Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 12.03.2021 zum Aktenzeichen 10 Sa 804/20 entschieden, dass wenn der Arbeitnehmer auf ein BEM-Angebot des Arbeitgebers nicht reagiert, vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung kein erneutes BEM-Verfahren durch ein weiteres BEM-Angebot des Arbeitgebers eingeleitet werden muss.
Die Wirksamkeit einer auf häufige Kurzerkrankung gestützten ordentlichen Kündigung setzt zunächst eine negative Gesundheitsprognose voraus. Im Kündigungszeitpunkt müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung sprechen (erste Stufe). Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung zu rechtfertigen, wenn sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch wirtschaftliche Belastungen, etwa durch zu erwartende, einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr übersteigende Entgeltfortzahlungskosten, zu einer solchen Beeinträchtigung führen (zweite Stufe). Ist dies der Fall, ist im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen (dritte Stufe) (BAG, Urteil vom 25.04.2018 – 2 AZR 6/18 -, Randnummer 19).
Hinsichtlich der o. g. ersten Stufe betreffend die negative Prognose zukünftiger weiterer Erkrankungszeiten gilt eine abgestufte Darlegungslast. Der Arbeitgeber kann zunächst Fehlzeiten in der Vergangenheit vortragen, wobei vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalles für die Erstellung der Gesundheitsprognose ein Referenzzeitraum von drei Jahren maßgeblich ist (vgl. BAG, Urteil vom 10.11.2005– 2 AZR 44/05 -; Urteil vom 25.04.2018 – 2 AZR 6/18 -, Randziffer 23).
Hier hat die Beklagtenseite hinreichend auf die erheblichen Krankheitstage im Jahr 2016 im Umfang von 93 Fehltagen krankheitsbedingt, 132 krankheitsbedingter Fehltage im Jahr 2017 und 86 Krankheitstage im Jahr 2018 hingewiesen.
Unerheblich ist, dass die krankheitsbedingten Fehlzeiten auf verschiedenen Krankheitsursachen beruhen. Auch dann, wenn diese einzelnen Erkrankungen jeweils ausgeheilt sind, ist von einer generellen Krankheitsanfälligkeit auszugehen (BAG, Urteil vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05 -, Randziffer 29).
Insofern war der Kläger gefordert, nach § 138 Absatz 2 ZPO darzulegen, weshalb mit geringeren Fehlzeiten zu rechnen ist. Der Arbeitnehmer genügt hierbei durch einen Vortrag, die ihn behandelnden Ärzte oder der ihn behandelnde Arzt hätten bzw. habe die gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt und die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden. Je nach Erheblichkeit des Vortrags des Arbeitnehmers ist es dann Sache des Arbeitgebers, Beweis für die negative Prognose zu führen (vgl. BAG, Urteil vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05 -, Randziffer 28 m. w. N.).
Zu berücksichtigen ist allerdings, dass bei Erkältungs- und Entzündungskrankheiten und Beschwerden des Bewegungsapparats, die beim Kläger einen Großteil der Arbeitsunfähigkeitszeiten verursacht haben, grundsätzlich von einer Wiederholungsgefahr auszugehen ist, wenn keine besonderen Therapiemaßnahmen erfolgen (vgl. BAG, Urteil vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05 -, Randziffer 26).
Zu veränderten Lebensumständen bzw. zu Therapiemaßnahmen hat der Kläger nur unsubstantiiert vorgetragen, indem er pauschal auf die Durchführung eines Fitnessprogramms wie auf die Veränderung seines persönlichen Umfeldes hingewiesen hat. Diese haben sich allerdings vor Ausspruch der Kündigung und damit im Zeitpunkt der Kündigung nicht durch eine Reduzierung der krankheitsbedingten Fehlzeiten ausgewirkt. Im Jahr 2019 sind im Januar noch sechs Krankheitstage und bis zum 15.02.2019 noch 11 Krankheitstage zu verzeichnen.
Fraglich ist bereits, ob die pauschale Behauptung des Klägers im Kammertermin erster Instanz, der ihn behandelnde Arzt hätte seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, eine ausreichend erhebliche Einlassung des Klägers war, um insoweit die Beweislast der Beklagtenseite auszulösen. Der Kläger hat seine Erklärung im Kammertermin nicht dahingehend präzisiert, dass die ihn behandelnden Ärzte für die Zukunft von unter sechs Wochen liegenden Arbeitsunfähigkeitszeiten pro Kalenderjahr ausgehen würden. Die später erfolgte Äußerung seines Hausarztes D . W gegenüber dem gerichtlichen Sachverständigen bestand auch lediglich in einer kommentarlosen Übersendung der elektronischen Karteikarte mit Diagnosen für den Zeitraum vom 28.10.2016 bis 24.01.2020.
Jedenfalls aber ist die negative Prognose durch das Sachverständigengutachten vom 18.02.2020 von der Beklagtenseite hinreichend bewiesen worden.
Unabhängig von der Feststellung einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung auf Seiten des Klägers hat der Gutachter außerdem keine Anhaltspunkte für eine positive Gesundheitsentwicklung in der Person des Klägers gefunden. Er hat keine Maßnahmen zur weiteren Abklärung der beim Kläger aufgetretenen Krankheitsursachen und Anfälligkeiten und eine darauf aufbauende gezielte Behandlung des Klägers feststellen können. Diese Umstände sind auch durch das vorgelegte Privatgutachten von D . L vom 28.09.2020 nicht hinreichend in Frage gestellt. Im Rahmen dieses Privatgutachtens erfolgt im Wesentlichen eine Auseinandersetzung mit der Einordnung einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung auf Seiten des Klägers. Konkrete Ansätze für eine gezielte Abklärung der Krankheitsursachen beim Kläger und darauf aufbauende besondere Therapiemaßnahmen sind auch dem Privatgutachten nicht zu entnehmen.
Eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen im Sinne des § 1 KSchG ist mit Rücksicht auf die erheblichen Entgeltfortzahlungskosten der Beklagten in den Jahren 2016 bis 2019 im Umfang von 60.059,34 € und dabei jeweils für einen Zeitraum von weit mehr als sechs Wochen pro Kalenderjahr gegeben (vgl. BAG, Urteil vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05 -, Randziffer 31 m. w. N.).
Die durchzuführende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Klägers aus. Im Rahmen der Interessenabwägung ist zu prüfen, ob die betriebliche Beeinträchtigung durch die Krankheit des Arbeitnehmers aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls vom Arbeitgeber billigerweise noch hinzunehmen ist oder ihn überfordert. Dabei sind im Rahmen der Interessenabwägung u. a. auch die familiären Verhältnisse des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (vgl. BAG, Urteil vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05 -, Randziffer 34). Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass der Kläger ein relativ junges Lebensalter aufweist, ledig ist und kinderlos und insofern keine Unterhaltspflichten hat. Zudem ist seine Betriebszugehörigkeit von mittlerer Dauer – nämlich seit dem Jahr 2014 im Anstellungsverhältnis bei der Beklagten. Eine Schwerbehinderung liegt beim Kläger ebenfalls nicht vor. Dem gegenüber stehen erhebliche Entgeltfortzahlungskosten für die Jahre ab 2016.
Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht der Wirksamkeit der Kündigung nicht entgegen. Die Beklagte hat das BEM-Verfahren gegenüber dem Kläger ordnungsgemäß durchgeführt. Hierbei ist das BEM-Angebot der Beklagten vom 09.10.2018 zu berücksichtigen, auf das der Kläger unstreitig nicht reagiert hat. Daher ist nicht zu verlangen, dass die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung ein erneutes BEM-Verfahren gegenüber dem Kläger anregt (anders als im Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 08.12.2020 – 12 Sa 554/20 -, wo das vorangegangene BEM-Verfahren bereits abgeschlossen war). Vorliegend ist das BEM-Verfahren gemäß der Aufforderung der Beklagten vom 09.10.2018 bislang weder zu Ende geführt, noch vom Kläger abgelehnt worden, so dass unter diesen Gesichtspunkten nicht die Notwendigkeit bestand, ein erneutes BEM-Verfahren durch erneutes BEM-Angebot der Beklagten gegenüber dem Kläger einzuleiten (vgl. hierzu LAG Hessen, Urteil vom 17.02.2017 – 14 Sa 690/16 – ).