Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein hat am 22.12.2020 zum Aktenzeichen 9 U 39/20 entschieden, dass der Eigentümer des Bahnhofsgebäudes in Schleswig verpflichtet ist, den Wartebereich der Empfangshalle und eine angrenzende WC-Anlage für die Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen, die WC-Anlage in einen funktionsfähigen Zustand zu versetzen und eine Wegefläche innerhalb der Empfangshalle und außerhalb des Bahnhofsgebäudes an der nordwestlichen Grundstücksgrenze zwischen Bahnhofsvorplatz und Bahnsteig wieder begehbar zu machen.
Aus der Pressemitteilung des OLG SH Nr. 15/2020 vom 22.12.2020 ergibt sich:
Die Klägerin zu 2., eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn AG, war Eigentümerin des Grundstücks „Bahnhofstraße 29“ in Schleswig, das mit dem unter Denkmalschutz stehenden Bahnhofsgebäude des Bahnhofs Schleswig bebaut ist. Die Klägerin zu 1. ist ebenfalls eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn AG. Im Rahmen einer notariell beurkundeten Versteigerung am 13.04.2013 erhielt der Beklagte den Zuschlag zum Erwerb einer bebauten Teilfläche des Grundstücks. Auf dieser Teilfläche steht u. a. das Bahnhofsgebäude. In der notariellen Urkunde räumte der Beklagte der Klägerin zu 1. u.a. ein Dauernutzungsrecht an dem Wartebereich der Empfangshalle und einer angrenzenden öffentlichen WC-Anlage im Bahnhofsgebäude ein. Daneben gewährte der Beklagte dem jeweiligen Eigentümer der restlichen Teilfläche (derzeit die Klägerin zu 2.) das Recht, Wegeflächen innerhalb der Empfangshalle und außerhalb des Bahnhofsgebäudes an der nordwestlichen Grundstücksgrenze zwischen Bahnhofsvorplatz und Bahnsteig jederzeit begehen und befahren zu können. Die Klägerinnen ließen sich die Rechte durch Eintragung im Grundbuch sichern. In der Folgezeit begann der Beklagte mit Bauarbeiten, die in erheblichem Umfang in die Substanz des Bahnhofsgebäudes eingriffen. Eine Genehmigung der zuständigen unteren Bauaufsichtsbehörde oder des Eisenbahnbundesamts lag nicht vor. Mit Bescheid vom Oktober 2017 untersagte die untere Denkmalschutzbehörde dem Beklagten die weitere Durchführung von Bauarbeiten. Die untere Bauaufsichtsbehörde ließ das Gebäude versiegeln. Gegen die Untersagungsverfügung beschritt der Beklagte den Verwaltungsrechtsweg. Nachdem das Verwaltungsgericht die Untersagungsverfügung bestätigt hatte, ist das Verfahren nunmehr vor dem Oberverwaltungsgericht anhängig.
Mit ihrer Klage verlangen die Klägerinnen, dass der Beklagte seinen Verpflichtungen aus der notariellen Urkunde nachkommt. Das LG Flensburg hatte den Beklagten in erster Instanz verurteilt, das Empfangsgebäude des Bahnhofs zum Betrieb des Fahrgastinformationssystems und der Schließfachanlage sowie zur Nutzung der Wartehalle und der WC-Anlage verkehrssicher begehbar und zugänglich zu machen und zu erhalten. Daneben hat das Landgericht den Beklagten verpflichtet, die im Gebäude und an der nordwestlichen Grundstücksgrenze gelegenen Wegeflächen verkehrssicher begehbar und zugänglich zu machen und zu erhalten. Es hat den Beklagten darüber hinaus verurteilt, die im Empfangsgebäude vorhandene WC-Anlage durch Wiedererrichten der entfernten Wand und Installation der entfernten Sanitäreinrichtungen ihrem früheren Zustand entsprechend funktionsfähig wiederherzustellen.
Das OLG Schleswig hat die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten zurückgewiesen.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts kann die Klägerin zu 1. von dem Beklagten verlangen, dass er die Empfangshalle verkehrssicher begehbar und zugänglich macht. Zugleich sei sie berechtigt, dort ein Fahrgastinformationssystem und eine Schließfachanlage zu betreiben. Diese Rechte habe sich die Klägerin zu 1. durch Grundbucheintragung (beschränkte persönliche Dienstbarkeit) wirksam gesichert. Der Beklagte beeinträchtige dieses Nutzungsrecht der Klägerin zu 1. in rechtswidriger Weise, denn der Zugang zum Bahnhofsgebäude sei infolge der Sperrung und Versiegelung des Gebäudes durch die untere Bauaufsichtsbehörde derzeit nur eingeschränkt möglich. Zwar treffe den Beklagten keine unmittelbare Verantwortung für die Sperrung des Bahnhofsgebäudes, weil es sich um eine Ordnungsmaßnahme der unteren Bauaufsichtsbehörde handelt. Bei wertender Betrachtung hafte er aber dafür, weil er durch sein vorangegangenes Verhalten die Sperrung des Gebäudes herausgefordert hat. Er habe als Bauherr, obwohl ihm der Weiterbau untersagt worden war, die Fortsetzung der Bauarbeiten veranlasst. Die Verpflichtung des Beklagten, die Bahnhofshalle begehbar und zugänglich zu machen, sei ihm auch nicht aus Rechtsgründen unmöglich. Zwar könne eine Leistungserbringung grundsätzlich auch dann unmöglich sein, wenn ihre Erbringung durch die Entscheidung einer Verwaltungsbehörde untersagt worden sei. Das gelte aber nur dann, wenn der Schuldner nicht seinerseits Schritte unternehmen kann, um die vorgenommene Untersagung aufzuheben. Gemessen an diesen Grundsätzen hätten die Untersagungsverfügung und die Versiegelung des Gebäudes vorliegend nicht zu einer Unmöglichkeit der Leistungspflicht des Beklagten geführt. Der Beklagte dürfe sich nicht damit begnügen, den etwaigen Erfolg seiner Anfechtungsklage vor den Verwaltungsgerichten abzuwarten. Er habe damit nicht alles getan, um die Nutzung der Bahnhofshalle durch die Klägerin zu 1. zu ermöglichen und dauerhaft sicherzustellen. Vielmehr könne der Beklagte die Aufhebung der Untersagungsverfügung auch dadurch erreichen, dass er das Bahnhofsgebäude in den vorherigen Zustand zurückversetze. Dass ihm eine entsprechende Genehmigung nicht erteilt werden würde, habe der Beklagte nicht dargelegt. Dafür, dass nach einem Rückbau der Zugang zum Bahnhofsgebäude weiterhin untersagt bleibe, spreche ebenfalls nichts.
Die Klägerin zu 1. könne von dem Beklagten weiter verlangen, dass Reisende die Wartehalle und die WC-Anlage nutzen könnten. Nach der notariellen Vereinbarung sei die Klägerin zu 1. ausdrücklich berechtigt, die Ausübung der ihr eingeräumten Zutrittsrechte zum Wartebereich und zur öffentlichen WC-Anlage in der Bahnhofshalle Dritten zu überlassen. Die Erstreckung des Nutzungsrechts auf Reisende sei für den Beklagten auch zumutbar. Bei der insoweit gebotenen Abwägung der betroffenen Belange überwiegt das Interesse der Klägerin zu 1., den Reisenden am Bahnhof in Schleswig eine wettergeschützte Wartemöglichkeit sowie eine öffentliche WC-Anlage zur Verfügung zu stellen, ein etwaiges Interesse des Beklagten an einer entgegenstehenden Nutzung des Bahnhofsgebäudes.
Der Beklagte sei darüber hinaus verpflichtet, die im Bahnhofsgebäude und an der nordwestlichen Grenze gelegenen Wegeflächen verkehrssicher begehbar und zugänglich zu machen und zu erhalten. Zu Gunsten der Klägerin zu 2. sei ein entsprechendes Wegerecht im Grundbuch eingetragen. Dieses Wegerecht gestattet auch die Nutzung durch Reisende. Der Beklagte beeinträchtigt die Nutzung der Wegeflächen widerrechtlich. Für die innerhalb des Bahnhofsgebäude liegenden Flächen ergebe sich die Beeinträchtigung aus der Sperrung des Gebäudes. Die Nutzung der außerhalb des Bahnhofsgebäudes liegenden Flächen sei durch die einem Hochbeet ähnelnde Aufschüttung von Kies und die Lagerung von Baumaterial beeinträchtigt.
Ohne Erfolg bleibe die Berufung des Beklagten schließlich auch hinsichtlich seiner Verurteilung, die WC-Anlage wiederherzustellen. Nach dem vertraglich vereinbarten und grundbuchlich gesicherten Recht der Klägerin zu 1. sei der Beklagte verpflichtet, die Nutzungsmöglichkeit der öffentlichen WC-Anlage dauerhaft sicherzustellen. Diese „Sicherstellungsverpflichtung“ umfasse nach ihrem Zweck und den erkennbaren Umständen die Verpflichtung, neben einer Damentoilette auch für eine dauerhaft zugängliche und nutzbare Herrentoilette im Bahnhofsgebäude Sorge zu tragen.