Das Landgericht Koblenz hat mit Beschluss vom 04.03.2024 zum Aktenzeichen 14 O 784/23 entschieden, dass einem Bundesminister, der unter einem Video auf Facebook in den dortigen Kommentaren als „Drecksack“ bezeichnet wurde, ein Unterlassungsanspruch und ein Anspruch auf Schmerzensgeld zusteht.
Aus der Pressemitteilung des LG Koblenz vom 30.07.2024 ergibt sich:
Der Sachverhalt:
Bei dem Kläger handelt es sich um den Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Cem Özdemir.
Am 29.04.2022 kommentierte der Beklagte über sein Facebook-Profil ein vom Kläger am selben Tage veröffentlichtes und bis heute einsehbares Video mit dem Kommentar „Drecksack“. Daraufhin erstattete der Kläger unter dem 11.07.2022 Strafanzeige. Mit Verfügung vom 06.04.2023 stellte die Staatsanwaltschaft Koblenz das Verfahren gegen den Beklagten nach § 153a StPO gegen eine Geldauflage von 1.000,00 € vorläufig ein. Da der Beklagte die Geldauflage nicht zahlte, wurde das Strafverfahren vor dem Amtsgericht Altenkirchen (Az.: 9 Cs 2020 Js 3789/23) gegen den Beklagten geführt. Unter dem 15.08.2023 versandte der klägerische Prozessbevollmächtigte an den Beklagten im Auftrag des Klägers eine Abmahnung, mit der der Beklagte unter Fristsetzung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung sowie zur Erstattung der durch die Abmahnung entstandenen Rechtsverfolgungskosten aufgefordert wurde. Der Beklagte reagierte auf die Abmahnung nicht.
Mit seiner Klage beantragte der Kläger, dem Beklagten bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu untersagen, über den Kläger zu äußern und/oder äußern zu lassen: „Drecksack“ sowie den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 600,00 € nebst Zinsen sowie vorgerichtliche Abmahnkosten in Höhe von 800,39 € nebst Zinsen zu zahlen.
Der Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen und ihm Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Er äußerte die Auffassung, dass nach einem Zeitraum von über 22 Monaten nach dem von dem Beklagten am 29.04.2022 verfassten Post keine Wiederholungsgefahr mehr bestehe. Der Post des Beklagten sei eine Reaktion auf ein Video des Klägers, in dem die bundesweiten Tafeln als zwingend erforderlich für die Versorgung der prekären Bevölkerung mit Nahrung dargestellt worden sein. Für den Beklagten sei es sonderbar, dass der Kläger nicht durch sein Ministerium die Grundlagen für eine ausreichende Lebensmittelversorgung dieser Bevölkerungsteile schaffe, sondern diese durch gemeinnützige Organisationen, wie beispielsweise die Tafeln, sicherstelle und dies als Erfolg seines Ministeriums deklariere. Der Post sei zwar unsachlich, stelle jedoch eine Reaktion auf ein Verhalten des Ministeriums des Klägers dar und lasse sich mithin durchaus als Meinungsäußerung einordnen.
Die Entscheidung:
Die 14. Zivilkammer hat zunächst den Antrag des Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverteidigung keine Aussicht auf Erfolg habe.
Es liege eine Meinungsäußerung des Beklagten vor. Diese sei ehrenrührig und verletze den Kläger in seinem Persönlichkeitsrecht.
Zwar stehe es dem Beklagten grundsätzlich im Rahmen seines Rechts auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG frei, sich auch in scharfer Form kritisch über den Kläger zu äußern. Die Meinungsfreiheit sei aber nicht vorbehaltlos, sondern nur in den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG gewährleistet. Zu diesen gehöre das Recht der persönlichen Ehre und auf öffentliches Ansehen. Die Beurteilung, ob eine ehrbeeinträchtigende Äußerung rechtswidrig ist, sei in aller Regel von einer Abwägung der widerstreitenden grundrechtlichen Interessen abhängig, die eine umfassende und einzelfallbezogene Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen einer Äußerung und ihrer Bedeutung erfordere.
Im vorliegenden Fall überwiege das grundgesetzlich geschützte Persönlichkeitsrecht des Klägers die ebenfalls grundrechtlich geschützte Meinungsfreiheit des Beklagten.
Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die Äußerung des Beklagten in einem sozialen Netzwerk im Internet erfolgt sei und daher eine konkrete Breitenwirkung entfalte. Das geäußerte Schimpfwort habe keinen sachlichen Bezug zu dem Thema des Videos des Klägers oder einen konkreten nachvollziehbaren Anlass erkennen lassen, sondern habe nur zum Ziel gehabt, den Kläger zu diffamieren. Es handele sich daher lediglich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen den Kläger und nicht um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung.
Zudem hat sich die Kammer bei der Abwägung ausführlich mit der Meinungsfreiheit auseinandergesetzt und hierbei berücksichtigt, dass nicht die Privatsphäre des Klägers betroffen sei, sondern das öffentliche Wirken des Klägers, der als Politiker bewusst in die Öffentlichkeit trete. Außerdem sei der Schutz der Meinungsfreiheit gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen und finde darin unverändert seine Bedeutung. Allerdings blieben auch die Gesichtspunkte der Machtkritik und der Veranlassung durch vorherige eigene Wortmeldungen im Rahmen der öffentlichen Debatte in eine Abwägung eingebunden und erlaubten nicht jede auch ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern oder Politikern. Gegenüber einer auf die Person abzielenden, insbesondere öffentlichen Verächtlichmachung oder Hetze setze die Verfassung allen Personen gegenüber äußerungsrechtliche Grenzen und nehme hiervon Personen des öffentlichen Lebens und Amtsträger nicht aus. Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft könne nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet werde.
Die Kammer folgte auch nicht der Argumentation des Beklagten, dass nach einem Zeitraum von über 22 Monaten nach dem von dem Beklagten am 29.04.2022 verfassten Post keine Wiederholungsgefahr mehr bestehe. Nach ständiger Rechtsprechung begründe die begangene Rechtsverletzung eine Wiederholungsgefahr, die nur durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden könne.
Der vom Kläger angegebene Streitwert in Höhe von 7.600,00 € und das geforderte Schmerzensgeld in Höhe von 600,00 € wurde von der Kammer im Hinblick auf die Prominenz des Klägers einerseits und Art, Intensität und Umfang der Äußerung andererseits als zutreffend angesehen.
Die vom Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts erhobene sofortige Beschwerde wurde durch das OLG Koblenz zurückgewiesen. Das OLG Koblenz hat im Rahmen der Begründung auf die Ausführungen des Beschlusses des Landgerichts Bezug genommen und diese für zutreffend erachtet.
Der Beklagte hat daraufhin die Klage anerkannt und wurde entsprechend antragsgemäß durch Anerkenntnisurteil vom 25.05.2024 verurteilt.