Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 15.09.2023 zum Aktenzeichen 4 Sa 382/23 entschieden, dass für den Fall, dass eine Betriebsvereinbarung den Arbeitgeber einseitig dazu ermächtigt, ein bereits erarbeitetes Guthaben auf einem Arbeitszeitkonto zu verwenden, um dem Arbeitnehmer künftig weniger Schichten zuteilen zu müssen, diese Regelung in unrechtmäßiger Art und Weise das Betriebsrisiko auf den Arbeitnehmer verschiebt, wenn der Arbeitnehmer nicht frei darüber entscheiden kann, ob und wie viele Schichten ihm zugeteilt werden.
Ein Arbeitszeitkonto hält fest, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflicht nach § 611 Abs. 1 BGB erbracht hat oder aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestandes nicht erbringen musste. Wegendieser Dokumentationsfunktion darf der Arbeitgeber nicht ohne Befugnis korrigierend in ein Arbeitszeitkonto eingreifen.
§ 615 S. 3 BGB kann nicht abbedungen werden, wenn der Tarifvertrag keine entsprechende Öffnungsklausel enthält. Während bei einer beiderseitigen Tarifbindung in diesem Fall der Arbeitgeber bei einem von ihm zu tragenden Betriebsrisiko die tarifvertraglich geschuldete Vergütung weiterzahlen muss, ohne dies durch eine Betriebsvereinbarung ändern zu können, gilt gleiches für den nicht tarifgebundenen Arbeitgeber für die vom ihm nach § 611a Abs. 2 BGB geschuldete vertragliche Vergütung. Diese Gestaltungsmöglichkeit scheidet mangels Öffnungsklausel im Tarifvertrag regelmäßig aus.
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, die für den Kläger geführten Zeitkonten ohne dessen Zustimmung miteinander zu verrechnen.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 30.07.1986 im Bereich der Werksfeuerwehr in der Wachabteilung I als Unterbrandmeister und als Maschinist tätig.
Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme ua. der „Tarifvertrag für das Feuerwehr- und Sanitätspersonal der Flughafen K /B GmbH vom 01.03.2012“ (nachfolgend: „Tarifvertrag Feuerwehrpersonal“) Anwendung.
§ 2 des Tarifvertrags Feuerwehrpersonal („Arbeitszeit mit Opt-Out“) lautet auszugsweise wie folgt:
„1) Die dienstliche Beanspruchung beträgt 240 Stunden im Monatsdurchschnitt. Der Alarm- und Einsatzdienst wird im 24-Stunden-Dienst geleistet. […]
2) Nach einer Dienstschicht von 24 Stunden ist jeweils eine ununterbrochene Freizeit von 24 Stunden zu gewähren. Die planmäßige 24-Stunden-Schicht wird auf 8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Arbeitsbereitschaft und 8 Stunden Ruhezeit an der Arbeitsstelle aufgeteilt. […]
Protokollerklärunq zu Absatz 1 und 2: Die oberhalb der Arbeitszeit nach Absatz 1 liegenden Mehrschichten sind mit der Überstundenvergütung abzugelten. Die Überstundenvergütung beinhaltet das Tabellenentgelt und die Zulage nach § 8 Abs. 1 dieses Tarifvertrages. Eine Schicht entspricht 16 zu vergütenden Stunden.“
Im Betrieb der Beklagten gilt des Weiteren eine „Betriebsvereinbarung 01/2013 über die Arbeitszeitgestaltung für das Feuerwehr- und Sanitätspersonal der Flughafen K /B GmbH“ (nachfolgend: „BV Arbeitszeit“). Diese regelt auszugsweise:
„§ 4 Berechnung der Jahresarbeitszeit
Die Jahresarbeitszeit richtet sich nach dem jeweils gültigen Tarifvertrag (derzeit 120 Schichten abzgl. Wochenfeiertage, Vorfesttage, Rosenmontag und W‑Tage). Jede geleistete Schicht schmälert das Jahressoll, das in einem Zeitkonto abgebildet wird.
[…]
Bei Ausscheiden eines Beschäftigten sind die Zeitkonten auszugleichen. Verbliebene Salden werden ausgezahlt, negative Salden werden vom Entgelt einbehalten.
Die Salden der Zeitkonten werden zum 31.12. automatisch ins Folgejahr übertragen […]. […]
Zusätzlich zu den Schichten geleistete Stunden werden auf einem separaten Konto, dem sogenannten Stundenkonto gutgeschrieben. Werden auf diesem Stundenkonto 16 Stunden angesammelt, können diese als eine Schicht vom Sollkonto abgezogen werden oder in das Lebensarbeitszeitkonto eingebracht werden.
§ 5 Freiwillige Dienste
Etwaige Ausfälle werden über den Einsatz von Freiwilligen kompensiert (Freiwilligen-Liste). Bei Aktivierung tritt der Freiwillige schnellstmöglich seinen Dienst an. Tritt ein Freiwilliger mit der entsprechenden Funktion den Dienst an, so werden ihm 16 + 2 Stunden auf dem Stundenkonto gutgeschrieben.
§ 6 Verfügungsdienste
Zum Ausgleich von kurzfristigen Ausfällen wird ein täglicher Verfügungsdienst [1 Beschäftigter] eingeplant. Bei Aktivierung nimmt der Verfüger unverzüglich seinen Dienst auf. Wird der Verfüger nicht aktiviert, werden 2 Stunden auf dem Stundenkonto gutgeschrieben. Bei Aktivierung werden ihm 16 + 1 Stunde auf dem Stundenkonto gutgeschrieben. Der Verfüger steht für die Flughafen K /B GmbH am diensthabenden Tag in der Zeit von 6:30 – 8:30 Uhr zur Verfügung. Wird er in dieser Zeit nicht in Anspruch genommen, so hat der Verfüger frei.
§ 7 Berechnung einzelner Dienste/Abwesenheiten
[…]
7.3 Tagesdienste
Tagesdienste werden in der Dienstplangestaltung nur in gerader Anzahl (2 Tagesdienste = eine 24-Stunden-Schicht (16 Stunden Arbeitszeit)) geplant; dies gilt auch für Dienstreisen und Lehrgänge im Tagesdienst. Bei ungerader Anzahl von Tagesdiensten steht dem Beschäftigten frei, ob er unmittelbar davor oder danach einen weiteren Tagesdienst leistet, Zeitguthaben aus dem Stundenkonto oder Gleitzeitkonto einbringt.
7.4 Wochenfeier-/Vorfesttage (W-Tage)
Leistet ein Beschäftigter an Wochenfeiertagen/Vorfesttagen einen 24-Stunden-Dienst, so wird das Jahressoll um eine Schicht gemindert und eine Schicht dem Feiertagskonto gutgeschrieben. Dies gilt auch in Verbindung mit Urlaub. Bei Tagesdienst an einem Wochenfeiertag/Vorfesttag werden 8 Stunden auf dem Feiertagskonto gutgeschrieben.
Hat ein Beschäftigter an einem Wochenfeiertag/Vorfesttag dienstfrei, wird diese Schicht vom Jahressollkonto abgezogen (siehe § 4 dieser Betriebsvereinbarung).
[…]
§ 8 Lebensarbeitszeitkonto
Guthaben aus dem Jahressollkonto (Schichten, die über das Jahressoll hinaus geleistet wurden) können zum 31.12. eines Jahres dem Lebensarbeitszeitkonto zugeführt werden. Zeitguthaben aus dem Stundenkonto können monatlich (nach den Regelungen der Betriebsvereinbarung 02/2011) in das Lebensarbeitszeitkonto eingebracht werden.“
Die Tagesdienste nach § 7.3 BV Arbeitszeit werden auf dem Stundenkonto verbucht. Die dazuzählenden Lehrgänge sind zum Teil für die Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistungen zwingend erforderlich, um den erforderlichen Qualifikationsstandard bei der Flughafenfeuerwehr sicherzustellen.
Anlage 1 zur BV Arbeitszeit regelt in § 1 unter der Überschrift Rahmenbedingungen ua. Folgendes:
„Folgende Punkte sind bei der Dienstplanung durch den Dienstplaner zu beachten/zu berücksichtigen:
Die Stundenkonten sollen möglichst ausgeglichen sein (SOLL = HABEN).
[…]“
Im Betrieb der Beklagten findet des Weiteren die in § 8 BV Arbeitszeit benannte „Betriebsvereinbarung 02/2011 für ein Wertkontenmodell Lebensarbeitszeit“ (nachfolgend „BV Lebensarbeitszeit“) Anwendung, die den Mitarbeitern den Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand ermöglichen soll. Diese regelt in § 4 unter der Überschrift „Aufbau der Wertguthaben und finanzielle Einbringung“ auszugsweise:
„1) Der Beschäftigte kann betreffend die Zeitguthaben jederzeit eine Übertragung vorhandener Zeitguthaben in das Wertkonto veranlassen. […]“
Ferner wurden in der Vergangenheit auf Antrag der Beschäftigten gesammelte Guthaben auf dem Stundenkonto ausgezahlt. Hierzu findet sich allerdings keine Regelung in der BV Arbeitszeit.
Unter dem 18./23.07.2013 vereinbarten die Beklagte und der Betriebsrat zur Ergänzung bzw. Änderung der BV Arbeitszeit, dass zur Beurteilung, wer zum Dienst bei Unterschreitung der Wachstärke bzw. wer nicht zum Dienst bestellt wird, nun das Konto der „Bereinigten Schichten“ zugrunde gelegt werden sollte. Die tatsächlich geleisteten Schichten sollten nicht mehr entscheidend sein. In das Konto der bereinigten Schichten würden neben den tatsächlich geleisteten Schichten auch das Stundenkonto und die Feiertagsstunden eingerechnet.
Mit einer „Mitarbeiterinformation zur Umbuchung von Zeitsalden zum 31.12. eines Jahres“ teilte die Beklagte ihren Beschäftigten im Jahr 2020 ua. Folgendes mit:
„Wie in all den Jahren zuvor – werden wir auch dieses Jahr nach Ablauf des 31.12.2020 eine automatische Umbuchung vornehmen, um noch nicht erfüllte Schichten mit dem Stundenkonto auszugleichen, damit Sie mit 120 erfüllten Schichten das alte Jahr abschließen können. Sollten Ihre Zeitkonten nicht genügend Stunden aufweisen, wird die Anzahl der noch zu erbringenden Schichten auf die 120 Schichten des Folgejahres addiert.“
Der Kläger hatte zum 31.12.2020 auf seinem Stundenkonto ein Guthaben von insgesamt 139,50 Stunden angesammelt.
Entsprechend der oben genannten Mitarbeiterinformation buchte die Beklagte ohne Zustimmung des Klägers 128 Stunden vom Stundenkonto und 112 Stunden vom Feiertagskonto auf dessen Zeitkonto/Sollkonto.
Zum Jahreswechsel 2021/2022 erfolgte ohne Zustimmung des Klägers eine Umbuchung von 128 Stunden aus dem Stundenkonto und von 64 Stunden aus dem Feiertagskonto auf das Sollkonto.
Zum Jahreswechsel 2022/2023 erfolgte eine Umbuchung von 128 Stunden ohne Zustimmung des Klägers vom Stundenkonto auf das Sollkonto.
Die Beklagte hat keinen Anspruch darauf, Guthaben auf dem Stundenkonto und/oder Feiertagskonto mit offenen Stunden auf dem Sollkonto einseitig zu verrechnen. Es mangelt an einer entsprechenden Anspruchsgrundlage. § 4 Absatz 5 BV Arbeitszeit stellt eine solche nicht dar.
Die Auslegung von Betriebsvereinbarungen richtet sich nach den Grundsätzen der Gesetzesauslegung (BAG vom 13.10.2015, 1 AZR 853/13). Bei der Auslegung von Betriebsvereinbarungen kommt es zunächst auf den objektiven Erklärungswert an, der nach dem Wortlaut sowie der Systematik und dem Gesamtzusammenhang der einzelnen Bestimmungen zu ermitteln ist. Ergänzend sind der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Regelung zu beachten (BAG vom 28.04.1993, 10 AZR 222/92). Ebenso können aus der Vollzugspraxis Rückschlüsse auf den Regelungsinhalt der Betriebsvereinbarung gezogen werden (BAG vom 18.11.2014, 1 ABR 18/13). Auch die Entstehungsgeschichte ist von Bedeutung (Düwell, BetrVG § 77 Rn. 17).
Das Gericht teilt hierbei im Ergebnis die von der klagenden Partei vorgenommene Auslegung.
Zwar trägt der Wortlaut des § 4 Absatz 5 BV Arbeitszeit diesbezüglich nicht entscheidend zur Findung der korrekten Auslegung bei. Hier wird passiv formuliert, dass „abgezogen werden“ kann. Nicht erwähnt wird, ob die Beklagte dies einseitig entscheiden darf.
Allerdings wird im gleichen Satz – ebenfalls passiv formuliert – ausgeführt, dass eine Verschiebung in das Lebensarbeitszeitkonto möglich ist. Hierbei ist – aufgrund einer entsprechenden Regelung in § 4 Absatz 1 Satz 1 BV Lebensarbeitszeit – unstreitig, dass diese Verschiebung nur im Einverständnis mit dem Arbeitnehmer erfolgen kann.
Aus diesem Umstand könnten nun grundsätzlich 2 Rückschlüsse gezogen werden:
Zum einen könnte in einem Umkehrschluss angenommen werden, dass eine Zustimmung des Mitarbeiters bei einer Verrechnung zwischen Stundenkonto und Sollkonto nicht notwendig ist, wenn ein solches Zustimmungserfordernis bei der Verschiebung in das Lebensarbeitszeitkonto ausdrücklich aufgenommen wurde, bei der hier streitgegenständlichen Verschiebung jedoch nicht.
Auf der anderen Seite ist jedoch ebenfalls anzumerken, dass das Zustimmungserfordernis hinsichtlich der Verschiebung in das Lebensarbeitszeitkonto in einer anderen Betriebsvereinbarung aufgenommen wurde und damit theoretisch abänderbar ist, ohne, dass die hier auszulegende Vorschrift abgeändert wird. Die auszulegende Vorschrift der streitgegenständlichen BV Arbeitszeit führt in einem Satz 2 Verrechnungsmöglichkeiten auf, ohne zwischen diesen beiden konkret zu differenzieren. Insofern könnte ebenfalls die Auslegung denkbar sein, dass kein Grund ersichtlich ist, weshalb bei der einen Verrechnungsmöglichkeit – unstreitig – die Zustimmung des Mitarbeiters vorliegen muss, bei der anderen jedoch nicht, obwohl gerade in dem entscheidenden Satz zwischen beiden Möglichkeiten nicht differenziert wird.
Der Wortlaut ist insofern wenig ergiebig.
Ausgehend vom Sinn und Zweck der Regelung liegt es nach Auffassung des Gerichts nahe, dass die Betriebsparteien deswegen zwischen Soll- und Stundenkonto unterschieden haben, weil nicht jede erbrachte Stunde in das Schema des Sollkontos passt. Hier teil das Gericht die Auffassung der Beklagten, dass es sich dabei nicht zwingend um Überstunden handeln muss. Im Sollkonto werden zu Beginn eines jeden Jahres 120 Schichten (zu je 24 Stunden) als Minus aufgeführt, die nach dem Verständnis der Betriebsparteien bis zum Ende des jeweiligen Jahres durch Arbeitsleistung und/oder Urlaub oder sonstige bezahlte Freischichten abgebaut werden müssen. Neben diesen Schichten erbringen die Mitarbeiter des Feuerwehrpersonals jedoch auch weitere Tätigkeiten. Zu nennen sind hierbei etwaige Fortbildungen oder auch Tagesdienste. Letztere sind nach dem Verständnis der Betriebsparteien gemäß § 7.3 BV Arbeitszeit zwar möglichst in gerader Zahl zu planen; eben damit sie in das Schema des Sollkontos passen. Es kann jedoch sein, dass dies nicht möglich ist. In diesem Fall muss die erbrachte Arbeitszeit dennoch selbstverständlich registriert werden. Dies erfolgt durch das Stundenkonto.
Auch die in § 4 Absatz 5 BV Arbeitszeit vorgesehene Verrechnungsmöglichkeit ist vom Sinn und Zweck her nachvollziehbar:
Es erscheint selbstverständlich sinnvoll, die Möglichkeit der Verrechnung zu eröffnen, um an dieser Stelle eine Flexibilität dergestalt zu haben, ob die Anzahl der Sollschichten reduziert oder ob die Möglichkeit eines zusätzlichen Verdienstes eröffnet werden soll. Bei diesem Verständnis liegt nach einer Auslegung vom Sinn und Zweck der Regelung durchaus nahe, dass diese Entscheidung der Mitarbeiter treffen darf, weil die Konsequenz der Entscheidung unmittelbar Auswirkungen auf seine finanzielle Situation hat. Im Falle der Verrechnung erhält der Mitarbeiter zwar Freizeit, aber nicht mehr Geld. Falls keine Verrechnung vorgenommen wird, muss der Mitarbeiter – obwohl sein Stundenkonto ein Guthaben aufweist – dennoch sämtliche 120 Schichten im Jahr erbringen. Er erhält im Falle der unterbliebenen Verrechnung also nicht mehr Freizeit, jedoch die Aussicht auf einen Zusatzverdienst. Nach Auffassung des Gerichts dürfte es naheliegend sein, diese Entscheidung dem Mitarbeiter zu überlassen.
Diese Sichtweise wird gestützt durch eine Auslegung nach der Systematik.
Die Systematik der streitgegenständlichen Betriebsvereinbarung spricht zum einen dafür, dass die von der Beklagten gelebte Betrachtung der „bereinigten Sollsichten“ nicht Teil der Betriebsvereinbarung ist. Nach § 3 BV Arbeitszeit genießen bei der Dienstplangestaltung Beschäftigte mit den geringsten geleisteten Stunden Vorzug. Sie sind nach § 3 BV Arbeitszeit einzuteilen. Die Beklagte praktiziert die Planung jedoch entgegen dieser Systematik gänzlich anders: Ausdrücklich entgegen der – jedenfalls ursprünglichen – Vorstellung der Betriebsparteien berücksichtigt die Beklagte Mitarbeiter, die über ein Guthaben auf dem Stundenkonto verfügen, bei der Dienstplanverteilung nicht mehr priorisiert. Diese Mitarbeiter werden bei der Planung der 24-Stunden-Schichten zunächst nicht mehr berücksichtigt, obwohl die Sollschichten möglicherweise gar nicht erreicht werden.
Für die von der klagenden Partei bevorzugte Auslegung des streitgegenständlichen § 4 Absatz 5 BV Arbeitszeit spricht von der Systematik her der Umstand, dass nach § 4 Absatz 4 BV Arbeitszeit ausdrücklich eine automatische Übertragung der Salden zum 31.12. ins Folgejahr vorgesehen ist. Hätten die Betriebsparteien jeweils zum Ende eines Jahres eine einseitige Verrechnungsmöglichkeit gewollt, wäre die automatische Übertragung hierzu widersprüchlich. Nach der BV Arbeitszeit findet eine Verrechnung zum Ende eines jeden Jahres nicht – jedenfalls nicht automatisch – statt.
Gegen die einseitige Verrechnungsmöglichkeit sprachen im Hinblick auf die Systematik zudem folgende Aspekte:
Gemäß § 4 Absatz 5 BV Arbeitszeit in Verbindung mit § 4 Absatz 1 Satz 1 BV Lebensarbeitszeit hat ein Mitarbeiter das Recht, bereits verbuchte Stunden auf das Lebensarbeitszeitkonto zu verschieben. Hätte die Beklagte das Recht, Guthaben auf dem Stundenkonto mit nicht geleisteten – weil von ihr nicht angebotenen – Schichten zu verrechnen, würde dem Mitarbeiter das Recht genommen, selber zu entscheiden, ob eine Verschiebung auf das Lebensarbeitszeitkonto erfolgen soll. Theoretisch könnte sich der Mitarbeiter dazu entscheiden, dass das gesamte Guthaben auf dem Stundenkonto in das Lebensarbeitszeitkonto verschoben werden soll. Diese Entscheidung könnte der Mitarbeiter auch erst am Ende eines Jahres treffen. Die Betriebsvereinbarungen kennen eine Begrenzung weder der Höhe noch der Zeit nach. Sofern ein solcher Antrag gestellt werden sollte, würde das gesamte System – so wie es die Beklagte versteht – in sich zusammenfallen, weil kein Guthaben mehr verbleiben würde, mit dem die Beklagte verrechnen könnte.
Ebenso könnte der Mitarbeiter die in der Praxis gelebte Entscheidung treffen, sich das Guthaben auf dem Stundenkonto auszahlen zu lassen. Dass derartige Anträge in der Vergangenheit offenbar immer genehmigt wurden und nunmehr – nach zunächst einseitiger Einführung einer Betrachtung der „bereinigten Sollschichten“ – teilweise abgelehnt werden, verdeutlicht, dass die Beklagte ein System eingeführt hat, welches mit der Systematik der BV Arbeitszeit und der gelebten Praxis in Bezug auf die Auszahlungsmöglichkeiten nicht in Einklang zu bringen ist.
Hinsichtlich der Frage der Entstehungsgeschichte erfolgte kein diesbezüglicher Sachvortrag der Parteien. Als Auslegungshilfe kann an dieser Stelle jedoch die im Prozess beigebrachte Stellungnahme des Betriebsrats – immerhin Vertragspartner der streitgegenständlichen Betriebsvereinbarung – herangezogen werden. Darin äußert der Betriebsrat, dass nach seinem Verständnis Zeitguthaben bei der Bewertung durch die Dienstplaner nicht hätten berücksichtigt werden dürfen und der Betriebsrat einer einseitigen Verrechnung durch den Arbeitgeber „niemals zugestimmt“ hätte.
Diesem Auslegungsergebnis steht eine anderslautende Vollzugspraxis nicht entgegen. Aus der Vollzugspraxis können – wie dargelegt – Rückschlüsse auf den Regelungsinhalt der Betriebsvereinbarung gezogen werden (BAG vom 18.11.2014, 1 ABR 18/13; BAG vom 21.01.2003, 1 ABR 5/02).
Eine von den Betriebsparteien praktizierte einvernehmliche Handhabung war im Ergebnis nicht ersichtlich. Zwar ist der Beklagten zuzugestehen, dass sie offenbar auch in der Vergangenheit seit Bestehen der streitgegenständlichen Betriebsvereinbarung Verrechnungen zum Ende eines jeden Jahres vorgenommen hat. Dass der Kläger diese Einlassung der Beklagten bestritten hat, mag angesichts der von der Beklagten eingereichten Unterlagen verwundern, zumal der Kläger hierzu auch nicht konkret erwidern konnte. Doch selbst bei unterstellter Richtigkeit der von der Beklagten in diesem Zusammenhang eingebrachten Zahlen lässt sich hieraus allein der Rückschluss ziehen, dass es jeweils die Beklagte war, die zum Ende eines jeden Jahres eine – entgegen der Bestimmungen der Betriebsvereinbarung – automatische Verrechnung vornahm. Eine praktizierte Handhabung der Betriebsparteien – mithin unter Beteiligung des Betriebsrats – ergibt sich aus dieser einseitigen Vorgehensweise noch nicht. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Betriebsrat im Juli 2013 offenbar zugestimmt hatte, nach dem Prinzip der „bereinigten Schichten“ einzuteilen. Dass der Betriebsrat als Vertragspartner einer grundsätzlichen, einseitigen Verrechnungsmöglichkeit keineswegs zustimmen wollte, ergab sich ohne Weiteres aus seiner nunmehr beigefügten Stellungnahme. Darin erklärt der Betriebsrat, dass seinerzeit eine Personalunterdeckung mit der Folge bestanden habe, dass viele Mitarbeiter teils erhebliche Guthaben auf den jeweiligen Zeitkonten hatten. Der Betriebsrat erklärt – wie dargelegt – ebenfalls ausdrücklich, dass Guthaben auf Stunden- und Feiertagskonto laut Betriebsvereinbarung bei der Bewertung durch die Dienstplaner nicht berücksichtigt werden dürften und, dass der Betriebsrat einer einseitigen Verrechnung von Zeitkonten durch den Arbeitgeber niemals zugestimmt hätte. Diese Stellungnahme verdeutlicht, dass es entgegen der Rechtsansicht der Beklagten keine übereinstimmende betriebliche Praxis gab. Auch eine vermeintliche Zustimmung durch den Kläger wurde nicht konkret geschildert, sondern vielmehr nur allgemein behauptet.
Der klägerische Anspruch war aufgrund etwaiger Umbuchungen in der Vergangenheit auch nicht verwirkt.
Im Gegensatz zur Verjährung reicht für die Annahme der Verwirkung der Zeitablauf allein nicht aus (BAG vom 21.4.16, 2 AZR 609/15). Es ist nicht der Zweck der Verwirkung, einen Schuldner, dem gegenüber der Gläubiger längere Zeit sein Recht nicht geltend gemacht hat, von der Pflicht zur Leistung vorzeitig zu befreien. Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig gewesen sein, die den Eindruck erwecken konnten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (BAG vom 21.4.16, 2 AZR 609/15; BAG vom 24.05.2006, 7 AZR 201/05). Ein Recht darf nicht mehr ausgeübt werden, wenn seit der Möglichkeit, es in Anspruch zu nehmen, längere Zeit verstrichen ist – Zeitmoment – und besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten hinzutreten – Umstandsmoment –, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen (BAG vom 21.4.16, 2 AZR 609/15). Wann ein Recht oder Anspruch verwirkt, beurteilt sich somit stets nach den Einzelfallumständen. Dabei beeinflussen sich Zeit- und Umstandsmoment wechselseitig in dem Sinn, dass beide Elemente bildhaft im Sinn „kommunizierender Röhren“ miteinander verbunden sind (BAG vom 28.6.18, 8 AZR 100/17). Untätigkeit des Anspruchsberechtigten führt für sich genommen ebenso wenig zur Verwirkung wie das Ausbleiben von Mahnungen (BAG vom 14.2.07, 10 AZR 35/06). Das Umstandsmoment fehlt regelmäßig, wenn der Schuldner den Anspruch nicht kennt (BAG vom 24.5.06, 7 AZR 201/05) oder der Verpflichtete davon ausgehen muss, der Berechtigte kenne den ihm zustehenden Anspruch nicht. Der erforderliche Zeitablauf kann umso kürzer sein, je gravierender die Umstände im Verhalten des Berechtigten sind, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung als unzumutbar anzusehen (BAG vom 3.12.08, 5 AZR 62/08). Je kürzer allerdings der Zeitablauf, desto seltener werden die Voraussetzungen für eine Verwirkung vorliegen. Das Umstandsmoment tritt dagegen in der Bedeutung zurück, je länger ein Anspruch nicht geltend gemacht wurde. Ist das Zeitmoment erfüllt, kann das Umstandsmoment nicht deshalb verneint werden, weil der Verpflichtete schon vor Ablauf des Zeitmoments disponiert hat (BAG vom 2.12.99, 8 AZR 890/98). Fehlt es am Umstandsmoment, kommt es auf das Zumutbarkeitsmoment nicht mehr an (BAG vom 22.2.12, 4 AZR 579/10).
Hiernach nach lag keine Verwirkung vor:
Zum einen stützte die Beklagte ihre Position im Wesentlichen nicht auf eine vermeintliche Verwirkung. Die Umbuchungen in der Vergangenheit zog sie vielmehr überwiegend deswegen heran, um eine einvernehmliche praktische Übung darzulegen, die jedoch – wie dargelegt – nicht gegeben war.
Zum anderen lagen die Tatbestandsvoraussetzungen einer Verwirkung nicht vor. Der Beklagten ist zwar insoweit Recht zu geben, dass bereits in der Vergangenheit Umbuchungen stattfanden, die vom Ausmaß her teilweise vergleichbar waren mit den Umbuchungen, die der Kläger mit der vorliegenden Klage nunmehr zum Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung macht. Es fehlt jedoch am Umstandsmoment. Das einzige, das dem Kläger möglicherweise in diesem Zusammenhang vorgeworfen werden kann, ist der Umstand, dass ein etwaig vorhandener Protest gegen frühere Umbuchungen nicht festgehalten wurde. Er schwieg. Dass er ausdrücklich zustimmte, trug die Beklagte jedenfalls nicht hinreichend deutlich vor. Konkrete Umstände, aus denen sich ein Einverständnis nachvollziehbar hätte ableiten lassen können, wurden jedenfalls nicht eingebracht. Allein der Umstand, dass eine Partei über einen längeren Zeitraum schweigt, begründet möglicherweise ein Zeitmoment, nicht jedoch ein Umstandsmoment.
Verwirkung schied damit aus.
Hinzu tritt folgendes:
Wenn die von der Beklagten vorgenommene Auslegung des § 4 Absatz 5 BV Arbeitszeit korrekt wäre – die Beklagte hiernach also berechtigt ist, Verrechnungen zwischen dem Stunden-, dem Feiertags- und dem Sollkonto einseitig vorzunehmen – wäre die Regelung aus der Betriebsvereinbarung in diesem Falle unwirksam. Auf das zwischen den Parteien streitige Auslegungsergebnis kam es streitentscheidend mithin gar nicht an. Dass ein solches Auslegungsergebnis zu einer unwirksamen Regelung führen würde, ergab sich aus folgenden Überlegungen:
Ein Arbeitszeitkonto hält fest, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflicht nach § 611 Absatz 1 BGB erbracht hat oder aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestandes nicht erbringen musste. Wegen dieser Dokumentationsfunktion darf der Arbeitgeber nicht ohne Befugnis korrigierend in ein Arbeitszeitkonto eingreifen (BAG vom 21.03.2012, 5 AZR 676/11).
Eine solche Befugnis konnte sich nicht aus § 4 Absatz 5 BV Arbeitszeit ergeben. Zwar werden selbst unter Zugrundelegung des Auslegungsergebnisses der Beklagten im eigentlichen Sinne keine bereits dokumentierten – und damit streitlos gestellten – Stunden im Nachhinein im klassischen Sinne „gestrichen“. Sie werden vielmehr nur verschoben von einem Konto auf das andere Konto. Mit dieser Möglichkeit überträgt die Beklagte jedoch in unrechtmäßiger Weise das Betriebsrisiko auf die Belegschaft.
Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein, § 615 Satz 1 BGB. Dies gilt entsprechend in den Fällen, in denen der Auftraggeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt, § 615 Satz 3 BGB.
Mit dem Betriebsrisiko werden Leistungsstörungen umschrieben, bei denen die Arbeitsleistung des arbeitsfähigen und arbeitswilligen Arbeitnehmers aus im Betrieb liegenden Gründen unterbleibt (BAG vom 30.01.1991, 1 AZR 338/90; BAG vom 23.06.1994, 6 AZR 853/93; BAG vom 23.09.2015, 5 AZR 146/14).
Begründet wird diese Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen des Rechts der Leistungsstörungen damit, dass dem Arbeitgeber die wirtschaftliche Initiative und das Entscheidungsrecht in Fragen der Betriebsführung zusteht. Er soll deshalb insoweit die Verantwortung und damit die Folgen tragen, die sich daraus ergeben, dass die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers und die Entgegennahme der Arbeitsleistung durch ihn aus Gründen unmöglich werden, die im betrieblichen Bereich liegen (BAG vom 30.05.1963, 5 AZR 282/62).
Zwar ist die Regelung des § 615 BGB grundsätzlich abdingbar (BAG vom 10.01.2007, 5 AZR 84/06). Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluss zu § 619 BGB.
Bei einem Arbeitsverhältnis ergibt sich eine Grenze für die Abbedingung aber daraus, dass der Arbeitgeber nicht generell das ihn treffende Arbeitsentgeltrisiko auf den Arbeitnehmer verlagern darf (LAG Düsseldorf vom 19.08.2014, 8 Sa 764/13; MünchKomm/Henssler § 615 BGB Rn 11; ArbRBGB/Matthes § 615 BGB Rn 102; ErfK/Preis § 615 BGB Rn 8).
Dies ist hier jedoch geschehen:
Nach dem Verständnis der Beklagten kann diese gänzlich frei darüber entscheiden, inwieweit sie Stunden auf dem Stundenkonto und/oder Feiertagskonto auf das Sollkonto verschiebt. Dies würde im Falle des Arbeitsausfalls – aus welchen Gründen auch immer – dazu führen, dass die Beklagte ohne Weiteres berechtigt wäre, Mitarbeiter mit entsprechenden Guthaben auf dem Stundenkonto nicht mehr einzusetzen. Dies hätte zur Folge, dass der Arbeitsausfall – also die Realisierung des Betriebsrisikos – keinerlei finanzielle Konsequenzen für die Beklagte hätte. Sie müsste hiernach allein die Stunden vergüten, die der Mitarbeiter irgendwann in der Vergangenheit bereits verdient hat. Weitere finanzielle Verpflichtungen würden trotz Arbeitsausfalls nicht entstehen. Der Arbeitsausfall wäre nach dem Verständnis der Beklagten hiernach also allein vom Mitarbeiter zu tragen.
Dabei ist es nicht relevant, ob eine solche Situation jemals eingetreten ist. Auf den Einwand der Beklagten, dass im Bereich der Werksfeuerwehr auch zu Zeiten der Corona-Pandemie niemals Kurzarbeit angemeldet werden musste, weil stets ausreichend Arbeit vorhanden war, kam es nicht an. Entscheidend war allein, dass die streitgegenständliche Regelung der Betriebsvereinbarung abstrakt ermöglicht hätte, das Betriebsrisiko gänzlich auf den Mitarbeiter zu übertragen. Ob von dieser Möglichkeit bereits Gebrauch gemacht wurde, ist für die Prüfung der Rechtmäßigkeit einer solchen Vereinbarung nicht relevant.
Dabei wird nicht übersehen, dass ein negatives Guthaben auf einem Arbeitszeitkonto einen Lohn– oder Gehaltsvorschuss des Arbeitgebers darstellt und eine Verrechnung mit sonstigen Vergütungsansprüchen möglich ist, wenn allein der Arbeitnehmer darüber entscheiden kann, ob und in welchem Umfang das negative Guthaben entsteht (BAG vom 13.12.2000, 5 AZR 334/99).
So verhielt es sich hier aber gerade nicht:
Zum einen liegt bei der vorliegenden Konstellation ein negatives Guthaben im oben aufgeführten Sinne vor. Zwar erfüllt die Beklagte in Kombination von Stunden-, Feiertags- und Sollkonto formal die tarifvertraglich geschuldete monatliche Durchschnittsarbeitszeit von 240 Stunden. Am Ende des Jahres erreichen damit formal betrachtet alle Mitarbeiter die tarifvertraglich geschuldete Arbeitszeit. Bei denjenigen Mitarbeitern, die weniger Sollschichten als notwendig geleistet haben, wird dies durch vorhandene Guthaben auf dem Stunden- oder Feiertagskonto erreicht. Bei denjenigen Mitarbeitern, die über ein entsprechendes Guthaben auf dem Stunden- und/oder Feiertagskonto nicht verfügen, wird dies dadurch erreicht, dass die Beklagte eben gerade diese Mitarbeiter vermehrt zu Schichten einteilt. Bei dieser Sichtweise wird jedoch übersehen, dass die auf dem Stunden- und/oder Feiertagskonto notierten Stunden keinem Jahr zuzuordnen sind. Gemäß § 4 Absatz 4 BV Arbeitszeit werden Salden jeweils auf das Folgejahr übertragen. Theoretisch könnte es also sein, dass – im Falle des Klägers – sich auf seinem Stundenkonto noch Stunden befinden, die er im Jahr 2013 geleistet hat. Wenn die Beklagte diese Stunden nutzen möchte, um das Nichterreichen der tarifvertraglich geschuldeten Arbeitszeit im Jahr 2023 zu kaschieren, handelt es sich – in Bezug auf das Sollkonto – um ein negatives Guthaben für das Jahr 2023.
Der Kläger hat zudem keine Möglichkeit, dieses negative Guthaben zu verhindern. Allein die Beklagte hat es in der Hand, Schichten zuzuteilen. Dies ist zwischen den Parteien letztlich auch nicht im Streit. Zwar erwähnte und beschrieb die Beklagte eine ihrer Auffassung nach „teilautonome Dienstplangestaltung“. Die einzige Autonomie lag jedoch darin, dass Mitarbeiter in recht großzügigem Maße Frei- und Tauschwünsche äußern konnten. Die Entscheidungshoheit, ob derartigen Wünschen nachgegangen wird, liegt aber unstreitig letztlich bei der Beklagten. Eine Ausdehnung des Gestaltungsspielraums der Mitarbeiter liegt entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht mit Blick auf die Zahl der Urlaubstage vor. Ein solcher Gestaltungsspielraum ist jedem Arbeitsverhältnis immanent.
Die Beklagte beschäftigt 3 Dienstplaner. Diese wären nicht notwendig, wenn die Entscheidungshoheit bei den Mitarbeitern liegen würde.
Die Beklagte schilderte, welche Umstände bei der Dienstplanung berücksichtigt werden. Dies verdeutlicht, dass es die Beklagte ist, die die Planung vornimmt und entscheidend lenken kann. Es liegt in ihrem Verantwortungsbereich, wenn sie Freiwünsche berücksichtigt und genehmigt, obwohl der Mitarbeiter die 120 Sollschichten wegen seiner Freiwünsche nicht mehr erreichen kann.
Entscheidend ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Beklagte nicht vorgetragen und behauptet hatte, dass die Mitarbeiter in der Lage sind, sich selber aktiv Schichten zuzuteilen. Sie mögen eine Art von Mitbestimmungsrecht bei Tausch und Freiwünschen haben. Unstreitig steht ihnen jedoch nicht das Recht zu, einseitig Schichten zuzuteilen. Dies bestätigte die Beklagte im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 18.07.2023 auf ausdrückliche Nachfrage durch das Gericht. Da die Beklagte – wie dargestellt: entgegen der Regelungen der BV Arbeitszeit – Mitarbeiter mit Guthaben auf dem Stunden- und/oder Feiertagskonto nicht mehr oder nur verringert einteilt, liegt mithin eine Situation vor, bei der die Mitarbeiter nicht selber darüber entscheiden können, ob ein negativer Kontostand entsteht. In einem solchen Falle ist die einseitige Verrechnung durch den Arbeitgeber nicht möglich. Ansonsten könnte der Arbeitgeber frei entscheiden, ob er die arbeits- und tarifvertraglich geschuldete Arbeitszeit anbietet oder nicht. Eine solche Konstellation ist rechtlich nicht zulässig.
Es verhielt sich auch nicht so, dass die Beklagte zumindest annährend die Sollsichten zuteilte. Sie argumentierte zwar dahingehend, dass letztlich nicht 120, sondern wegen Urlaub, Vorfesttagsbefreiungen, Rosenmontag und Feiertagen nur 94 Schichten pro Jahr gearbeitet werden müssten. Eine Verrechnung nahm die Beklagte aber stets vor in Höhe der Differenz der gebuchten Schichten und den geschuldeten 120 Schichten. Insofern befanden sich in den zugeteilten Schichten bereits die Schichten, die wegen des Tatbestandes von Urlaub oder Feiertagen ohnehin zu berücksichtigen waren. Ansonsten hätte nur eine Verrechnung in Höhe der Differenz zu 94 Sollschichten erfolgen müssen. Die tarifvertraglich geschuldeten und zu vergebenen Schichten bot die Beklagte damit jeweils bei Weitem nicht an.
Im Ergebnis übertrug die Beklagte daher in unrechtmäßiger Art und Weise das Betriebsrisiko auf den Mitarbeiter.
Hinzu tritt folgendes:
Nach § 77 Abs. 3 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht mehr Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein, sofern der Tarifvertrag dies nicht ausdrücklich ermöglicht. Die Sperrwirkung ist absolut und umfassend. Das Günstigkeitsprinzip gilt nicht. Unerheblich ist ferner, ob der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer tarifgebunden ist. Entscheidend ist allein, ob das Unternehmen – eine Tarifgebundenheit auf beiden Seiten unterstellt – unter den räumlichen, zeitlichen, branchenmäßigen und fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen würde. Die Sperrwirkung erstreckt sich auf sämtliche Arten von Arbeitsbedingungen und damit sowohl auf materielle als auch auf formelle Arbeitsbedingungen (vgl. BAG vom 24.01.1996, 7 AZR 342/95; Kleinebrink DB 2020, 1457 ff.).
Demzufolge kann § 615 Satz 3 BGB nicht abbedungen werden, wenn der Tarifvertrag keine entsprechende Öffnungsklausel enthält. Während bei einer beiderseitigen Tarifbindung in diesem Fall der Arbeitgeber bei einem von ihm zu tragenden Betriebsrisiko die tarifvertraglich geschuldete Vergütung weiterzahlen muss, ohne dies durch eine Betriebsvereinbarung ändern zu können, gilt gleiches für den nicht tarifgebundenen Arbeitgeber für die vom ihm nach§ 611a Absatz 2 BGB geschuldete vertragliche Vergütung (Kleinebrink DB 2020, 1457 ff.). Diese Gestaltungsmöglichkeit scheidet mangels Öffnungsklausel im Tarifvertrag regelmäßig ausscheidet. Dass die Beklagte vorliegend durch eine Öffnungsklausel zum Abschluss einer solchen Regelung ausnahmsweise befugt war, trug sie nicht vor.
Dass die von der Beklagten vorgenommene Verrechnung jeweils nicht rechtmäßig erfolgte und somit rückabzuwickeln war, ergab sich aus vorstehenden Ausführungen.