Das Bundesverwaltungsgericht hat am 23.09.2020 zum Aktenzeichen 1 C 27.19 entschieden, dass dem drittstaatsangehörigen Elternteil eines Kindes, das die Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Mitgliedstaats besitzt, ein vom Kind abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht (Freizügigkeitsrecht) nur zustehen kann, wenn das Kind ein eigenes Freizügigkeitsrecht im Aufnahmemitgliedstaat hat.
Aus der Pressemitteilung des BVerwG Nr. 52/2020 vom 23.09.2020 ergibt sich:
Der Kläger, ein kosovarischer Staatsangehöriger, ist Vater eines im Juli 2017 geborenen Kindes, das über seine Mutter, mit der der Kläger zusammenlebt, die ungarische Staatsangehörigkeit besitzt. Das Sorgerecht für das Kind wird von den Eltern gemeinsam ausgeübt. Nach der Geburt des Kindes hat der Kläger erfolglos die Ausstellung einer Aufenthaltskarte als Familienangehöriger eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgerkindes (entsprechend § 5 Abs. 1 FreizügG/EU) beantragt.
Die vor dem Verwaltungsgericht erfolgreiche Klage hatte der Verwaltungsgerichtshof abgewiesen. Ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht zugunsten des drittstaatsangehörigen Familienangehörigen eines Unionsbürgers bestehe grundsätzlich nur, wenn es erforderlich sei, damit der Unionsbürger (hier das Kind) sein Recht auf Freizügigkeit wirksam ausüben könne. Hierzu gehöre zwar auch ein familiäres Zusammenleben im Aufnahmemitgliedstaat. Ein aus Art. 21 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht sei aber nicht geboten, wenn das Familienleben auch durch Erteilung eines nationalen Aufenthaltstitels, hier einer humanitären Aufenthaltserlaubnis (§ 25 Abs. 5 AufenthG), erreicht werden könne. Eine solche habe der Kläger zwar nie beantragt, deren Erteilung habe die Ausländerbehörde aber zugesagt.
Nachdem der Kläger inzwischen die Kindesmutter geheiratet hat und ihm daraufhin eine Aufenthaltskarte ausgestellt worden ist, begehrte er nur noch die gerichtliche Feststellung, dass ihm ein von seinem Kind abgeleitetes Aufenthaltsrecht zugestanden habe.
Das BVerwG hat das Verfahren zur erneuten Entscheidung an den VGH München zurückverwiesen.
Nach Auffassung des BVerwG schützt Art. 21 AEUV das Recht der Unionsbürger auf Freizügigkeit und vermittelt nach der Rechtsprechung des EuGH Familienangehörigen eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers auch in bestimmten Fallkonstellationen, die nicht unmittelbar von der Richtlinie 2004/38/EG (sog. Unionsbürgerrichtlinie) erfasst werden, ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht. Berufe sich ein Drittstaatsangehöriger auf ein aus der Freizügigkeitsgarantie für Unionsbürger nach Art. 21 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht zur Führung eines normalen Familienlebens in einem anderen EU-Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitze, müsse die Referenzperson, von der er das Recht ableite (hier das Kind) im Aufnahmemitgliedstaat aus eigenem Recht freizügigkeitsberechtigt sein; ein lediglich vom anderen Elternteil (hier der Mutter) abgeleitetes Freizügigkeitsrecht des Kindes reiche hierfür nicht. Ein eigenes Aufenthaltsrecht des Kindes bestehe nur, wenn u.a. ausreichende Existenzmittel zur Verfügung stünden (Art. 7 Abs. 1 Buchst. b Unionsbürgerrichtlinie). Außerdem müsse der drittstaatsangehörige Elternteil nach der Rechtsprechung des EuGH in dieser Fallkonstellation für ein aus Art. 21 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht auch tatsächlich für das Kind sorgen. Die hierzu erforderlichen Feststellungen seien vom Verwaltungsgerichtshof im zurückverwiesenen Verfahren zu treffen. Ein unmittelbar aus Art. 21 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Familienangehörigen sei ein unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht, dem die Möglichkeit der Erteilung eines nationalen Aufenthaltstitels nicht entgegenstehe.