Das Oberlandesgericht Frankfurt hat am 19.08.2021 zum Aktenzeichen 26 U 62/19 entschieden, dass bei einer 97%igen Wahrscheinlichkeit, dass ein mit einem möglicherweise Krebs verursachenden Stoff verunreinigtes Medikament eingenommen wurde, der später an Krebs Erkrankte von dem Hersteller des Arzneimittels Auskunft verlangen kann. Das Oberlandesgericht hat daher mit Teilurteil vom 19.08.2021 die Herstellerin von Valsartan AzB zur Auskunft über alle Wirkungen des Medikaments, die bei der Bewertung schädlicher Folgen von Bedeutung sein können, gemäß § 84a AMG verurteilt.
Aus der Pressemitteilung des OLG Frankfurt Nr. 58/2021 vom 30.08.2021 ergibt sich:
Die Klägerin begehrt Auskunft über die Wirkungen des von der Beklagten hergestellten Medikaments Valsartan AbZ sowie Schmerzensgeld. Die Beklagte arbeitet mit mehreren Wirkstoffherstellern zusammen, die alle den gleichen Wirkstoff Valsartan herstellen. Im Sommer 2018 teilte sie im Form eines Chargenrückrufs mit, dass bei einer ihrer Wirkstoffhersteller eine produktionsbedingte Verunreinigung mit N-Nitrosodiethylamin festgestellt worden sei. Dieser Stoff sei als wahrscheinlich krebserregend bei Menschen eingestuft worden. Aus organisatorischen Gründen erfasste der Rückruf alle Packungsgrößen und Chargen, auch wenn von der Verunreinigung nur Chargen betroffen waren, die unter Verwendung des einen Wirkstoffherstellers hergestellt wurden.
Die Klägerin behauptet, Valsartan AbZ in der Zeit von 2013 bis Mai 2018 eingenommen zu haben. Die eingenommenen Chargen hätten zu den verunreinigten gehört. Durch die Einnahme sei sie an Krebs erkrankt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Auf die hiergegen gerichtete Berufung hat das OLG Frankfurt die Beklagte zur Auskunft über ihr bekannte Wirkungen und Erkenntnisse verurteilt, die für die Bewertung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen von Valsartan von Bedeutung sein können, soweit diese u.a. Krebserkrankungen betreffen.
Die Klägerin habe nachgewiesen, das in Rede stehende Medikament eingenommen zu haben. Es lägen auch Tatsachen vor, welche die Annahme begründeten, dass das Arzneimittel den geltend gemachten Schaden verursacht habe. Eine derartige „begründete Annahme“ sei jedenfalls dann zu bejahen, „wenn mehr für eine Verursachung der Rechtsgutsverletzung durch das Arzneimittel spricht als dagegen“. Erforderlich sei eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“. Hier habe die Klägerin zwar nicht den Vollbeweis führen können, dass die von ihr eingenommenen Medikamente aus den verunreinigten Chargen stammten. Dies sei jedoch auch nicht erforderlich. Der Nachweis, aus welcher Charge ein verwendetes Medikament stamme, sei dem Durchschnittsverbraucher kaum möglich. Es bestehe keine Obliegenheit des Konsumenten, bei jedem eingenommenen Medikament die auf der Packung aufgedruckte Chargenbezeichnung zu notieren. Jedenfalls wenn eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass die Patientin tatsächlich ein Medikament aus einer kontaminierten Charge erhalten habe, sei die für den Auskunftsanspruch erforderliche Annahme der Schadensverursachung gut begründbar. Dies sei hier der Fall. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerin zumindest einmal ein Medikament aus einer kontaminierten Charge erhalten habe, liege bei ca. 97 %.
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.