Beiträge zum Einheitlichen Abwicklungsfonds

15. Juli 2021 -

Der Europäische Gerichtshof hat am 15.07.2021 zum Aktenzeichen C-584/20 P und C-621/20 P den Beschluss des Einheitlichen Abwicklungsausschusses über die Berechnung der Vorausbeiträge der Landesbank Baden-Württemberg zum Einheitlichen Abwicklungsfonds für 2017 wegen unzureichender Begründung für nichtig erklärt.

Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 135/2021 vom 15.07.2021 ergibt sich:

Obwohl der Gerichtshof insoweit zu demselben Ergebnis gelangt wie das Gericht, hebt er das Urteil des Gerichts auf, weil es gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens verstoßen und den Umfang der Begründungspflicht unzutreffend beurteilt hat.

Am 11. April 2017 erließ der Einheitliche Abwicklungsausschuss (SRB) im Rahmen der Finanzierung des Einheitlichen Abwicklungsfonds (SRF) einen Beschluss, mit dem die von jedem Kreditinstitut zu zahlenden Vorausbeiträge zum SRF für das Jahr 2017 festgesetzt wurden (Beschluss der Präsidiumssitzung des SRB vom 11. April 2017 über die Berechnung der im Voraus erhobenen Beiträge zum Einheitlichen Abwicklungsfonds für 2017 – SRB/ES/SRF/2017/05; im Folgenden: streitiger Beschluss). Zu diesen Instituten gehörte die Landesbank Baden-Württemberg, ein deutsches Kreditinstitut.

Die Landesbank Baden-Württemberg erhob hiergegen Nichtigkeitsklage, und das Gericht der Europäischen Union erklärte den streitigen Beschluss für nichtig, soweit er diese Bank betraf (Urteil vom 23. September 2020, Landesbank Baden-Württemberg/SRB, T-411/17). Es war der Auffassung, dass der Beschluss das Erfordernis der Feststellung nicht erfüllte, und stellte darüber hinaus fest, dass der SRB gegen die Begründungspflicht verstoßen habe. In diesem Zusammenhang führte das Gericht u. a. aus, dass der streitige Beschluss kaum Anhaltspunkte für die Berechnung des Vorausbeitrags zum SRF beinhalte und dass sein Anhang keine Angaben enthalte, die eine Überprüfung der richtigen Berechnung dieses Beitrags ermöglichten.

Der Gerichtshof (Große Kammer), bei dem die Kommission (Rechtssache C-584/20 P) und der SRB (Rechtssache C-621/20 P) Rechtsmittel eingelegt haben, hat das Urteil des Gerichts aufgehoben. Der Gerichtshof hat den Rechtsstreit endgültig entschieden und den streitigen Beschluss im Hinblick auf die Landesbank Baden-Württemberg wegen unzureichender Begründung für nichtig erklärt, ist dabei aber einem anderen Ansatz als das Gericht gefolgt, was den Umfang der Begründungspflicht betrifft.

Würdigung durch den Gerichtshof

Als Erstes hat der Gerichtshof festgestellt, dass das Gericht gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens verstoßen hat, da es dem SRB nicht die Möglichkeit gegeben hat, zu dem von Amts wegen geprüften Gesichtspunkt des Fehlens eines hinreichenden Beweises für die Feststellung des Anhangs des streitigen Beschlusses sachgerecht Stellung zu nehmen.

Um den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens einzuhalten, ist eine vorherige Aufforderung an die Parteien zu richten, zu dem Gesichtspunkt Stellung zu nehmen, den das Unionsgericht von Amts wegen zu berücksichtigen beabsichtigt, und zwar unter Bedingungen, die es ihnen ermöglichen, zu diesem Gesichtspunkt zweckdienlich und wirksam Stellung zu nehmen, gegebenenfalls auch dadurch, dass sie diesem Gericht die Beweise vorlegen, die erforderlich sind, damit es über diesen Gesichtspunkt in voller Kenntnis der Sachlage entscheiden kann. Daher oblag es dem Gericht, den Parteien mitzuteilen, dass es beabsichtigte, seine Entscheidung auf den Gesichtspunkt des Fehlens der Feststellung des streitigen Beschlusses zu stützen, und sie folglich aufzufordern, ihm die Argumente vorzutragen, die sie für die Entscheidung des Gerichts über diesen Gesichtspunkt für zweckdienlich hielten. Im vorliegenden Fall hatte das Gericht dem SRB jedoch weder vor noch in der mündlichen Verhandlung tatsächlich die Möglichkeit gegeben, insbesondere durch die Vorlage von Beweisen bezüglich der Feststellung des streitigen Beschlusses zweckdienlich und wirksam zu diesem Gesichtspunkt Stellung zu nehmen.

Der Gerichtshof hat festgestellt, dass das Gericht gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens verstoßen hat, und entschieden, dass der SRB die Feststellung des streitigen Beschlusses als Ganzes, sowohl hinsichtlich seines Textes als auch hinsichtlich seines Anhangs, insbesondere durch die Verwendung des IT-Systems „ARES“ hinreichend gewährleistet hatte.

Als Zweites hat sich der Gerichtshof zur Begründungspflicht des SRB bei Erlass des streitigen Beschlusses geäußert.

Zunächst hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass das Gericht den Umfang dieser Pflicht unzutreffend beurteilt hat, als es entschieden hat, dass der SRB verpflichtet gewesen sei, in die Begründung des streitigen Beschlusses die Angaben aufzunehmen, die es der Landesbank Baden-Württemberg erlauben würden, die Richtigkeit der Berechnung ihres Vorausbeitrags zum SRF für das Jahr 2017 zu überprüfen, ungeachtet der Vertraulichkeit bestimmter dieser Angaben.

Zum einen muss die Begründung jeder Entscheidung eines Organs, einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union, mit der einem privaten Wirtschaftsteilnehmer die Zahlung eines Geldbetrags auferlegt wird, nicht zwingend sämtliche Angaben enthalten, die es ihrem Adressaten ermöglichen, die Richtigkeit der Berechnung dieses Betrags zu überprüfen. Zum anderen sind die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union nach dem Grundsatz des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen, einem allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts, grundsätzlich verpflichtet, den Wettbewerbern eines privaten Wirtschaftsteilnehmers von diesem erteilte vertrauliche Informationen nicht preiszugeben.

Unter Berücksichtigung der Logik des Systems der Finanzierung des SRF und des Modus der Berechnung der Vorausbeiträge zum SRF, der insbesondere auf der Verwendung vertraulicher Daten bezüglich der finanziellen Situation der von der Berechnung betroffenen Institute beruht, muss die Pflicht zur Begründung des streitigen Beschlusses mit der Pflicht des SRB zur Wahrung der Geschäftsgeheimnisse dieser Institute abgewogen werden. Jedoch darf die letztgenannte Pflicht nicht so extensiv ausgelegt werden, dass dadurch die Begründungspflicht ihres Inhalts beraubt wird. In diesem Sinne beeinträchtigt die Begründung einer Entscheidung, mit der einem privaten Wirtschaftsteilnehmer die Zahlung eines Geldbetrags auferlegt wird, ohne dass ihm sämtliche Informationen gegeben werden, anhand deren die Richtigkeit der Berechnung dieses Geldbetrags überprüft werden kann, nicht zwangsläufig in allen Fällen die Begründungspflicht.

So ist der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, dass im vorliegenden Fall die Begründungspflicht erfüllt ist, wenn den Adressaten eines Beschlusses, mit dem Vorausbeiträge zum SRF festgesetzt werden, zwar keine unter das Geschäftsgeheimnis fallenden Daten übermittelt werden, sie aber über die vom SRB angewandte Berechnungsmethode und über ausreichende Informationen verfügen, um im Wesentlichen nachzuvollziehen, wie ihre individuelle Situation bei der Berechnung ihres Vorausbeitrags zum SRF in Anbetracht der Situation aller anderen betroffenen Institute berücksichtigt wurde.

Sodann hat sich der Gerichtshof nicht der Feststellung des Gerichts angeschlossen, wonach der Verstoß gegen die Begründungspflicht des SRB für den Teil der Berechnung der Vorausbeiträge zum SRF, der die Anpassung entsprechend dem Risikoprofil der betroffenen Institute betreffe, auf der Rechtswidrigkeit einiger Bestimmungen der Delegierten Verordnung 2015/63 (Delegierte Verordnung (EU) 2015/63 der Kommission vom 21. Oktober 2014 zur Ergänzung der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf im Voraus erhobene Beiträge zu Abwicklungsfinanzierungsmechanismen (ABl. 2015, L 11, S. 44). Im angefochtenen Urteil hatte das Gericht festgestellt, dass die Art. 4 bis 7 und 9 sowie der Anhang I dieser Verordnung über die Berechnungsmethode der im Voraus erhobenen Beiträge zum SRF rechtswidrig seien) beruhe.

Nach einer näheren Darstellung des Mechanismus zur Anpassung der Vorausbeiträge zum SRF an das Risikoprofil, die im Wesentlichen dadurch sichergestellt wird, dass die betroffenen Institute auf der Grundlage bestimmter Werte einer „Klasse“ zugeordnet werden, was letztlich die Bestimmung des Risikoanpassungsmultiplikators ermöglicht, hat der Gerichtshof ausgeführt, dass der SRB die Grenzwerte jeder „Klasse“ und die sich darauf beziehenden Indikatoren weitergeben kann, ohne gegen seine Pflicht zur Wahrung des Geschäftsgeheimnisses zu verstoßen. Diese Weitergabe soll es dem betroffenen Institut ermöglichen, sich u. a. zu vergewissern, dass die Klassierung, die ihm bei der Diskretisierung der Indikatoren zugewiesen worden ist, tatsächlich seiner wirtschaftlichen Situation entspricht, dass diese Diskretisierung gemäß der in der Delegierten Verordnung 2015/63 festgelegten Methode auf der Grundlage plausibler Daten vorgenommen worden ist und dass alle Risikofaktoren berücksichtigt worden sind.

Zudem beruhen die anderen Schritte der Methode zur Berechnung der Vorausbeiträge zum SRF auf aggregierten Daten der betroffenen Institute, die in allgemeiner Form weitergegeben werden können, ohne dass dadurch die Pflicht des SRB zur Wahrung des Geschäftsgeheimnisses verletzt würde.

Daher hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Delegierte Verordnung 2015/63 den SRB nicht daran hindert, in allgemeiner und anonymisierter Form ausreichende Informationen offenzulegen, um es einem Institut zu ermöglichen, nachzuvollziehen, auf welche Weise seine individuelle Situation bei der Berechnung seines Vorausbeitrags zum SRF in Anbetracht der Situation aller anderen betroffenen Institute berücksichtigt wurde. Eine Begründung, die auf die Offenlegung der relevanten Informationen in einer allgemeinen und anonymisierten Form gestützt wird, ermöglicht es dem einzelnen Institut zwar nicht, systematisch einen etwaigen Fehler des SRB bei der Erhebung und der Aggregierung der betreffenden Daten zu erkennen. Sie genügt aber, um es dem Institut zu ermöglichen, sich zu vergewissern, dass die Informationen, die es den zuständigen Behörden übermittelt hat, tatsächlich, im Einklang mit den einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts, in die Berechnung seines Vorausbeitrags zum SRF einbezogen wurden, und auf der Grundlage seiner allgemeinen Kenntnis des Finanzsektors eine etwaige Verwendung unplausibler oder offensichtlich falscher Informationen festzustellen sowie zu entscheiden, ob gegen einen Beschluss des SRB, mit dem sein Vorausbeitrag zum SRF festgesetzt wird, eine Nichtigkeitsklage zu erheben ist. Allerdings hat der Gerichtshof klargestellt, dass dieser Ansatz hinsichtlich der Begründung des streitigen Beschlusses die Möglichkeit für die Unionsgerichte unberührt lässt, den SRB zur Vorlage von Daten aufzufordern, die die Berechnungen rechtfertigen können, deren Richtigkeit vor ihnen bestritten wird, und dabei, soweit erforderlich, die Vertraulichkeit dieser Daten zu gewährleisten, um eine effektive, den Anforderungen von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entsprechende gerichtliche Kontrolle auszuüben.

Schließlich hat der Gerichtshof festgestellt, dass der streitige Beschluss nicht hinreichend begründet ist, da sich die darin enthaltenen Angaben sowie die Angaben, die zum Zeitpunkt des Beschlusses auf der Website des SRB zugänglich waren, nur auf einen Teil der relevanten Informationen erstreckten, die der SRB hätte übermitteln können, ohne das Geschäftsgeheimnis zu verletzen. Insbesondere enthielten weder der Anhang dieses Beschlusses noch die Website des SRB Daten zu den Grenzwerten jeder „Klasse“ und den sich darauf beziehenden Indikatorwerten. Folglich ist der streitige Beschluss für nichtig erklärt worden, soweit er die Landesbank Baden-Württemberg betrifft.