und Gas zwischen beliebigen Ein- und Ausspeisepunkten transportieren lassen könnten.
Europarechtlich hätten die Mitgliedstaaten durch ihre nationalen Regulierungsbehörden eine Referenzpreismethode für die Ermittlung der von den Fernleitungsdienstleistern zu erhebenden Entgelte festzulegen, die insbesondere verursachungsgerecht sei und unzulässige Quersubventionierungen verhindere. Einen zentralen Schwerpunkt der rechtlichen Auseinandersetzung vor dem OLG Düsseldorf bildete die Frage, ob der einheitliche Briefmarkentarif den sehr heterogenen Netzstrukturen der deutschen Fernleitungslandschaft gerecht werde.
Die Beschwerdeführerinnen hätten darauf verwiesen, dass der systemübergreifende Transport von Gas über die Grenzen eines Marktgebiets hinweg zu Transitzwecken die Nutzung einer größer dimensionierten Netzinfrastruktur erfordere und mit geringen Stückkosten verbunden sei als die systeminterne Nutzung. Somit bilde ein einheitlicher, die realen Kostenstrukturen nivellierender Briefmarkentarif die unterschiedlichen Kostenstrukturen nicht sachgerecht ab und sei nicht verursachungsgerecht. Letztlich subventionierten die das Fernleitungsnetz systemübergreifend nutzenden Transportkunden die systemintern nutzenden Kunden.
Das Oberlandesgericht hat sich dieser Sichtweise nicht angeschlossen, sondern darauf abgestellt, dass dem Transport von Gas in einem Entry-Exit-System grundsätzlich eine einheitliche gaswirtschaftliche Leistung zugrunde liege, die überdies auf erheblichen Kooperationsleistungen der Fernleitungsnetzbetreiber beruhe. Die Wertung der Bundesnetzagentur, dass diese Leistung durch eine einheitliche Briefmarke sachgerecht bepreist werde, sei im Ergebnis beurteilungsfehlerfrei.
Auch die Befürchtungen der Beschwerdeführerinnen, dass die Nutzung des deutschen Fernleitungsnetzes zu Transitzwecken zukünftig wegen der Entgeltsteigerungen an Attraktivität verlieren werde, teilt das OLG Düsseldorf nicht. Vielmehr spielten weitere Einflussfaktoren wie die technische Sicherheit sowie geopolitische Interessen bei der Wahl der Transportroute eine maßgebliche Rolle.