Der Europäische Gerichtshof hat am 11.02.2021 zu den Aktenzeichen C-407/19 und C-471/19 entschieden, dass ein Gesetz, das die Hafenarbeit anerkannten Arbeitern vorbehält, mit dem Unionsrecht vereinbar sein kann, wenn es zum Ziel hat, die Sicherheit in den Hafengebieten und die Verhütung von Arbeitsunfällen zu gewährleisten.
Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 15/2021 vom 11.02.2021 ergibt sich:
Die Einschaltung eines paritätischen Verwaltungsausschusses bei der Anerkennung von Hafenarbeitern ist jedoch weder erforderlich noch geeignet, um das verfolgte Ziel zu erreichen.
Im belgischen Recht ist die Hafenarbeit u. a. durch das Gesetz über die Hafenarbeit geregelt, nach dem die Hafenarbeit nur von anerkannten Hafenarbeitern verrichtet werden darf. Im Jahr 2014 richtete die Europäische Kommission ein Mahnschreiben an Belgien, in dem sie diesem mitteilte, dass seine Regelung über die Hafenarbeit die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) verletze. Daraufhin erließ Belgien 2016 einen Königlichen Erlass über die Anerkennung von Hafenarbeitern in den Hafengebieten, in dem die Modalitäten für die Durchführung des Gesetzes über die Hafenarbeit festgelegt wurden, was die Kommission dazu veranlasste, das Vertragsverletzungsverfahren gegen Belgien einzustellen.
In der Rechtssache Katoen Natie Bulk Terminals und General Services Antwerp (C-407/19) beantragten die beiden Gesellschaften dieses Namens, die Hafenarbeiten in Belgien und im Ausland ausführen, beim Raad van State (Staatsrat, Belgien) die Nichtigerklärung dieses Königlichen Erlasses von 2016, da sie der Ansicht waren, dass er ihre Freiheit beschränke, für die Arbeit in den belgischen Hafengebieten Hafenarbeiter aus anderen Mitgliedstaaten als Belgien einzustellen.
In der Rechtssache Middlegate Europe (C-471/19) war gegen die betreffende Gesellschaft eine Geldbuße verhängt worden, nachdem die belgische Polizei einen Verstoß der Verrichtung von Hafenarbeit durch einen nicht anerkannten Hafenarbeiter festgestellt hatte. In einem Verfahren, das bei dem in dieser zweiten Rechtssache vorlegenden Gericht, dem Grondwetteljk Hof (Verfassungsgerichtshof, Belgien), anhängig ist, beanstandete Middlegate Europe die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes über die Hafenarbeit und vertrat die Auffassung, dass es gegen die Handels- und Gewerbefreiheit der Unternehmen verstoße. Dieses Gericht ist der Auffassung, dass diese in der belgischen Verfassung verankerte Freiheit in engem Zusammenhang mit mehreren durch den AEU-Vertrag garantierten Grundfreiheiten wie dem freien Dienstleistungsverkehr (Art. 56 AEUV) und der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) stehe. Es hat beschlossen, den Gerichtshof – ebenso wie es der Raad van State (Staatsrat) in der ersten Rechtssache getan hat – zur Vereinbarkeit der nationalen Vorschriften, die weiterhin eine Sonderregelung für die Einstellung von Hafenarbeitern vorsehen, mit diesen beiden Grundfreiheiten zu befragen. Über die Beantwortung dieser Frage hinaus wird der Gerichtshof in diesen verbundenen Rechtssachen ersucht, weitere Kriterien festzulegen, um klären zu können, ob die Hafenarbeiterregelung mit den Anforderungen des Unionsrechts vereinbar ist.
Würdigung durch den Gerichtshof
Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass die fragliche Regelung, nach der gebietsfremde Unternehmen, die sich in Belgien niederlassen wollen, um dort Hafenarbeiten auszuführen, oder die, ohne sich dort niederzulassen, dort Hafendienstleistungen erbringen wollen, nur Hafenarbeiter einsetzen dürfen, die gemäß dieser Regelung als solche anerkannt sind, diese Unternehmen daran hindert, ihr eigenes Personal einzusetzen oder andere nicht anerkannte Arbeiter einzustellen. Daher beschränkt diese Regelung, die es für diese Unternehmen weniger attraktiv machen kann, sich in Belgien niederzulassen oder dort Dienstleistungen zu erbringen, die durch die Art. 49 und 56 AEUV garantierten beiden Grundfreiheiten der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit. Eine solche Beschränkung kann durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sofern sie geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. Im vorliegenden Fall kann die fragliche Regelung für sich allein nicht als ungeeignet oder unverhältnismäßig angesehen werden, um das mit ihr verfolgte Ziel, die Sicherheit in den Hafengebieten zu gewährleisten und Arbeitsunfälle zu verhüten, zu erreichen. Auf der Grundlage einer umfassenden Beurteilung der fraglichen Regelung entscheidet der Gerichtshof, dass eine solche Regelung mit den Art. 49 und 56 AEUV vereinbar ist, sofern die in Anwendung der Regelung festgelegten Bedingungen und Modalitäten zum einen auf objektiven, diskriminierungsfreien und im Voraus bekannten Kriterien beruhen, die den Hafenarbeitern aus anderen Mitgliedstaaten den Nachweis ermöglichen, dass sie in ihrem Herkunftsstaat Anforderungen erfüllen, die den für inländische Hafenarbeiter geltenden Anforderungen gleichwertig sind, und zum anderen kein begrenztes Kontingent anerkennungsfähiger Arbeiter festlegen.
Sodann prüft der Gerichtshof die Vereinbarkeit des angefochtenen Königlichen Erlasses mit den verschiedenen vom AEU-Vertrag garantierten Verkehrsfreiheiten und stellt fest, dass die fragliche nationale Regelung auch die in Art. 45 AEUV verankerte Arbeitnehmerfreizügigkeit beschränkt, da sie eine abschreckende Wirkung gegenüber Arbeitgebern und Arbeitnehmern aus anderen Mitgliedstaaten haben kann. Der Gerichtshof beurteilt anschließend die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der verschiedenen in dieser Regelung enthaltenen Maßnahmen in Bezug auf das Ziel, die Sicherheit in den Hafengebieten zu gewährleisten und Arbeitsunfälle zu verhüten.
Dabei stellt der Gerichtshof erstens fest, dass die fragliche Regelung, die insbesondere vorsieht, dass
– die Anerkennung von Hafenarbeitern durch einen Verwaltungsausschuss erfolgt, der paritätisch aus Mitgliedern zusammengesetzt ist, die von den Arbeitgeber– und den Arbeitnehmerorganisationen benannt werden,
– dieser Ausschuss nach Maßgabe des Arbeitskräftebedarfs auch darüber entscheidet, ob die anerkannten Arbeiter in ein Kontingent von Hafenarbeitern aufzunehmen sind, wobei bei den Hafenarbeitern, die nicht in dieses Kontingent aufgenommen werden, die Dauer ihrer Anerkennung auf die Dauer ihres Arbeitsvertrags begrenzt ist, so dass für jeden neuen Vertrag, den sie schließen, ein neues Anerkennungsverfahren einzuleiten ist,
– es keine maximale Frist gibt, innerhalb deren der Ausschuss entscheiden muss, da sie zur Erreichung des angestrebten Ziels weder erforderlich noch geeignet ist, nicht mit den in den Art. 45, 49 und 56 AEUV verankerten Verkehrsfreiheiten vereinbar ist.
Zweitens prüft der Gerichtshof die Bedingungen für die Anerkennung von Hafenarbeitern. Nach der fraglichen Regelung muss ein Arbeitnehmer, sofern er nicht nachweisen kann, dass er in einem anderen Mitgliedstaat gleichwertige Bedingungen erfüllt, gesundheitlich geeignet sein, einen psychologischen Test bestehen und eine vorherige berufliche Fortbildung absolvieren. Bei diesen Anforderungen handelt es sich um Bedingungen, die geeignet sind, die Sicherheit in den Hafengebieten zu gewährleisten, und die in Bezug auf ein solches Ziel verhältnismäßig sind. Folglich sind solche Maßnahmen mit den in den Art. 45, 49 und 56 AEUV vorgesehenen Verkehrsfreiheiten vereinbar. Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die Aufgabe, die der Arbeitgeberorganisation und gegebenenfalls den Gewerkschaften der anerkannten Hafenarbeiter bei der Benennung der mit der Durchführung dieser Untersuchungen, Tests oder Prüfungen betrauten Organe übertragen wurde, nicht die Transparenz, Objektivität und Unparteilichkeit der Untersuchungen, Tests oder Prüfungen in Frage stellen kann.
Drittens entscheidet der Gerichtshof, dass die fragliche Regelung, nach der die Anerkennung, die ein Hafenarbeiter gemäß einer früheren gesetzlichen Regelung erhalten hat, fortgilt, und er in das Kontingent von Hafenarbeitern aufgenommen wird, nicht als ungeeignet erscheint, das verfolgte Ziel zu erreichen, und auch nicht als unverhältnismäßig im Hinblick auf dieses Ziel, so dass sie insoweit auch mit den in den Art. 45, 49 und 56 AEUV verankerten Freiheiten vereinbar ist.
Viertens stellt der Gerichtshof fest, dass die fragliche Regelung, wonach der Transfer eines Hafenarbeiters in das Arbeitnehmerkontingent eines anderen Hafengebiets als desjenigen, in dem er seine Anerkennung erhalten hat, den in einem Tarifvertrag festgelegten Bedingungen und Modalitäten unterliegt, mit den in den Art. 45, 49 und 56 AEUV vorgesehenen Verkehrsfreiheiten vereinbar ist. Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Bedingungen und Modalitäten im Hinblick auf das Ziel, die Sicherheit in jedem Hafengebiet zu gewährleisten, erforderlich und verhältnismäßig sind.
Schließlich entscheidet der Gerichtshof, dass eine Regelung, nach der logistische Arbeitnehmer über eine „Sicherheitsbescheinigung“ verfügen müssen, deren Ausstellungsmodalitäten in einem Tarifvertrag vorgesehen sind, nicht mit den in den Art. 45, 49 und 56 AEUV verankerten Freiheiten unvereinbar ist, vorausgesetzt, dass die Bedingungen für die Ausstellung einer solchen Bescheinigung in Bezug auf das Ziel, die Sicherheit in Hafengebieten zu gewährleisten, erforderlich und verhältnismäßig sind, und das Verfahren für ihre Einholung keinen unzumutbaren und unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand erfordert.