Das Verwaltungsgericht Neustadt hat am 17.11.2021 zum Aktenzeichen 3 K 629/20.NW der Klage einer Grundstückseigentümerin aus Kirchheimbolanden stattgegeben. Diese besitzt mehrere unmittelbar am Leiselsbach oder in nur geringer Entfernung zum offenen Verlauf des Bachs gelegene Grundstücke.
Aus der Pressemitteilung des VG Neustadt Nr. 23/2021 vom 03.12.2021 ergibt sich:
Die beklagte Verbandsgemeinde Kirchheimbolanden leitet zur Entlastung des Kanals in der Straße „Am Ziegelwoog“ in Kirchheimbolanden Mischwasser (Oberflächenwasser und Schmutzwasser vermengt) in den Stauraumkanal „Ziegelwoog“, der sich unter der Straßendecke befindet. Da der weiterführende Kanal nicht hinreichend dimensioniert ist, führt sie mehrfach pro Jahr Mischwasser aus diesem Stauraumkanal dem verrohrten Leiselsbach zu. Dieser verläuft zunächst unterhalb zweier im Eigentum der Klägerin stehender Grundstücke und mündet in der Folge in den offenen Leiselsbach.
Zu einer Einleitung von Mischwasser kommt es vorwiegend bei Regenereignissen, wenn der Kanalstauraum die einflutenden Abwassermengen nicht mehr aufnehmen kann. Ein entsprechender „Abschlag“ findet zurzeit durchschnittlich 55 Mal pro Jahr statt. Das zunächst in den verrohrten und dann in den offenen Leiselsbach eingeleitete Mischwasser enthält unter anderem Fäkalien sowie sonstige Feststoffe (insbesondere Toilettenpapierreste, Damenhygieneartikel sowie Präservative). Nach Austritt aus der Verrohrung kommt es im Uferbereich zu entsprechenden Ablagerungen und Geruchsbelästigungen.
Die Verbandsgemeinde stützt die Einleitung auf einen zwischen der Stadt Kirchheimbolanden und dem Voreigentümer der Grundstücke im Jahr 1965 geschlossenen Vertrag, der die Verlegung der unterirdischen Abflussleitung zur Ableitung von Oberflächenwasser zum Gegenstand hatte, sowie eine wasserrechtliche Erlaubnis aus dem Jahr 2007.
Aufgrund wiederholter und bis heute fortdauernder Beschwerden der Klägerin, insbesondere über Geruchsbelästigungen und Verunreinigungen auf ihren Grundstücken, wird der Uferbereich des Leiselsbachs von Mitarbeitern der Beklagten regelmäßig gereinigt. Im Jahr 2017 baute die Beklagte zudem einen Rechen in das Abschlagsbauwerk ein, der Feststoffe aus dem Mischwasser zurückhalten soll. Mitte 2020 wurde der Drosselabfluss des Stauraumkanals erhöht, ein neuer Schieber eingebaut und das Gerinne sowie die Steuerung und Fernwirktechnik wurden angepasst, ohne dass eine erhebliche Verbesserung der Abschlagsverhältnisse eintrat. Nach diesem Zeitpunkt zwischen den Beteiligten geführte Gespräche und Verhandlungen über eine Änderung der Entwässerungssituation blieben ergebnislos.
Der von der Klägerin erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben: Die Voraussetzungen eines öffentlich-rechtlichen Abwehranspruchs lägen vor. Die Beklagte als Betriebsverantwortliche habe eine weitere Einleitung von Mischwasser aus dem verrohrten Leiselsbach, bei dem es sich um einen Bestandteil der kommunalen Abwasserbeseitigungseinrichtung handele, in dessen unverrohrten Verlauf zu unterlassen. Durch die Einleitung von erheblich verschmutztem Mischwasser werde ein rechtswidriger Zustand geschaffen. Dies sei nicht durch den von dem Voreigentümer mit der Stadt Kirchheimbolanden geschlossenen Vertrag gedeckt, da dieser ausdrücklich auf die Ableitung von überfließenden Oberflächenwasser beschränkt und von der Klägerin überdies zwischenzeitlich gekündigt worden sei. Die im Jahr 2007 erteilte wasserrechtliche Erlaubnis genehmige nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur eine Einleitung in den verrohrten, nicht jedoch in den offenen Leiselsbach. Da es sich bei dem offenen Leiselsbach um ein Gewässer dritter Ordnung handele, sei eine entsprechende Erlaubnis gemäß § 8 Wasserhaushaltsgesetz – WHG – jedoch unabdingbar. Der im Streit stehende Abwasser-/Mischwasserkanal entspreche darüber hinaus nicht den anerkannten Regeln der Abwassertechnik i.S.d. § 60 WHG. Insbesondere sei die Ableitung von Fäkalien und Feststoffe führendem Mischwasser in ein offenes Gewässer nicht nur unter wasserrechtlichen Gesichtspunkten im 21. Jahrhundert grundsätzlich nicht mehr zeitgemäß.
Die Häufigkeit der Abschlagsereignisse verstoße zudem gegen die durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs konturierten unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 91/271/EWG. Durch die rechtswidrige Einleitung von Mischwasser werde sowohl in das Eigentum als auch in die Gesundheit der Klägerin eingegriffen. Eine Duldungspflicht bestehe nicht. Die auftretenden Geruchsbelästigungen seien weder ortsüblich noch unerheblich. Die Unterlassung sei für die Beklagten auch nicht unzumutbar. Selbst wenn ein Ausbau des bestehenden, unzureichend dimensionierten Kanalsystems und möglicherweise auch der Kläranlage zweifellos mit erheblichen Kosten verbunden sei, könnten diese nach Maßgabe einschlägiger satzungsrechtlicher Bestimmungen grundsätzlich auf die Solidargemeinschaft der Entgeltschuldner im Verbandsgemeindegebiet umgelegt werden. Ein Ausbaubedarf bestehe auch deshalb, da die Beklagte plane, in der Zukunft zusätzliche Flächen in den Einzugsbereich der betroffenen Kanalisation einzubeziehen.
Gegen das Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung Antrag auf Zulassung der Berufung zum Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz gestellt werden.