Das Verwaltungsgericht Göttingen hat mit Beschluss vom 26.03.2021 zum Aktenzeichen 4 B 48/21 einem Antrag teilweise stattgegeben, mit dem ein schwerkranker Antragsteller eine sofortige Impfung gegen das Covidvirus erreichen wollte.
Aus der Pressemitteilung des VG Göttingen vom 31.03.2021 ergibt sich:
Der Antragsteller leidet ausweislich vorgelegter ärztlicher Atteste an fortschreitendem Muskelschwund (Muskeldystrophie), einer Muskelschwäche sowie einer schweren Ateminsuffizienz. Die Folge davon ist eine fortgeschrittene Lähmung aller vier Extremitäten. Es besteht die Notwendigkeit einer die Spontanatmung unterstützenden künstlichen Beatmung mittels Atemmaske. Zudem benötigt der Antragsteller aufgrund eines schwachen Hustenstoßes einen Husten-Assistenten zur Reinigung der Atemwege. Aus ärztlicher Sicht besteht ein signifikant erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf im Falle einer Infektion mit dem Coronavirus aufgrund der Grunderkrankung. Zudem ist der Antragsteller pflegebedürftig und auf den Kontakt mit Pflegekräften angewiesen ist, wobei es ihm aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist, eine Mund-Nasen-Bedeckung zum Eigenschutz zu tragen. Der Antragsteller kann sich demnach gerade nicht durch die Absonderung von anderen Personen vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus selbst schützen. Mit diesem Krankheitsbild gehört der Antragsteller zur Impfgruppe mit hoher Priorität nach der Coronaimpfverordnung, nicht zur höchsten. Mit seinem bei Gericht gestellten einstweiligen Rechtsschutzantrag wollte der Antragsteller die Verpflichtung des Nds. Sozialministeriums erreichen, ihn sofort zu impfen bzw. eine solche Impfung sicherzustellen.
Den auf sofortige Impfung gerichteten Antrag hat das Gericht mangels Anspruchsgrundlage abgelehnt. Es hat dem Antragsteller jedoch einen Anspruch darauf zuerkannt, bei der Vergabe eines Impftermins gleichberechtigt mit den Personen der höchsten Priorität (z.B. über 80-Jährige und bestimmtes medizinisches Personal) berücksichtigt zu werden.
Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen auf die Regelung abgestellt, die der Impfpriorisierung zugrunde liegt. Dies ist § 20 i Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB V, Gesetz über die Gesetzliche Krankenversicherung. Danach wird das Bundesgesundheitsministerium ermächtigt zu bestimmen, dass Versicherte Anspruch auf bestimmte Schutzimpfungen oder auf bestimmte andere Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe haben, im Fall einer Schutzimpfung gegen das Coronavirus insbesondere dann, wenn sie aufgrund ihres Alters oder Gesundheitszustandes ein signifikant erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf haben, wenn sie solche Personen behandeln, betreuen oder pflegen oder wenn sie in zentralen Bereichen der Daseinsvorsorge und für die Aufrechterhaltung zentraler staatlicher Funktionen eine Schlüsselstellung besitzen. Die ausnahmslose Zuordnung der Krankheitsfälle, die einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf erwarten ließen zu der Impfgruppe mit hoher Priorität verstoße in diesem Einzelfall gegen die gesetzgeberische Wertung in § 20 i Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a) SGB V. Jedenfalls wenn, wie im vorliegenden Fall, die Vorerkrankung so schwer sei, dass bei der Person ein sehr hohes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf im Fall einer Infektion mit dem Coronavirus bestehe, z.B. weil die Erkrankung besonders weit fortgeschritten ist und die erkrankte Person zudem auf Pflege angewiesen ist, dann müsse eine Gleichbehandlung mit den über 80-Jährigen erfolgen. Dies erfordere auch die staatliche Fürsorgepflicht nach Art. 2 GG. Sie schließe es aus, in der Impfreihenfolge diejenigen, die aufgrund individueller Umstände ganz konkret am wahrscheinlichsten mit dem Tod bedroht sind, hinter Personen einzuordnen, für die das nur aufgrund abstrakter Annahmen wie beispielsweise ein hohes Alter gelte.
Gegen diese Entscheidung kann das Sozialministerium binnen zwei Wochen Beschwerde bei Nds. Oberverwaltungsgericht in Lüneburg einlegen.