Außertariflicher Arbeitnehmer – Anspruch auf tarifliche Abstandsklausel wahrende Vergütung

08. Mai 2021 -

Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 18.11.2020 zum Aktenzeichen 5 AZR 21/20 entschieden, dass die nach § 1 Ziff. 1.3 Buchst. c Manteltarifvertrag für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie im Bereich Osnabrück-Emsland (MTV) zur Berechnung des Tarifabstands maßgebliche Bezugsgröße der „durchschnittlichen monatlichen Bezüge“ umfasst auch Entgeltbestandteile, die dem AT-Arbeitnehmer nicht im Monatsturnus zufließen und den Charakter eines 13. Monatsgehalts haben. Diese sind anteilig den monatlichen Bezügen hinzuzurechnen.

Die Parteien streiten über die Höhe der Vergütung. Der Kläger ist seit 1989, zuletzt als außertariflich Beschäftigter mit einer Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche und einem Bruttogehalt von 6.513,00 Euro beschäftigt. Die Beklagte ist kraft Verbandszugehörigkeit an die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie im Bereich Osnabrück-Emsland gebunden und wendet diese auf ihre Arbeitnehmer unabhängig von deren Gewerkschaftszugehörigkeit an, soweit die Beschäftigten dem persönlichen Geltungsbereich der Tarifverträge unterfallen. Im entsprechenden Manteltarifvertrag (MTV) ist in § 1 Ziff. 1.3Buchst. c geregelt, dass Beschäftigte, die durch Einzelarbeitsvertrag aus dem Geltungsbereich der Tarifverträge herausgenommen sind und deren durchschnittliche monatliche Bezüge das jeweils höchste in der Entgelttabelle ausgewiesene Tarifentgelt um mehr als 15 % übersteigen, nicht als Beschäftigte im Sinne dieses Tarifvertrages gelten. Die regelmäßige Arbeitszeit der Tarifbeschäftigten beträgt 35 Stunden. Mit seiner Klage verlangt der Kläger die Aufstockung seiner monatlichen Bezüge. Er meint, er habe Anspruch auf ein Entgelt, das den in § 1 Ziff. 1.3 Buchst. c MTV geregelten Tarifabstand wahre. Für die Abstandsberechnung sei das Tarifgehalt der Tarifgruppe E 12 ETV, das den Tarifmitarbeitern bei einer Arbeitszeit von 35Wochenstunden zustehe, auf eine 40 Stunden-Woche umzurechnen. Daraus berechne sich ein im Streitzeitraum geschuldetes monatliches Gehalt i.H.v. 8.477,00 Euro. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage teilweise stattgeben. Auch die Revision hat zum Teil Erfolg.

Der Kläger hat nach § 611a Abs. 2 BGB iVm. dem Arbeitsvertrag Anspruch auf eine Vergütung, die den Tarifabstand i.S.v. § 1Ziff. 1.3 Buchst. c MTV wahrt. Der Kläger wurde 1997 in ein „außertarifliches Arbeitsverhältnis“ übernommen und hat damit den Status eines AT-Beschäftigten erhalten. Auf eine beiderseitige Tarifbindung kommt es insoweit nicht an. Es genügt, dass das Arbeitsverhältnis an sich vom Geltungsbereich des einschlägigen Tarifvertrags erfasst wird (BAG, Urteil vom 25.04.2018 – 5AZR 84 /17). Der MTV ist räumlich und fachlich einschlägig. Die Beklagte ist kraft Verbandszugehörigkeit an die Tarifverträge gebunden. Sie wendet die jeweils maßgeblichen Tarifverträge auf sämtliche bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer unabhängig von deren Gewerkschaftszugehörigkeit an. Nach § 1 Ziff. 1.3 Buchst. c MTV gelten die Beschäftigten nicht als Beschäftigte im Sinne des MTV, die durch Einzelarbeitsvertrag aus dem Geltungsbereich der Tarifverträge herausgenommen sind und deren durchschnittliche monatliche Bezüge das jeweils höchste in der Entgelttabelle ausgewiesene Tarifentgelt um mehr als 15 %übersteigen. Im Zusammenhang mit dieser Regelung des MTV, den die Beklagte auf alle bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer anwendet, kann die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung eines außertariflichen Vertragsverhältnisses nur so verstanden werden, dass seit Inkrafttreten des MTV die Bezüge des Klägers den in § 1 Ziff. 1.3 Buchst. c MTV ausgewiesenen Mindestabstand aufweisen müssen. Den hiernach bestehenden Vergütungsanspruch des Klägers hat die Beklagte nicht vollständig erfüllt. Sie hätte ihm zur Einhaltung des tariflichen Mindestabstands neben der ihm zustehenden Jahressonderzahlung ein Monatsgehalt von mindestens 7.434,78 Euro brutto zahlen müssen. Das ergibt die nach § 1 Ziff. 1.3Buchst. c MTV vorzunehmende Vergleichsberechnung bei zutreffender Auslegung der für die Abstandsbemessung maßgeblichen Bezugsgrößen. Die nach § 1 Ziff. 1.3 Buchst. c MTV zur Berechnung des Tarifabstands maßgebliche Bezugsgröße der „durchschnittlichen monatlichen Bezüge“ umfasst auch Entgeltbestandteile, die dem AT-Arbeitnehmer nicht im Monatsturnus zufließen und den Charakter eines 13. Monatsgehalts haben. Diese sind anteilig den monatlichen Bezügen hinzuzurechnen. Im Übrigen ist das Tarifentgelt i.S.v. § 1 Ziff. 1.3 Buchst. c MTV unter Berücksichtigung der individuellen Arbeitszeit des betroffenen Arbeitnehmers zu berechnen. Dies ergibt sich aus dem Zweck der Tarifregelung. Dieser besteht darin, dem außertariflichen Angestellten eine Kompensation für die mit dem AT-Status verbundene Preisgabe tariflicher Ansprüche und Rechte zu schaffen.

Dieses Tarifverständnis steht in Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des BAG zum Abstandsgebot bei AT-Angestellten. Danach soll in Ermangelung einer anderweitigen Bestimmung des Tarifvertrags das Tarifgehalt der höchsten Gehaltsgruppe für die Abstandsberechnung auch dann maßgeblich sein, wenn diesem die tarifliche Regelarbeitszeit zugrunde liegt und die Arbeitszeit des AT-Arbeitnehmers die tarifliche regelmäßige Arbeitszeit überschreitet (vgl. BAG, Urteil vom 26.11.2003 – 4 ABR 54 / 02 ). Bei Fehlen einer besonderen tariflichen Regelung oder im Zweifelsfall ist die tarifliche Regelarbeitszeit zugrunde zu legen (BAG, Urteil vom 25.04.2018 – 5 AZR 84/17 ). Das im Streitfall anwendbare Tarifwerk enthält indes hinreichend klare Regelungen zur konkreten Berechnung des Abstands, so dass sich ein Rückgriff auf „Zweifelsregeln“ verbietet.