Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 21.06.2018 zum Aktenzeichen 7 Sa 768/17 entschieden, dass die Anweisung des Arbeitgebers an einen Arbeitnehmer, „sich unverzüglich zwecks Untersuchung an den medizinischen Dienst Ihrer Krankenversicherung… zu wenden und mir eine Stellungnahme zum Untersuchungsergebnis vorzulegen“, ins Leere geht, da gemäß § 275 SGB V der Arbeitgeber den medizinischen Dienst nur über die Krankenkasse einschalten lassen kann.
Die Weigerung der Arbeitnehmerin, einer solchen Anweisung Folge zu leisten, erscheint daher als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung nicht geeignet.
Ein wichtiger Grund, der die Beklagten zum Ausspruch einer ordentlichen fristlosen Kündigung hätte berechtigen können, kann nicht darin gesehen werden, dass sich die Klägerin im Ergebnis unstreitig geweigert hat, der Aufforderung der Beklagten gemäß deren Schreiben vom 23.11.2016 Folge zu leisten, „sich unverzüglich zwecks Untersuchung an den medizinischen Dienst ihrer Krankenversicherung (Kaufmännische Krankenkasse) zu wenden und mir eine Stellungnahme zum Untersuchungsergebnis vorzulegen.“
Dieser Aufforderung musste die Klägerin nicht nachkommen; denn sie entsprach nicht dem Prozedere, welches der Gesetzgeber vorgesehen hat, wenn der medizinische Dienst der Krankenversicherung tätig werden soll, um begründete Zweifel (!) an einer ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers/einer Arbeitnehmerin gutachterlich zu überprüfen.
Gemäß § 275 Abs. 1 Nr. 3 b) SGB V haben die Krankenkassen (!) zur Beseitigung von Zweifeln an Arbeitsunfähigkeit eine gutachtliche Stellungnahme des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung einzuholen. Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit in diesem Sinne bestehen nach der gesetzlichen Vorschrift in § 275 Abs. 1 a SGB V insbesondere dann, wenn Versicherte auffällig häufig oder auffällig häufig nur für kurze Dauer arbeitsunfähig sind oder der Beginn der Arbeitsunfähigkeit häufig auf einen Arbeitstag am Beginn oder am Ende einer Woche fällt oder wenn die Arbeitsunfähigkeit von einem Arzt festgestellt worden ist, der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit auffällig geworden ist. Aus der Verwendung des Begriffs „insbesondere“ folgt, dass auch andere Gründe als die gesetzlich aufgeführten zu Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit im Sinne von § 275 Abs. 1 Nr. 3 b) SGB V führen können. Diese müssen dann allerdings den gesetzlichen Beispielsfällen gleichwertig sein.
Hegt der Arbeitgeber eines arbeitsunfähig geschriebenen Arbeitnehmers Zweifel an dessen Arbeitsunfähigkeit, so kann er unter Angabe der Gründen für diesen Zweifel gemäß § 275 Abs. 1 S. 3 SGB V von der Krankenkasse (!) verlangen, dass diese eine gutachtliche Stellungnahme des medizinischen Dienstes zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit einholt. Die Krankenkasse kann gleichwohl von der Einschaltung des medizinischen Dienstes absehen, wenn sich – unter Würdigung der vom Arbeitgeber vorgebrachten „begründeten Zweifel“ – die medizinischen Voraussetzungen der Arbeitsunfähigkeit eindeutig aus den der Krankenkasse vorliegenden ärztlichen Unterlagen ergeben, § 275 Abs. 1 S. 4 SGB V. Diese Regelung ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass die Krankenkassen regelmäßig über die Krankheitsdiagnosen und somit weitreichendere Informationen über den Hintergrund einer ärztlichen Krankschreibung verfügen als der Arbeitgeber.
Der Arbeitgeber kann somit nach den in § 275 Abs. 1 SGB V vorgesehenen Regularien nicht aus eigener Machtvollkommenheit den medizinischen Dienst tätig werden lassen. Erst recht kann dies ein Arbeitnehmer/eine Arbeitnehmerin nicht. Schon deshalb ging die Aufforderung der Beklagten an die Klägerin gemäß Schreiben vom 23.11.2016 ins Leere und brauchte die Klägerin dieser Aufforderung nicht Folge zu leisten.
Unabhängig davon kann aus dem Umstand, dass die Klägerin sich geweigert hat, auf Verlangen der Beklagten den medizinischen Dienst der Krankenkasse aufzusuchen, nicht darauf zurückgeschlossen werden, dass sie sich im hypothetischen Fall einer entsprechenden Aufforderung durch ihre Krankenkasse ebenfalls geweigert hätte.