Das Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein hat am 24.01.2022 zum Aktenzeichen 1 B 10001/21, 1 B 10002/21 und 1 B 10003/21 in drei Eilverfahren einer armenischen Familie aus Oeversee über die Rücknahme ihrer Niederlassungserlaubnis und einer damit verbundenen Abschiebungsandrohung (Eltern) bzw. die Erteilung einer Duldung (Tochter) entschieden.
Aus der Pressemitteilung des VG SH vom 24.01.2022 ergibt sich:
Die Eltern sind mit ihren Anträgen unterlegen (1 B 10002/21 und 1 B 10003/21). Dem Antrag der Tochter zur Verpflichtung des Kreises Schleswig-Flensburg auf Erteilung einer Duldung bis zur Entscheidung über eine beantragte Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen hat die Kammer entsprochen (1 B 10001/21).
Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und Abschiebungsandrohung gegen Eltern rechtmäßig
Der Antrag der Eltern hatte keinen Erfolg. Die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und die Abschiebungsandrohung seien offensichtlich rechtmäßig. Es bestehe auch ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung dieser Verwaltungsentscheidungen.
Die Niederlassungserlaubnis sei rechtswidrig gewesen und vom Kreis ermessenfehlerfrei zurückgenommen worden.
Der zugrundeliegende asylrechtliche Schutzstatus sei von den Antragstellern im damaligen Asylverfahren durch Täuschung über ihre Herkunft und Identität mittels gefälschter Geburtsurkunden erlangt und durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bestandskräftig zurückgenommen worden. Daher seien auch die in der Folge erteilten Aufenthaltstitel der Antragsteller rechtswidrig. Der Kreis Schleswig-Flensburg habe sodann bei der Rücknahme der Niederlassungserlaubnis auch die öffentlichen und privaten Belange zulasten der Antragsteller fehlerfrei abgewogen.
Der Kreis habe insbesondere den langjährigen Aufenthalt der Antragsteller, die bereits 1998 ins Bundesgebiet einreisten, gewürdigt. Gleichzeitig habe er jedoch zutreffend auf die erst sehr spät eingetretene Eingliederung der Antragsteller in das Arbeitsleben hingewiesen. Demgegenüber bestehe ein überwiegendes öffentliches Interesse daran, Verstöße gegen die ausländerrechtlichen Bestimmungen konsequent zu ahnden, um einen Nachahmungseffekt zu verhindern.
Dieses vom Kreis berücksichtigte öffentliche Interesse sei besonders hoch zu gewichten, wenn Vorteile durch eine arglistige Täuschung erwirkt worden seien. Würde ein solches Verhalten ohne Konsequenzen bleiben, schaffe man Anreize zur Rechtsverletzung, diskriminiere rechtstreues Verhalten und untergrabe damit die Wirksamkeit der Rechtsordnung.
Aussetzung der Abschiebung der Tochter wegen Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen
Im Verfahren der Tochter ist die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis bestandskräftig, weil sie hiergegen kein Rechtsmittel eingelegt hat. Die 1. Kammer hat allerdings über den Antrag der Tochter auf Erteilung einer Duldung während des Verfahrens über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis positiv entschieden.
Denn der Antragstellerin stehe mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu. Die Antragstellerin habe sich unter Berücksichtigung ihres gesamten Verhaltens nachhaltig in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert.
Die Antragstellerin lebe seit über 23 Jahren hier. Sie habe ihre gesamte Schulzeit bis zum Abitur in Deutschland verbracht und sei schon in dieser Zeit durch den Schulbesuch und die Kontakte außerhalb der Familie durch die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich geprägt worden. Die Antragstellerin studiere und sichere sich ihren notwendigen Lebensunterhalt seit einiger Zeit selbstständig durch Erwerbstätigkeit.
Ihre nachhaltige Integration werde nicht durch die insbesondere zunächst durch die Eltern begangenen Täuschungshandlungen über die Herkunft und Identität der Familie in Frage gestellt. Die Antragstellerin sei in die durch die Täuschung der Eltern begründete Lebenssituation ohne eigenes Zutun hineingewachsen. Es sei zwar ein Fehlverhalten, dass sie die Situation mit Eintritt ihrer Volljährigkeit nicht aufgedeckt habe. Die Antragstellerin hätte sich jedoch zwangsläufig in einem Loyalitätskonflikt zu ihren Eltern befunden, was zu ihren Gunsten zu berücksichtigen sei. Auch komme dem späteren Unterlassen einer aktiven Aufklärung nicht das gleiche Gewicht wie einer aktiven Täuschung zu.
Gegen die Beschlüsse (1 B 10001/21, 1 B 10002/21 und 1 B 10003/21) kann innerhalb von 2 Wochen Beschwerde beim Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht eingelegt werden.