Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 16. Mai 2023 zum Aktenzeichen 4 Sa 559/22 entschieden, dass ein an sich zum Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung geeignetes Verhalten des Arbeitnehmers vorliegt, wenn das Handeln eines anderen Beschäftigten als „korrupt“ und „mafiös“ bezeichnet wird, da diese Worte geprägt davon sind, einen Anderen abzuwerten und zu beleidigen.
Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers und/oder seiner Vertreter oder Repräsentanten, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, stellen einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis dar. In diesem Fall kann sich der Arbeitnehmer sodann nicht erfolgreich auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Artikel 5 Absatz 1 GG berufen (BAG vom 10.10.2002, 2 AZR 418/01).
Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet das Grundrecht der Meinungsfreiheit seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze.
In der Regel verlangt das Grundrecht auf Meinungsfreiheit eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen. Nur ausnahmsweise tritt die Meinungsfreiheit bei herabsetzenden Äußerungen, die die Menschenwürde anderer antasten oder sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, zurück, ohne, dass es einer Einzelfallabwägung bedarf.
Eine Schmähung oder Schmähkritik liegt nur vor, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Auch überzogene, völlig unverhältnismäßige oder sogar ausführliche Kritik ist noch keine Schmähung, denn gerade Kritik darf auch grundlos, pointiert, polemisch und überspitzt ausfallen. Entscheidend ist, dass die Aussage letztlich nur die Personen gravierend verletzt.
Ähnlich eng ist die Formalbeleidigung im verfassungsrechtlichen Sinne zu verstehen. Sie liegt vor bei nicht nur in der Hitze einer Auseinandersetzung verwendeten, nach allgemeiner Auffassung besonders krassen Schimpfwörtern. Entscheidend ist die kontextunabhängige, gesellschaftlich absolut missbilligte und tabuisierte Begrifflichkeit. Wer Personen mit solchen Begriffen bezeichnet, bedient sich gerade ihrer Funktion, verächtlich zu machen, um einen Menschen unabhängig von sachlichen Anliegen herabzusetzen.
Der Kläger konnte sich – zumindest teilweise – hinsichtlich seiner Äußerungen vom 14.06.2020 nicht mehr auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Absatz 1 GG) berufen.
Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 14.06.2020 an die S A , einem stimmberechtigten Mitglied des Beklagten. Darin stellte er die Tatsachenbehauptung auf, dass der Vorsitzende „immer wieder gegen die Satzung verstößt, den Datenschutz nicht einhält, gegen Arbeitnehmerrechte verstößt und Arbeitgeberpflichten nicht einhält“. Sämtliche dieser Tatsachenbehauptungen wurden zu keinem Zeitpunkt konkretisiert. Ihr Wahrheitsgehalt ist damit nicht dargelegt.
Entscheidend ist jedoch, dass der Kläger im Anschluss eine Formalbeleidigung verwendet, die erkennbar allein das Ziel hat, die Person des damaligen Vorsitzenden verächtlich zu machen. Der Kläger formulierte wörtlich:
„Ein Arzt empfand dieses Vorgehen gegen mich sogar als „korrupt und mafiös“. Ich empfinde dieses Verhalten als menschenverachtend. Nach meinem Empfinden wird vorsätzlich und mit Willkür meine Gesundheit und meine Existenz zerstört.“
Mit dieser Äußerung verließ der Kläger den Bereich, der von Art. 5 Absatz 1 GG gedeckt ist. Dies gilt jedenfalls in Kombination der Begriffe „korrupt“ und „mafiös“. Beide Worte sind – erst recht in ihrer Addition – geprägt davon, die Person des Vorsitzenden des Beklagten gegenüber einem stimmberechtigten Mitglied abzuwerten und zu beleidigen.
Ob ein Arzt – oder wie im Rahmen der Berufung behauptet: Ein Therapeut – diese Aussage tatsächlich getroffen hat, ist hierbei nicht relevant. Ebenfalls nicht relevant ist der Umstand, dass der Kläger diese Aussage vermeintlich zitiert und erst im Anschluss seine eigene Meinung kundtut. Bei einer Gesamtbetrachtung muss davon ausgegangen werden, dass durchaus der Eindruck vermittelt werden soll, auch der Kläger teile diese Auffassung. Es ist kein Grund erkennbar, weshalb der Kläger die Meinung eines Dritten kundtun und wiedergeben sollte, wenn er sich von dieser distanzieren möchte.
Nähere Ausführungen hierzu waren jedoch entbehrlich. Denn die streitgegenständliche Kündigung ließ sich im Ergebnis auch nicht auf diese Pflichtverletzung stützen.
Eine hierauf gestützte Kündigung kann unverhältnismäßig sein, wenn der Arbeitnehmer schwerbehindert ist, bereits 60 Jahre alt und seit 23 Jahren beim Arbeitgeber beschäftigt ist und nie zuvor eine Abmahnung erhalten hat.
Der Ausspruch der Kündigung war unverhältnismäßig.
Bei dieser Prüfung sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf zu berücksichtigen.
Im Rahmen dieser Abwägung überwogen die Interessen des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses:
Der schwerbehinderte Kläger war zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung 60 Jahre alt. Sein Arbeitsverhältnis bei dem Beklagten bestand seit dem 17.09.1998, mithin seit fast 23 Jahren. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger noch nie eine Abmahnung erhalten.
Auch die Begleitumstände, welche zur Pflichtverletzung führten, waren zu berücksichtigen:
Der Kläger war seit dem Jahr 2019 in jedem einzelnen Jahr länger als 6 Wochen arbeitsunfähig erkrankt. Der gesetzlichen Verpflichtung nach § 167 Absatz 2 Satz 1 SGB IX, ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, kam der Beklagte dennoch zu keinem Zeitpunkt nach. Im Gegenteil: Gerade an dem Tag, an dem ein solches Gespräch erstmalig stattfinden sollte, wurde der Kläger freigestellt. Ihm wurde Hausverbot erteilt. Die streitgegenständliche Mail versandte der Kläger nur eine Woche später, also offenbar noch im Eindruck dieser Maßnahme.
Zu Gunsten des Klägers waren also nicht nur sein Alter, seine Schwerbehinderung, der lange Bestand des Arbeitsverhältnisses und das Fehlen von Abmahnungen zu berücksichtigen, sondern auch, dass der Beklagte durch sein in der Tat vertragswidriges Verhalten seinen Beitrag dazu geleistet hatte, dass sich der Kläger nachvollziehbar in einer Extremsituation befand.
All diese Umstände führten dazu, dass die – vorhandene – Pflichtverletzung des Klägers trotz ihrer Schwere hätte abgemahnt werden müssen.
Die Abmahnung ist grundsätzlich bei Störungen im Verhaltens- und Leistungsbereich vorher auszusprechen. In einer für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennbaren Art und Weise muss der Arbeitgeber seine Beanstandungen vorbringen und den Hinweis verbinden, im Wiederholungsfalle sei der Inhalt oder der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet. Entbehrlich ist eine Abmahnung dann, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorgelegen haben, aufgrund derer eine Abmahnung als nicht Erfolg versprechend angesehen werden durfte. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn erkennbar ist, dass der Arbeitnehmer gar nicht gewillt ist, sich vertragsgerecht zu verhalten sowie dann, wenn die Pflichtverletzung derart erheblich ist, dass dem Arbeitnehmer auch ohne Abmahnung hätte klar sein müssen, dass sein Verhalten vom Arbeitgeber nicht geduldet wird.
Beide Ausnahmefälle lagen hier nicht vor:
Es erschien zwar nicht fernliegend, die Entgleisung des Klägers als eine solche Pflichtverletzung anzusehen, bei der hätte klar sein müssen, dass diese vom Vertragspartner nicht akzeptiert wird. Dass der Vorstandsvorsitzende als Repräsentant des Beklagten die Bezeichnung als „korrupt“ und „mafiös“ gegenüber einem stimmberechtigten Mitglied nicht akzeptieren wird, lag in der Tat auf der Hand. Dennoch nahm die Kammer nach Abwägung aller Umstände und Besonderheiten des vorliegenden Falles im Ergebnis an, dass es dem Beklagten dennoch zumutbar gewesen wäre, auch diese Pflichtverletzung abzumahnen. Der Kläger wurde ohne rechtliche Grundlage freigestellt. Das zugesagte BEM-Gespräch wurde kurzfristig abgesagt, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen des § 167 Absatz 2 Satz 1 SGB IX vorlagen. Dem Kläger wurde Hausverbot erteilt. Dies rechtfertigt die Pflichtverletzung nicht; sie wird dadurch aber verständlicher. Darüber hinaus ging der Kläger möglicherweise tatsächlich davon aus, dass seine Ausführungen vom Recht auf freie Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 Absatz 1 GG gedeckt sein könnten. Dass diese Rechtsansicht nicht gänzlich fernliegend sein kann, verdeutlicht bereits die erstinstanzliche Entscheidung.
Dieser Umstand in Kombination dazu, dass sich der Beklagte – wie dargelegt – ebenfalls vertrags- und gesetzeswidrig verhalten hatte, führte zur abschließenden Bewertung der Kammer, dass die Schwere der Pflichtverletzung nicht ausreichend war, um eine verhaltensbedingte Kündigung als sozial gerechtfertigt anzusehen, obwohl der Kläger zuvor nicht abgemahnt worden war.
Ebenso wenig handelte es sich hierbei um eine Pflichtverletzung, bei der völlig ausgeschlossen erschien, dass der Ausspruch einer Abmahnung die notwendige Warnfunktion erfüllen könnte. Der Kläger hatte zuvor noch nie eine Abmahnung erhalten, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Ausspruch einer solchen Abmahnung dazu geführt hätte, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt sein Handeln überdacht hätte. Dass der Kläger geäußert haben könnte, sein Verhalten ohnehin nicht zu ändern, trug der Beklagte nicht vor.
Im Ergebnis war die streitgegenständliche Kündigung daher als sozial nicht gerechtfertigt anzusehen. Die Berufung war insoweit unbegründet.
Ein Auflösungsantrag des Arbeitgebers nach § 9 KSchG ist in einem solchen Fall jedoch begründet, da keine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit mehr zu erwarten war.
Stellt das Gericht fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG). Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen (§ 9 Absatz 1 Satz 2 KSchG).
Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzusetzen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte (§ 9 Abs. 2 KSchG) KSchG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten ist, ist der Zeitpunkt der Entscheidung über den Auflösungsantrag.
Der Antrag des Arbeitgebers ist, anders als der des Arbeitnehmers, ein in der Regel echter Hilfsantrag, über den nur entschieden wird, wenn der Arbeitgeber mit seinem Klageabweisungsantrag unterliegt.
Der Auflösungsantrag des Arbeitgebers unterliegt anderen Anforderungen als der Antrag des Arbeitnehmers. Er setzt – wie bereits dargestellt – nach § 9 Absatz 1 Satz 2 KSchG voraus, dass eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht zu erwarten ist. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, eine angemessene Abfindung zu zahlen, ist darin gerechtfertigt, dass der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz zu Unrecht und gegen seinen Willen verliert. Dabei ist das Kündigungsschutzgesetz – worauf der Kläger dem Grunde nach durchaus zu Recht hinweist – in seiner grundsätzlichen Konzeption als Bestandsschutz- und nicht als Abfindungsgesetz ausgestaltet. § 9 KSchG durchbricht diesen Grundsatz, wenn eine Vertrauensgrundlage für eine sinnvolle Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr besteht. Deshalb sind an die Auflösungsgründe nach § 9 Absatz 1 KSchG strenge Anforderungen zu stellen, ohne dass dazu die Voraussetzungen der Unzumutbarkeit im Sinne von § 626 BGB erfüllt sein müssen. Beruft sich der Arbeitgeber auf Auflösungsgründe, die mit den Kündigungsgründen im Zusammenhang stehen, muss er zusätzlich greifbare Tatsachen dafür vortragen, weshalb ein konkreter Kündigungssachverhalt, obwohl er die Kündigung selbst nicht zu begründen vermag, so beschaffen sein soll, dass er eine weitere Zusammenarbeit nicht erwarten lässt. Der Auflösungsgrund muss dabei die widerspruchsfreie Entscheidung des Gerichts ermöglichen, dass die vom Arbeitgeber vorgetragenen Gründe die Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen, obwohl diese für eine Kündigung nicht ausreichend sind.
Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber kommen Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers angelegt sein. Vielmehr kommt es darauf an, ob die objektive Lage am Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz beim Arbeitgeber die Besorgnis aufkommen lassen kann, dass die weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist.
Eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit ist umso weniger zu erwarten, je höher die Position des Arbeitnehmers im Betrieb ist.
Hiernach war das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Beklagten aufzulösen, obwohl die streitgegenständliche Kündigung sozialwidrig war und die in diesem Zusammenhang vorgebrachten Argumente nicht ausreichend waren, um einen Beendigungstatbestand annehmen zu müssen. Gerade das Verhalten des Klägers nach Obsiegen in der ersten Instanz und nach seiner Rückkehr in den Betrieb führte dazu, dass die Kammer einen Auflösungsgrund annahm.
Entgegen der Auffassung des Klägers war es keineswegs allein der Beklagte, der zur Eskalation der Situation beigetragen hatte. Richtigerweise verwies er zwar darauf, dass es der Beklagte war, der zu Beginn der Problematik entgegen § 167 Absatz 2 Satz 1 SGB IX kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt und den Kläger arbeitsvertragswidrig freigestellt hatte. Selbst nach der erstinstanzlichen Verurteilung zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers weigerte sich der Beklagte, dies zu akzeptieren, so dass sogar Zwangsvollstreckungsmaßnahmen notwendig wurden.
Der Kläger trug seinen Teil zur Eskalation jedoch bei.
Dies erfolgte sowohl vor Zugang der Kündigung vom 23.02.2021 als auch im Rahmen des vorliegenden Kündigungsschutzverfahrens und nach Obsiegen in erster Instanz.
Vor Zugang der Kündigung gab es unstreitig bereits seit einiger Zeit Kommunikationsprobleme, zu denen auch der Kläger beigetragen hatte. Auch seine Kommunikation war schon zu diesem Zeitpunkt nicht als deeskalierend zu bezeichnen.
Am 13.10.2019 übermittelte der Kläger ein Schreiben an einen Vertreter eines Mitglieds des Trägervereins, das ausweislich der Adressierung und der anschließenden Anrede an den Vorstandsvorsitzenden sowie die Mitglieder des Trägervereins gerichtet werden sollte. Zwar wurde nicht vorgetragen und behauptet, dass dieses Schreiben letztlich tatsächlich an den damaligen Vorstandsvorsitzenden und alle Mitglieder versandt wurde. Durch die Übermittlung an nur einen Vertreter eines Mitglieds wurde der Inhalt des Schreibens aber dennoch nach außen getragen und war damit relevant.
In diesem Schreiben führte der Kläger aus, dass sich sein Gefühl verstärke, dass es sich um Mobbing handele. In Bezug auf die durchgeführte Coachingmaßnahme bezeichnete er den Coach als unqualifiziert und behauptete, ihm sei mitgeteilt worden, dass die Ergebnisse der Befragung manipuliert worden seien. Der Kläger behauptet, dass „schon seit Jahren“ Gesetze und Fürsorgepflichten, die ein Arbeitgeber umzusetzen habe, ignoriert würden. Er verweist auf eine mögliche Straftat des Vorsitzenden durch Zugriff auf seinen Mail-Account und darauf, dass übliche und satzungsgemäße Tätigkeiten nicht mehr nachvollziehbar seien, seit Herr W Vorsitzender sei. Verstöße gegen Satzung und Geschäftsordnung lägen – sogar „permanent“ – vor. Er verweist auf fehlenden Sachverstand und darauf, dass klare Strukturen und Abläufe zerstört würden. Der Kläger führt weiter aus, dass er – der Kläger – „keinerlei Fehlverhalten“ bei sich selber sehe.
Der Kläger agierte also schon zu diesem Zeitpunkt mit eskalierender Wirkung, indem er nach außen hin – teils extreme – Vorwürfen erhob, ohne diese zu konkretisieren. Verdeutlicht wird dies auch durch die Einschaltung der Staatsanwaltschaft, obwohl der damalige Vorstandsvorsitzende lediglich die nachvollziehbare – und vom Kläger nicht erfüllte – Bitte geäußert hatte, einen Abwesenheitsassistenten einzurichten.
Per Mail vom 27.04.2020 wandte sich der Kläger an die Mitarbeiter des Beklagten, zog diese bewusst in die Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Beklagten mit ein, schilderte seine – subjektive – Sicht und stellte den Beklagten gegenüber der gesamten Belegschaft damit schlecht dar. Er sprach von „Lügen, Gerüchten und Spekulationen“ und drohte den Mitarbeitern mit dem Ausspruch einer Kündigung, wenn auch nur Teile der Mail weitergegeben werden. Der Kläger verweist darauf, dass der Vorsitzende aus seiner Sicht „die Satzung, Rechtsvorschriften, Datenschutz etc“ missachte.
Damit stellte er die Repräsentanten des Beklagten also nicht nur erneut schlecht dar. Gleichzeitig drohte er auch den Empfängern dieser Mail mit arbeitsrechtlichen Sanktionen.
Mit Schreiben vom 08.05.2020 wandte sich der Kläger an die Mitglieder des Beklagten. Seine Berechtigung hierzu war nicht anzuzweifeln, zumal der Beklagte eine entsprechende Genehmigung im Vorfeld ausdrücklich erklärt hatte. Darin forderte er die Mitglieder dazu auf, die seiner Ansicht nach sittenwidrigen Anweisungen des Vorsitzenden anwaltlich überprüfen zu lassen. Er führte aus, dass Dienstanweisungen des Vorsitzenden bereits als schikanös bezeichnet worden seien, er – der Vorsitzende – sich „einmische“ und „immer wieder“ gegen die Satzung verstoße. Er verwies – erneut – auf einen Zugriff auf sein Postfach während seiner Abwesenheit und darauf, dass es sich hierbei um eine Straftat handele. In Bezug auf den Mitarbeiter Herrn L führte er aus, dass er seit Jahren nur das mache, was ihm „Spaß“ mache, er regelmäßig „schreiend“ durch die Flure laufe, in Besprechungen ein „extremer Störfaktor“ sei, oft nicht zuhöre, Dinge nicht verstehe und kategorisch Vorschriften ablehne. Der Kläger behauptete, dass das „aggressive und ungebührliche Verhalten“ des Herrn L „landesweit bekannt“ sei.
All diese Einlassungen sind geprägt von dem Ziel, die Person des Vorstandsvorsitzenden und des Mitarbeiters Herrn L nach außen hin zu diskreditieren. Dies geschieht erneut mit pauschalen Vorwürfen, ohne in sachlicher Art und Weise nachvollziehbare Beispiele zu präsentieren.
Schon damals kommunizierte der Kläger mit dem damaligen Vorsitzenden laut eigener Aussage gemäß Schreiben vom 08.05.2020 unter anderem mit Einwurfeinschreiben.
Am 14.06.2020 verfasste der Kläger das Schreiben an die Fraktionsvorsitzenden der S A , in welchem er darauf verweist, dass „der Vorsitzende immer wieder gegen die Satzung verstößt, den Datenschutz nicht einhält, gegen Arbeitnehmerrechte verstößt und Arbeitgeberpflichten nicht einhält“. Er behauptet, dass ein Arzt dieses Vorgehen gegen ihn als „korrupt und mafiös“ bezeichnet habe und er – der Kläger – dieses Verhalten als menschenverachtend ansehe. Er verweist darauf, dass nach seinem Empfinden vorsätzlich und mit Willkür seine Gesundheit und seine Existenz zerstört werde.
Im Sommer des Jahres 2020 – ein exaktes Datum ließ sich der Akte nicht entnehmen – nahm der Kläger Kontakt zu den Ermittlungsbehörden auf, um den Vorgang hinsichtlich der Einrichtung eines Abwesenheitsassistenten strafrechtlich überprüfen zu lassen. Im Zuge dieser Ermittlungen erhielt der damalige Vorstandsvorsitzende ein auf den 24.08.2020 datiertes Anhörungsschreiben des Polizeipräsidiums A wegen des Verdachts der Urkundenfälschung.
All diese Verhaltensweisen und Vorgänge verdeutlichen, dass der Kläger selber dazu beitrug, dass die Situation eskalierte. Zwar mag keiner der Vorgänge geeignet sein, eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen. Teilweise handelt es sich dem Grunde nach sogar um die Wahrnehmung berechtigter Interessen. Dass sich der Kläger nach seiner Freistellung an die S A wandte, ist legitim. Die Art und Weise, wie er diese Rechte verfolgt, verdeutlichen jedoch, dass bereits zu diesem Zeitpunkt die Abgrenzung zwischen persönlicher Anfeindung und der Wahrnehmung berechtigter Interessen nicht leicht vorzunehmen war.
Nach Einleitung des Kündigungsschutzverfahrens verschärfte sich diese Vorgehensweise. Neben den Vorgängen, die der Beklagte zur Begründung der streitgegenständlichen Kündigung herangezogen hatte, traten mithin von nun an weitere, zusätzlich greifbare Tatsachen zu Tage, die im Ergebnis nicht erwarten lassen, dass in Zukunft eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen den Parteien möglich wäre.
Der Kläger beantwortete in einem Parallelverfahren die Frage der Vorsitzenden der 5. Kammer des Arbeitsgerichts Aachen nach seinem Ziel dahingehend, dass er die Ablösung des Vorstandes begehre. Dabei übersieht er, dass er die personelle Zusammensetzung des Organs seines Arbeitgebers hinzunehmen hat und nicht aktiv – und offen kommunizierend – bekämpfen sollte.
Er verharmloste im vorliegenden Verfahren seine Einlassungen gegenüber dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Herrn W damit, dass diese nach Rücktritt des Vorsitzenden nicht mehr relevant seien. Hierbei übersah der Kläger jedoch, dass es nicht auf die Person des Herrn W ankam, sondern auf den Umstand, dass der Kläger das Amt des Vorstandsvorsitzenden nach außen hin nicht respektierte und diffamierte. Er übersah zudem, dass sowohl die Vorgängerin als auch Herrn W zurückgetreten waren und nunmehr auch der aktuelle Vorstandsvorsitzende nicht mehr mit dem Kläger zusammenarbeiten möchte. Die Probleme bestanden also nicht nur im zwischenmenschlichen Bereich zwischen dem Kläger und einer weiteren Person. Die Probleme bestehen offenbar unabhängig von der Person der oder des Vorstandsvorsitzenden. Insbesondere hat der Kläger als Arbeitnehmer nicht das Recht, jeden Vorstandsvorsitzenden zu diffamieren bis diese Position irgendwann von jemandem eingenommen wird, der dem Kläger genehm ist.
Mit Schriftsatz vom 25.10.2021 behauptet der Kläger, dem Beklagten ginge es um seine Vernichtung. Er führt weiter aus, dass der Beklagte die Erkrankung des Klägers verursacht habe. Mit Schriftsatz vom 25.11.2021 führt der Kläger aus, dass der Beklagte erneut die Unwahrheit gesagt habe und ihn diffamiere. Der Vorwurf der Lüge – dieses Mal sowohl im Rahmen des Zustimmungsverfahrens, in diesem Kündigungsschutzverfahren und auch in einem vor der 3. Kammer des Arbeitsgerichts geführten Verfahrens – wird mit Schriftsatz vom 01.12.2021 wiederholt. Hier wird ausdrücklich von einer „Falschaussage“ gesprochen. Mit Schriftsatz vom 24.02.2022 stellt der Kläger eine persönliche Haftung des Vorstandes für ausgegebene Honorare in den Raum. Es wird weiter ausgeführt, „mit welcher Perfidität die Beklagte den Kläger diskreditieren möchte“. Es wird behauptet, dass der Beklagte mit Vorsatz die Gemeinnützigkeit des Vereins aufs Spiel setzt.
Dabei übersieht die Kammer nicht, dass grundsätzlich auch polemische oder unhöfliche Formulierungen im Prozessvortrag noch durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen im Prozess gedeckt sein kann (vgl. BAG vom 09.09.2010, 2 AZR 482/09). Da – wie dargestellt – jedoch als Auflösungsgründe gerade auch die Wertung der klägerischen Persönlichkeit, seine Eignung sowie sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern und zum Arbeitgeber relevant sind, runden oben aufgeführte Bemerkungen das Gesamtbild ab.
Insbesondere nach erstinstanzlichem Obsiegen manifestierte sich diese Vorgehensweise.
Mit Schreiben vom 02.03.2022 – nur einen Tag nach dem erstinstanzlichen Kammertermin – wandte sich der Kläger an den Vorstandsvorsitzenden. Darin führte er aus, dass der Beklagte „bis zum Schluss immer neue Unwahrheiten vorgetragen“ haben soll. Er führte aus, dass er nicht beurteilen könne, inwieweit das Gericht dies als möglichen Prozessbetrug verfolgen werde. Worin dieser Betrug liegen könnte, führte er weder in dem Schreiben noch im Rahmen des Berufungsverfahrens konkret aus. Des Weiteren verweist der Kläger in jenem Schreiben darauf, dass etliche weitere Verstöße hinzukämen, die „ohne aktives zutun zu Strafverfolgungen und persönlicher Haftung führen können“. Auch hier verknüpft der Kläger die Vorgehensweise also – wie schon in der Vergangenheit – mit strafrechtlichen Ermittlungen und persönlicher Haftung des Vorstandes, mit dem er nach Obsiegen im Kündigungsschutzverfahren weiter zusammenarbeiten müsste. Dieser Widerspruch ist nicht aufzulösen.
Mit Schreiben vom 10.08.2022 an den Trägerverein des Beklagten drückte er sein Erstaunen darüber aus, dass der BUND-N „die vielen Rechtsverstöße ihrer Vertreter im Trägerverein, die auch von der Staatsanwaltschaft und dem Arbeitsgericht bestätigt“ worden seien „hinnimmt und unterstützt“.
Dabei erläuterte der Kläger weder in diesem Schreiben noch im weiteren Verlauf des Verfahrens in nachvollziehbarer Art und Weise, weshalb er diese Ansicht vertrat. Sie ist auch falsch: Das Arbeitsgericht stellte keine Rechtsverstöße des Beklagten fest, sondern allein die Sozialwidrigkeit der von ihm ausgesprochenen Kündigung. Soweit vorgetragen wurde, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach § 153 StPO eingestellt hatte, verdeutlicht dies, dass die Ermittlungsbehörde die strafrechtliche Relevanz gerade nicht geprüft, sondern angenommen hat, dass selbst im Falle der Annahme einer strafbaren Handlung diese als gering anzusehen wäre und ein öffentliches Interesse an der Verfolgung nicht bestehe. Dass der Kläger als juristischer Laie diese Feinheiten möglicherweise nicht unterscheiden kann, ändert an diesem Umstand nichts. Denn in diesem Falle wäre es ratsam gewesen, derartige Behauptungen schlicht und ergreifend nicht aufzustellen. Da er diese Behauptungen gegenüber Dritten aber mehrfach aufstellte, muss er die entsprechenden Konsequenzen auch tragen.
Mit Mailschreiben vom 24.10.2022 an den Trägerverein und die Landesverbände wiederholte er diese Aussage. Darüber hinaus behauptete er, dass er in der kurzen Zeit seiner Tätigkeit mit vielen Mitarbeitern gesprochen habe, die ihm „etliche Beschwerden zur kommissarischen Geschäftsleitung und dem Vorstand bzw. Vorsitzenden mitgeteilt haben“. Zu keinem Zeitpunkt – weder in dem Schreiben noch im Prozess – konkretisierte er diese Behauptung, die sich erneut gerade gegen die Personen richtet, mit denen er nach Obsiegen im Kündigungsschutzverfahren zusammenarbeiten müsste.
Per Mail vom 10.11.2022 an den aktuellen Vorstandsvorsitzenden behauptete er eine Arbeitsverweigerung des Herrn M , dem kommissarischen Geschäftsleiter. Er führte aus, dass angeblich allen Mitarbeitern im Haus bekannt sei, „dass Herr M wochen- oder monatelang Fristsachen nicht bearbeitet, nicht erreichbar ist, nicht antwortet etc“. Weiter hieß es: „Ich habe das Gefühl, dass die Arbeitsverweigerung von Herrn M , seine Versäumnisse, den Schaden den er der Biostation zufügt, seine katastrophale Leitung u.v.m. dem Vorstand egal sind.“ Auch hier belegte der Kläger zu keinem Zeitpunkt und an keiner Stelle seine Behauptungen gegenüber und über Personen, mit denen er nach Obsiegen im Kündigungsschutzverfahren zusammenarbeiten müsste.
Im selben Schreiben erwähnt er zudem einen ehemaligen Prozessbevollmächtigten sowie den zu diesem Zeitpunkt aktuellen Bevollmächtigten des Beklagten. Er führt aus, dass er gespannt sei, „was die Staatsanwaltschaft in Sachen RA S noch unternimmt und wie tief sie prüft“. Den damals aktuellen Prozessbevollmächtigten habe er „ebenfalls gebeten, sein Mandat zu überdenken“. Auch hierbei handelt es sich um Vorwürfe und Andeutungen, die nie erläutert wurden. Dass ein Arbeitnehmer gegenüber 2 Prozessbevollmächtigten derartiges ausführt, jedenfalls gegenüber einem Bevollmächtigten gar Strafantrag gestellt hat und beide Kanzleien das Mandat niederlegten, darf als außergewöhnlich bezeichnet werden. Es verdeutlicht, dass der Kläger mittlerweile eine Eskalation gegenüber jeder Person betreibt, die er auf Seiten und im Lager des Beklagten vermutet. Dies muss der Beklagte nicht mehr hinnehmen.
Auch gegenüber den Mitarbeitern verhielt der Kläger sich mittlerweile in nicht mehr hinnehmbarer Art und Weise. Verdeutlicht wird dies durch die Ereignisse vom 14.11.2022. An diesem Tag formulierte er eine Mail an Herrn M und setzte die Mitarbeiterin Frau L in cc. Darin hieß es auszugsweise wie folgt:
„hier kommen folgende Anordnungen, die du persönlich und ohne Zuarbeit, Mithilfe umzusetzen hast. Ein delegieren verbiete ich. Ich glaube, so hat es Herr Ln auch immer formuliert.
Du hast Präsenzpflicht und bist somit an 5 Tagen in der B . ÜA ist bis auf weiteres gestrichen. Gleiches gilt für neue Urlaubsanträge.
Soweit erstmal vorab. Wie du wissen wirst, werde ich Ablehnungen als Arbeitsverweigerung betrachten müssen. Werden die Anweisungen vom Vorsitzenden zurückgenommen, werden ggf. sofort Zwangsgelder fällig.
Leider muss ich nun genauso vorgehen, wie der Vorsitzende.“
Zum einen offenbart dieses Schreiben erneut, dass der Kläger keine Gelegenheit auslässt, den jeweils aktuellen Vorstandsvorsitzenden in ein schlechtes Licht zu rücken, obwohl er mit ihm zusammenarbeiten müsste. Er untermauert erneut, dass er die Arbeitskraft des kommissarischen Leiters Herrn M nicht respektiert, obwohl er auch mit diesem nach seiner Rückkehr zusammenarbeiten müsste.
Dabei wird nicht übersehen, dass ein Arbeitnehmer – noch dazu in leitender Stellung – selbstredend grundsätzlich dazu befugt ist, Kritik zu äußern. Die vorliegende Kritik verlässt jedoch die notwendige Sachlichkeit und ist nunmehr geprägt davon, sowohl den Vorstandsvorsitzenden als auch den kommissarischen Geschäftsstellenleiter zu diffamieren.
Der Kläger verdeutlicht durch seine abschließende Erklärung, dass er selber davon ausgeht, dass der Vorstandsvorsitzende eben diese Anweisungen zurückzunehmen wird und kommuniziert dies sogar gegenüber den Mitarbeitern. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit stellt dies nicht mehr ansatzweise dar.
Dies wird auch durch folgenden Aspekt deutlich:
Im Rahmen des Schreibens vom 14.11.2022 führt der Kläger aus, dass „Ablehnungen als Arbeitsverweigerung betrachtet werden müssen“. Eine Formulierung, die der Kläger noch mit Mail vom 10.08.2022 an den Trägerverein des Beklagten als „Mobbing“ bezeichnet hatte. Dass er nunmehr genau diese Art des Ausdrucks wählt, verdeutlicht, dass es ihm zu diesem Zeitpunkt nicht mehr um eine sinnvolle Auseinandersetzung ging.
Bestätigt wird dies durch sein Schreiben vom 21.11.2022 an den Trägerverein sowie die Verbände. Darin führte er unter anderem aus:
„Für die letzte Woche habe ich dem kommissarischen Leiter verschiedene Anweisungen gegeben. Ich gehe davon aus, dass er keine davon erfüllt hat. Ich kann jedenfalls nichts erkennen.
Wann werden Sie endlich handeln und dem ein Ende machen? Es ist für mich kaum zu ertrage, dass alles was ich aufgebaut habe, so zerstört wird.“
Nur 5 Stunden später formulierte der Kläger an dieselben Adressaten eine weitere Mail, in der er erneut die Vorgehensweise des aktuellen Vorstandsvorsitzenden kritisiert.
Dass der Kläger nicht mehr gewillt ist, im Interesse des Beklagten zu handeln, sondern stattdessen im Wesentlichen seine Person und sein Ansehen im Blick hat, verdeutlicht auch der Vorgang, bei dem er eigenverantwortlich und ohne Rücksprache seinen Titel auf der Webseite änderte und die Funktion bei den kommissarisch bestellten Geschäftsstellenleitern strich und diese Handlung trotz Aufforderung durch den Vorstandsvorsitzenden nicht zurücknahm. Unabhängig von der Frage, ob die Titelbezeichnung des Klägers tatsächlich falsch war und hätte korrigiert werden müssen, verdeutlicht diese Vorgehensweise, dass der Kläger nicht mehr gewillt ist, vertrauensvoll mit dem Beklagten und seinen – ihm gegenüber weisungsbefugten – Repräsentanten zusammenzuarbeiten. Dies hat der Kläger sogar unstreitig gestellt, indem er ausdrücklich bestätigte, den Vorstand auswechseln zu wollen.
Mit Schriftsatz vom 13.03.2023 – also zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kläger bereits wusste, dass der Beklagte im Berufungsverfahren einen Auflösungsantrag stellten wird – manifestierte er diese Verhaltensweise, indem er einen Strafantrag gegen den aktuellen Vorsitzenden ankündigt („Bumerang gegen den Anzeigenerstatter“), obwohl er die Hintergründe der Anzeige nach eigener Einlassung noch gar nicht kannte. Diese schriftsätzliche Ankündigung verdeutlicht, dass der Kläger selbst nach angekündigtem Auflösungsantrag zur Deeskalation nicht (mehr) in der Lage ist. Diese Annahme wird unterstützt durch die schriftsätzlich und auch mündlich geäußerte Einlassung des Klägers, dass seine Existenz bedroht sei, während er fast gleichzeitig jegliche Chance der Provokation gegenüber allen Beteiligten nutzt.
Ob diese Vorgehensweise noch schuldhaft erfolgte oder möglicherweise personenbedingte Gründe hat – immerhin hat das Integrationsamt einen neuerlichen Antrag des Beklagten auf Zustimmungserteilung zu einer erneuten Kündigung unter Hinweis auf schuldloses Verhalten zurückgewiesen – bedarf keiner Bewertung, da – wie dargelegt – der Auflösungsantrag kein schuldhaftes Verhalten voraussetzt.
Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der dargestellten Ereignisse überwog nach Auffassung der Kammer das Auflösungsinteresse des Beklagten gegenüber dem klägerischen Beschäftigungsinteresse. Dem Gericht fehlte die Vorstellungskraft, wie eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit in Zukunft erwartet werden könnte. Dass jegliche Vertrauensbasis verloren gegangen ist, lag entgegen der Ansicht des Klägers keineswegs allein am Beklagten, sondern – wie dargelegt – auch am klägerischen Verhalten. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass der Kläger auf einer hohen Position mit Führungs- und Personalverantwortung beschäftigt ist. Angesicht der dargestellten Abläufe dürfte dies nicht mehr in einem vernünftigen Maße möglich sein. Das Arbeitsverhältnis war daher antragsgemäß aufzulösen.
Hinsichtlich der Abfindungshöhe galt folgendes:
Maßgeblich für die Bemessung einer Abfindung sind als wichtigste Faktoren die Dauer der Betriebszugehörigkeit, die Höhe des Monatsverdienstes sowie das Lebensalter des Arbeitnehmers. Zu berücksichtigen ist ferner, welche Chancen der Arbeitnehmer hat, auf dem Arbeitsmarkt eine neue gleichartige und gleichwertige Stelle zu finden. Zudem ist auch der Zweck der Abfindung zu berücksichtigen, der in erster Linie darin besteht, dem Arbeitnehmer einen Ausgleich für die Vermögens- und Nichtvermögensschäden zu gewähren, die sich aus dem an sich nicht gerechtfertigten Verlust des Arbeitsplatzes ergeben. Eine grobe Sozialwidrigkeit der Kündigung kann außerdem die Abfindung erhöhend berücksichtigt werden.
Das Gericht ist bei Festsetzung der Abfindung an dem gesetzlichen Bewertungsmaßstab gebunden. Es kann nicht nach freiem Ermessen entscheiden, sondern muss sein pflichtgemäßes Ermessen im Rahmen der gesetzlichen Höchstgrenzen ausüben, ohne an die Anträge der Parteien gebunden zu sein.
Der bei Abfindungsverhandlungen weit verbreitete sogenannte „Regelsatz“ – ein halbes Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr – kann allenfalls als Anhaltspunkt für die Angemessenheit einer Abfindung herangezogen werden, ersetzt aber nicht die Einzelfallabwägung durch das Gericht.
Ausgehend von diesem Anhaltspunkt hat das Gericht folgende Überlegungen angestellt:
Aufgrund der langen Betriebszugehörigkeit des Klägers beläuft sich der „Regelsatz“ unter Zugrundelegung einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von 6.000 Euro und einer Beschäftigungsdauer von 23 Jahren auf 69.000 Euro brutto. Aufgrund des Lebensalters des Klägers sowie seiner damit wohl nur eingeschränkten Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat das Gericht diesen Wert um den Faktor 0,1 erhöht. Der Kläger ist am 1960 geboren und war damit am 30.09.2021 – dem Zeitpunkt der Auflösung – fast 61 Jahre alt. Mithin war er zu diesem Zeitpunkt trotz seiner Schwerbehinderung noch nicht rentenberechtigt und muss dem Arbeitsmarkt noch zur Verfügung stehen. Der drohende Vermögensschaden der Arbeitslosigkeit – sowohl hinsichtlich der finanziellen Möglichkeiten ab dem 01.10.2021 als auch hinsichtlich der drohenden Rentenverluste – führte zur Erhöhung um einen Faktor von 0,1.
Eine weitere Erhöhung um einen weiteren Faktor von 0,1 nahm das Gericht aus folgenden Gründen vor:
Eine grobe Sozialwidrigkeit lag zwar nicht vor. Die streitgegenständliche Kündigung war nur deshalb nicht sozial gerechtfertigt, weil im Rahmen der Verhältnismäßigkeit das Interesse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses jedenfalls zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch überwog. Dennoch agierte der Kläger – wie dargelegt – pflichtwidrig. Eine grobe Sozialwidrigkeit war daher zu verneinen.
Allerdings erkannte das Gericht durchaus, dass die erste greifbare Pflichtwidrigkeit vom Beklagten ausging. Der Beklagte stellte den Kläger ohne greifbaren Grund frei, obwohl der Kläger einen Beschäftigungsanspruch aus dem Arbeitsverhältnis hatte und diesen auch unmittelbar gegenüber dem Beklagten – sogar gerichtlich – einforderte. Dieser Aspekt war zu berücksichtigen und führte zu einer Erhöhung um einen weiteren Faktor von 0,1.
Im Ergebnis war daher folgende Berechnung der Höhe nach vorzunehmen:
6.000 Euro brutto x 0,7 x 23 Jahre = 96.600 Euro brutto.
Der Beklagte wurde dementsprechend zur Zahlung einer Abfindung in dieser Höhe verurteilt.
Hinsichtlich des Zeitpunktes der Auflösung galt folgendes:
Das Gericht muss in dem Urteil, in dem es die Auflösung ausspricht, den Zeitpunkt festsetzen, zu dem das Arbeitsverhältnis endet. Das ist nach § 9 Absatz 2 KSchG der Termin, zu dem das Arbeitsverhältnis bei sozial gerechtfertigter Kündigung nach der vertraglichen oder gesetzlichen Frist (§ 622 BGB) geendet hätte. Das Gericht hat bei Festsetzung des Auflösungszeitpunktes nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes kein Ermessen.
Der Beklagte kündigte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 23.02.2021 unstreitig unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zum 30.09.2021. Das Arbeitsverhältnis war dementsprechend zu diesem Datum aufzulösen.