Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 12.06.2024 zum Aktenzeichen XII ZR 92/22 entschieden, dass der nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO gebotene Hinweis auf die beabsichtigte Beschlusszurückweisung der Berufung im Hinblick auf den Anspruch des Berufungsklägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verfahrensordnungsgemäß erst nach dem Vorliegen der Berufungsgründe einschließlich etwaiger (zulässig) geltend gemachter neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel erteilt werden kann.
Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht mit seiner Verfahrensgestaltung vor dem Erlass des Beschlusses nach § 522 Abs. 2 ZPO den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat.
Das Berufungsgericht hat seinen Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu einem Zeitpunkt erlassen, als die Berufung noch nicht begründet war. Das in der Berufungsschrift enthaltene Vorbringen der Beklagten im Vollstreckungsschutzantrag vom 28. April 2022 hat zwar in der Sache auch kursorische Angriffe gegen einzelne Punkte enthalten, die in dem noch nicht schriftlich abgesetzten landgerichtlichen Urteil mutmaßlich nicht ausreichend berücksichtigt worden sein könnten, sich im Übrigen aber auf Ausführungen zu den der Beklagten durch die Herausgabevollstreckung drohenden Nachteilen und der Unauskömmlichkeit der vom Landgericht festgesetzten Sicherheitsleistung beschränkt. Die Begründung der Berufung hat sich die Beklagte ausdrücklich vorbehalten. Zwar enthält das Gesetz keine ausdrückliche Regelung dazu, zu welchem Zeitpunkt der Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu erfolgen hat. Es ist aber evident, dass zumindest die Berufungsgründe einschließlich etwaiger (zulässig) geltend gemachter neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel vorliegen müssen, um dem Berufungsgericht überhaupt die Beurteilung zu ermöglichen, ob dem Rechtsmittel auch eine mündliche Verhandlung offensichtlich nicht zum Erfolg verhelfen kann (vgl. BT-Drucks. 14/4722 S. 97). Nach diesen Grundsätzen hätte das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten nicht durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisen dürfen, ohne der Beklagten einen (nochmaligen) Hinweis zu erteilen, wonach sich seine Einschätzung zu den Erfolgsaussichten des Rechtsmittels und zur Nichterforderlichkeit einer mündlichen Verhandlung auch nach Kenntnisnahme von den Berufungsgründen nicht verändert habe.
Der dem Berufungsgericht unterlaufene Gehörsverstoß ist auch entscheidungserheblich.
Eine Zurückweisungsentscheidung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO beruht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs immer dann auf einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG, wenn das Berufungsgericht bei einer ordnungsgemäßen Verfahrensgestaltung eine noch einzureichende oder bereits eingereichte Stellungnahme des Berufungsklägers hätte berücksichtigen müssen und nicht ausgeschlossen werden kann, dass es in diesem Fall zu einer abweichenden und für den Berufungskläger günstigeren Entscheidung gelangt wäre (vgl. BGH Beschlüsse vom 28. September 2021 – VI ZR 946/20 – NJW-RR 2022, 286 Rn. 6 mwN und vom 19. November 2019 – VI ZR 215/19 – NJW-RR 2020, 248 Rn. 5). So verhält es sich hier.
Eine mögliche Entscheidungserheblichkeit des Gehörsverstoßes kann unter den obwaltenden Umständen allerdings nicht schon darin gesehen werden, dass sich das Berufungsgericht – wenn auch möglicherweise aufgrund einer unzureichenden Erfassung des rechtlichen Petitums der Beklagten – in seinem Zurückweisungsbeschluss nicht mit der von der Beklagten aufgeworfenen Rechtsfrage befasst hat, ob die Rechtsstellung eines Grundstückseigentümers, der Alleinerbe des Nießbrauchsberechtigten wird, und die Rechtsstellung eines Grundstückseigentümers, dem das dienende Grundstück im Wege vorweggenommener Erbfolge übertragen wurde, in Ansehung des Sonderkündigungsrechts nach § 1056 Abs. 2 Satz 1 BGB zumindest „wertungsmäßig“ vergleichbar sind. Denn diese Rechtsfrage ist unzweifelhaft zu verneinen.
Der Grundstückseigentümer, der den Nießbrauchsberechtigten allein beerbt hat, ist nach erbrechtlichen Grundsätzen durch Universalsukzession unmittelbarer Vertragspartner des Mieters geworden und haftet daher nach § 1967 BGB für die Erfüllung des Mietvertrages als Nachlassverbindlichkeit. Könnte der Erbe in dieser Situation den Mietvertrag gemäß § 1056 Abs. 2 Satz 1 BGB kündigen, würde sich eine zu Gunsten des Mieters erlassene Schutzvorschrift in ein ungerechtfertigtes Haftungsprivileg des Erben verkehren (vgl. Senatsurteil vom 20. Oktober 2010 – XII ZR 25/09 – NZM 2011, 73 Rn. 14; BGHZ 109, 111 = NJW 1990, 443, 445).
Demgegenüber trifft den durch einen Übertragungsvertrag im Wege vorweggenommener Erbfolge Begünstigten gemäß § 1967 BGB nach allgemeiner Ansicht keine Haftung für Nachlassverbindlichkeiten des Erblassers (vgl. MünchKommBGB/Küpper 9. Aufl. § 1967 Rn. 3; BeckOGK/Grüner [Stand: 1. März 2024] BGB § 1967 Rn. 69). Deshalb haftet auch derjenige, dem das dienende Grundstück mit dem Motiv der vorweggenommenen Erbfolge unter Vorbehalt eines Nießbrauchs übertragen wird, nicht schon kraft Gesetzes für die Erfüllung der von dem Nießbraucher abgeschlossenen Mietverträge. Mit der Ausübung des Sonderkündigungsrechts gemäß § 1056 Abs. 2 Satz 1 BGB kann daher für ihn auch keine Haftungsprivilegierung verbunden sein. Würde man ihm vielmehr das Sonderkündigungsrecht aus § 1056 Abs. 2 Satz 1 BGB verwehren und ihm dadurch eine im Gesetz nicht vorgesehene Haftung für die Erfüllung der von dem Nießbraucher abgeschlossenen Mietverträge auferlegen, wäre er schlechter gestellt als der Alleinerbe des Nießbrauchers, der sich durch Ausschlagung der Erbschaft von der Haftung für die Nachlassverbindlichkeiten befreien und damit das Sonderkündigungsrecht gemäß § 1056 Abs. 2 Satz 1 BGB zu seinen Gunsten aktivieren könnte.
Der Zurückweisungsbeschluss beruht aber deshalb auf dem Gehörsverstoß, weil das Berufungsgericht auch eine rechtsgeschäftliche Bindung des Klägers an den von dem nießbrauchsberechtigten Vater abgeschlossenen Mietvertrag mit der Beklagten verneint und sich insoweit auf die Auslegung von IV.2. des zwischen dem Kläger und seiner Mutter geschlossenen Übertragungsvertrages vom 12. Dezember 2002 gestützt hat.
Die insoweit einschlägige Bestimmung, wonach „etwaige Miet- und Pachtverhältnisse (…) vom Erwerber bei Nießbrauchsende zu übernehmen“ seien, hat das Berufungsgericht dahingehend gewürdigt, dass sie keine weitergehende Regelung als die enthalte, die sich nach § 1056 Abs. 1 BGB ohnehin aus dem Gesetz ergebe. Die Auslegung von Individualerklärungen ist Sache des Tatrichters. Die Gelegenheit zur Stellungnahme auf einen Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO soll dem Berufungskläger gerade die Möglichkeit eröffnen, sich argumentativ mit den tragenden Erwägungen des Berufungsgerichts auseinanderzusetzen. Es kann im vorliegenden Fall nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht, wäre der Zurückweisungsbeschluss verfahrensordnungsgemäß als weiterer Hinweisbeschluss ergangen und wären ihm daraufhin die in der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung enthaltenen Ausführungen zur Vertragsauslegung und zur diesbezüglichen Erforderlichkeit einer Beweisaufnahme unterbreitet worden, im Hinblick auf die beabsichtigte Beschlusszurückweisung zu einer abweichenden Beurteilung gelangt wäre, und sei es auch nur im Hinblick auf die Nichtgebotenheit einer mündlichen Verhandlung (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO).