Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 19.10.2023 zum 6 Sa 276/23 entschieden, dass wenn ein Arbeitnehmer in der Vergangenheit einen Abkehrwillen geäußert hat, dies nicht den beweiswert einer während der Kündigungsfrist vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert.
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung und um Entgeltansprüche.
Zurecht ist das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung nicht beendet worden ist.
Ein unentschuldigtes Fehlen, das eine Kündigung rechtfertigen könnte, ergibt sich nicht aus den Darlegungen der Beklagten. Vielmehr ist gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig anzunehmen, dass der Kläger krankheitsbedingt arbeitsunfähig war und deshalb dem Arbeitsplatz fernblieb. Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG, der für die fristlose Kündigung entsprechend gilt, hat die arbeitgebende Partei die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, die die Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG bedingen sollen. Zu diesen Tatsachen gehört auch die Abwesenheit derjenigen Rechtfertigungsgründe, die der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin im Prozess vorträgt. Wird demnach im Prozess als Rechtfertigungsgrund die Arbeitsunfähigkeit eingewandt, dann ist es die arbeitgebende Partei, die darlegen und beweisen muss, dass der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin nicht arbeitsunfähig, sondern vielmehr arbeitsfähig war.
Der Beklagten ist es nicht gelungen, Tatsachen darzulegen, die die von dem Kläger behauptete Arbeitsunfähigkeit infrage stellen könnten.
Dies gilt zunächst für die Zeit ab dem 18.08.2022, also dem Tag, an dem die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Arztes ausgestellt worden war. Es ergeben sich keine hinreichenden Zweifel an dem Beweiswert dieser Bescheinigung. Dabei ist zunächst von der Regel auszugehen, der zufolge der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt wird. Um deren Beweiswert zu erschüttern, ist es für die arbeitgebende Partei notwendig, Indizien vorzutragen, die für die Unrichtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sprechen könnten. Bei dem Versuch, diese Erschütterung des Beweiswertes zu erreichen, ist die arbeitgebende Partei bei der Benennung und bei der Wahl der Indizien frei; sie ist nicht auf die in § 275 Abs. 1a SGB V aufgeführten sozialrechtlichen Regelbeispiele ernsthafter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit beschränkt. Allerdings reicht nicht jedes Indiz aus, den besagten Beweiswert zu erschüttern. So sind z.B. nur mehrdeutige Sachverhalte, die aber plausibel erklärbar sind, grundsätzlich nicht geeignet, ernsthafte Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu begründen.
Die Tatsache, dass der Kläger – hier zugunsten der Beklagten unterstellt – in der Vergangenheit angekündigt hat, das Arbeitsverhältnis bald beenden und zu einem Wettbewerber der Beklagten wechseln zu wollen, eignet sich nicht als Indiz zur Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit ab dem 18.08.2023. Eine solche Abkehrabsicht steht in keinem notwendigen Kausalzusammenhang mit einer Abwesenheit vom Arbeitsplatz, solange das Beschäftigungsbedürfnis zum bisherigen Arbeitgeber noch besteht.
Ebenso wenig ist die Tatsache, dass der Kläger am 16.08.2022 die Arbeitsunterlagen in den Briefkasten der Beklagten eingelegt hat, geeignet, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit ab dem 18.08.2022 zu erschüttern. Die Darlegung des Klägers, er habe sich unwohl gefühlt, er habe befürchtet, dass er am nächsten Tag krankheitsbedingt an der Arbeitsaufnahme gehindert sein werde und er habe deshalb die Unterlagen zurückgelassen, ist plausibel, entspricht dem Verhalten eines umsichtigen Arbeitnehmers und eignet sich daher gerade nicht als Indiz für die Annahme eines unentschuldigten Fehlens.
Die mit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bescheinigte Arbeitsunfähigkeit betrifft auch nicht „passgenau“ die Zeit bis zu Ablauf der Kündigungsfrist. Die hierzu ergangene neuere Rechtsprechung des 5. Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAG v. 08.09.2021 – 5 AZR 149/21) kommt schon deshalb für den vorliegenden Fall nicht zur Anwendung, weil hier die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom Arzt erteilt worden war, bevor (nicht nachdem) die Kündigung der Beklagten dem Kläger zugegangen war.
Das Vorgesagte gilt entsprechend für den 16.08.2022, also dem Tag, an dem der Kläger nach Einwurf der Unterlagen in den Briefkasten den Betrieb verlassen hatte, und für den 17.08.2022, also dem Tag, an dem sich der Kläger bei der Beklagten arbeitsunfähig gemeldet hatte, ohne schon eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in den Händen zu halten. Dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 18.08.2022 die Arbeitsunfähigkeit erst ab jenem 18.08.2022 bescheinigte, ist nicht schädlich, denn gemäß § 5 EFZG besteht die Verpflichtung zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erst ab dem vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit.