Das Oberlandesgericht Stuttgart hat mit Beschlüssen vom 08.09.2020 zu den Aktenzeichen 4 W 56/20, 4 W 54/20 und 4 W 55/20 über Auskunfts- und Unterlassungsansprüche der Präsidentin des Landtags von Baden-Württemberg wegen beleidigender Äußerungen von Facebook-Nutzern und YouTube-Kommentatoren zu entscheiden.
Aus der Pressemitteilung des OLG Stuttgart vom 19.10.2020 ergibt sich:
Die Präsidentin des Landtags von Baden-Württemberg (Beschwerdeführerin) verlangte Auskunft- und Unterlassung wegen beleidigender Äußerungen von Facebook-Nutzern und YouTube-Kommentatoren. Dem ging voraus, dass die Präsidentin des Landtags am 24.06.2020 nach einem Ordnungsruf den Abgeordneten Dr. Fiechtner von der Sitzung ausgeschlossen und das Hausrecht mit Hilfe der Polizei durchgesetzt hatte.
Das LG Stuttgart hatte in erster Instanz die Auskunfts- und Unterlassungsansprüche teilweise zurückgewiesen.
OLG Stuttgart, Beschl. v. 08.09.2020 – 4 W 56/20 und 4 W 54/20
Den beiden Beschlüssen 4 W 54/20 und 4 W 56/20 mit der Beteiligten Facebook Ltd. liegt zugrunde, dass der Abgeordnete Dr. Fiechtner am gleichen Tag auf seinem Facebookprofil berichtet hatte, dass er „Klage gegen Aras und den Landtag vor dem Verfassungsgerichtshof“ eingereicht habe. Dies wurde von einer Facebook-Nutzerin u.a. damit kommentiert, dass „diese islamische Sprechpuppe schon mal gar nicht in ein deutsches Parlament gehört“.
In diesen beiden Beschwerdesachen begehrt die Landtagspräsidentin daher von Facebook eine datenschutzrechtliche Erlaubnis für eine Auskunft über Bestands- und Nutzerdaten des Profils der o.g. Nutzerin sowie die Untersagung der Löschung dieser Daten. Bei den Aussagen der zu identifizierenden Nutzerin handle es sich um Beleidigungen i.S.d. § 185 StGB.
Das OLG Stuttgart hat die Auskunftsansprüche der Landtagspräsidentin zurückgewiesen und damit die Entscheidung des Landgerichts bestätigt.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts verletzt die Aussage in den Beiträgen der Nutzerin zwar die Persönlichkeitsrechte der Beschwerdeführerin, die Grenzen der Schmähkritik, Formalbeleidigung oder Menschenwürdeverletzung seien allerdings noch nicht erreicht. Die Aussage sei auf der Grundlage der aktuellen Rechtsprechung des BVerfG vom 19.05.2020 (1 BvR 2397/19) nach einer Abwägung noch als zulässige Meinungsäußerung hinzunehmen. Es könne hier nicht von einer sog. Schmähkritik ausgegangen werden, bei der die bloße Diffamierung der Person und das grundlose Verächtlichmachen derselben gewollt sei, ohne irgendwie nachvollziehbaren Bezug zu einer sachlichen Auseinandersetzung. Vielmehr habe die Aussage einen eindeutigen Bezug zu einer Auseinandersetzung über den Sitzungsausschluss des Landtagsabgeordneten. Zwar sei der gerügte Ausdruck „islamische Sprechpuppe“ persönlichkeitsverletzend, erreiche aber noch nicht die strenge Grenze der Formalbeleidigung.
Zugleich verurteilt das Oberlandesgericht nach einer ausführlichen Abwägung zwischen der in einer Ehrverletzung liegenden Persönlichkeitsverletzung und der Meinungsäußerungsfreiheit eine Verrohung der Sprache in den sozialen Medien und den Verfall politischer Sitten. Dies ändere nach der o.g. Entscheidung des BVerfG jedoch nichts daran, dass die Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit nicht verschoben werden dürften, weil Anstands- und Ehrvorstellungen auch einer (deutlichen) Mehrheit der Gesellschaft hierzu nicht geeignet seien.
OLG Stuttgart, Beschl. v. 12.10.2020 – 4 W 55/20
Der weitere Beschluss im Verfahren 4 W 55/20 betrifft die Verpflichtung von Google zur Auskunft über Verkehrs- und Nutzungsdaten von Nutzern und deren E-mail- und IP-Adressen. Dem liegt zugrunde, dass der Abgeordnete Dr. Fiechtner nach seinem Sitzungsausschluss auch ein Video über seinen Auftritt im Landtag über die Plattform YouTube online gestellt hatte, zu dem diverse Kommentare verschiedener Nutzer verfasst wurden. In diesen Kommentaren wird die Landtagspräsidentin u.a. als „Gestapo Chefin“, „Nazi“, „Faschistin“ und „staatsfeindliche Verbrecherin“ bezeichnet.
Die Beschwerde hatte vor dem OLG Stuttgart insoweit Erfolg, als dass das Oberlandesgericht entsprechend § 14 Abs. 3 TMG Google zur Auskunft über die Nutzerdaten der o.g. Kommentatoren verpflichtet hat.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts sind die genannten Bezeichnungen als Schmähkritik und Formalbeleidigungen so grob ehrverletzend, dass bei einer Abwägung die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts überwiege. Die begehrten Auskünfte seien daher zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche der Landtagspräsidentin aufgrund der rechtswidrigen und strafrechtlich relevanten Kommentare dieser Nutzer von Google zu erteilen. Nur hinsichtlich weniger Kommentare (u.a. „unverschleiert“ und „arabisches Tanzpüppchen“) verneinte das Oberlandesgericht einen Auskunftsanspruch der Landtagspräsidentin zu den jeweiligen Nutzerdaten der Kommentatoren des YouTube-Videos.
Zugleich hat das Oberlandesgericht mit diesem aktuellen Beschluss die Anschlussbeschwerde von Google gegen die bereits erstinstanzlich erfolgte Verpflichtung zur Herausgabe von Nutzerdaten weiterer beleidigender Kommentatoren überwiegend zurückgewiesen und der Landtagspräsidentin auch insoweit Recht gegeben.
Gegen alle drei Entscheidungen des Beschwerdegerichts sind keine Rechtsmittel mehr möglich, da die Rechtsbeschwerde jeweils nicht zugelassen wurde bzw. ein Rechtsmittel nicht mehr gegeben ist.