Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat mit Beschlüssen vom 17. November 2022 die Anträge der Ministerin der Justiz und für Migration des Landes Baden-Württemberg gegen die Stellungnahme des Präsidialrats der ordentlichen Gerichtsbarkeit im Rahmen des Besetzungsverfahrens des Präsidenten/ der Präsidentin des Oberlandesgerichts Stuttgart im Eilverfahren (Az. 10 K 3383/22) und im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren (Az. 10 K 3388/22) abgelehnt.
Aus der Pressemitteilung des VG Stuttgart vom 17.11.2022 ergibt sich:
Auf die vom Ministerium für Justiz und Migration ausgeschriebene Stelle zur Neubesetzung des Präsidenten/ der Präsidentin des Oberlandesgerichts Stuttgart reichten der Präsident des Landgerichts Stuttgart und die Abteilungsleiterin der Abteilung 1 des Ministeriums der Justiz und für Migration ihre Bewerbungen ein.
Die Ministerin teilte dem Präsidialrat der ordentlichen Gerichtsbarkeit mit, es sei beabsichtigt, die Abteilungsleiterin der Abteilung 1 dem Ministerpräsidenten zur Ernennung als Präsidentin des Oberlandesgerichts Stuttgart vorzuschlagen und sie in die bezeichnete Planstelle einzuweisen.
Der Präsidialrat stimmte dem Besetzungsvorschlag der Ministerin nicht zu, sondern schlug den Präsidenten des Landgerichts Stuttgart für diese Stelle vor. Zur Begründung gab er an, aus dem Vergleich der Beurteilungen der beiden Bewerber keinen Vorsprung der vorgeschlagenen Bewerberin herleiten zu können. Nach dem Anforderungsprofil „Leitung eines Gerichts“ als Bestandteil der Grundanforderungen sei im Rahmen der „Tätigkeit und Bewährung auf mehreren Arbeitsfeldern“ die Verwendungsbreite zu berücksichtigen. Die Leitung des größten Landgerichts in Baden-Württemberg sei in diesem konkreten Einzelfall ein beachtliches Unterscheidungsmerkmal und begründe einen relevanten Erfahrungsvorsprung des Präsidenten des Landgerichts Stuttgart. Ein solcher Vorsprung ergebe sich auch aus der Beurteilungshistorie.
Die Ministerin teilte dem Präsidialrat mit, sie sehe sich nicht in der Lage, dessen Besetzungsvorschlag aufzugreifen. Auch ein Erörterungstermin in der Angelegenheit brachte keine Einigung hinsichtlich der Stellenbesetzung.
Daraufhin leitete die Ministerin beim Verwaltungsgericht Stuttgart ein arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren gemäß § 19 Abs. 1 Landesrichter- und –staatsanwaltsgesetz (LRiStAG) i.V.m. §§ 80 ff. Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) gegen den Präsidialrat ein und begehrte zugleich den Erlass einer einstweiligen Verfügung gemäß § 19 Abs. 1 LRiStAG i.V.m. §§ 80 ff. ArbGG und §§ 935 ff. Zivilprozessordnung (ZPO). Die Entscheidung des Präsidialrats sei offensichtlich rechtswidrig, weil er damit seine ihm im Rahmen der Beteiligung nach dem Landesrichter- und –staatsanwaltsgesetz zustehenden Kompetenzen überschritten habe. Aufgrund der Kompetenzübertretung werde die Ministerin den Richterwahlausschuss nicht einberufen.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Der Ministerin ist zwar der Rechtsweg nach § 19 Abs. 1 LRiStAG zu den Verwaltungsgerichten in der Form des Beschlussverfahrens nach dem Arbeitsgerichtsgesetz eröffnet, die Anträge im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren sind jedoch unzulässig. Der Rechtsschutz gegen den Gegenvorschlag des Präsidialrats ist nicht statthaft.
Kommt es zu keiner Einigung zwischen dem Präsidialrat und der Ministerin, entscheidet nach § 43 Abs. 6 LRiStAG die Ministerin und der Richterwahlausschuss über die Berufung in ein Richteramt. Die Entscheidung des Richterwahlausschusses ist unverzüglich herbeizuführen.
Dies gilt auch dann, wenn der Präsidialrat – wie hier von der Ministerin geltend gemacht – seine Befugnisse bei Abgabe seiner Stellungnahme überschreitet. Nach der Entstehungsgeschichte der anzuwendenden Vorschriften und dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers ist der Richterwahlausschuss in jedem Konfliktfall zwischen Präsidialrat und oberster Dienstbehörde (hier: Ministerin) zur (Mit-)Entscheidung berufen, ohne dass diesem Schritt im Rahmen eines Auswahl- und Beförderungsverfahrens eine gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Verhaltens eines der bislang im Verfahren Beteiligten vorangeht.
Dadurch, dass in diesem Stadium des Verfahrens der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nicht eröffnet ist, werden die am Auswahl- und Beförderungsverfahren Beteiligten nicht in rechtsstaatswidriger Weise in ihren Rechten beschränkt.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass die betroffenen Kandidaten und Kandidatinnen für das in Aussicht genommene Amt ihre Rechte aus Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz (Bewerberverfahrensanspruch) erst und ausschließlich im Rahmen eines sogenannten Konkurrentenstreits geltend machen können.
Die Personalhoheit und das Organisationsrecht der Exekutive ist mit der Einführung des Richterwahlausschusses anstelle des Letztentscheidungsrechts der obersten Dienstbehörde beschränkt worden. Dies ist nach Art. 98 Abs. 4 Grundgesetz zulässig und vom Gesetzgeber gewollt. Ob die genannten Rechte der obersten Dienstbehörde verletzt wurden, ist erst nach der (Mit-)Entscheidung des Richterwahlausschusses feststellbar. Daher ist die oberste Dienstbehörde insoweit auf einen nachfolgenden Rechtsschutz zu verweisen. Dies gilt auch für die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Besetzung des Richterwahlausschusses. Für eine Klärung von Zweifeln hieran hat das Grundgesetz zudem die Möglichkeit einer abstrakten Normenkontrolle eröffnet.
Die Unzulässigkeit der Anträge in der Hauptsache führen zugleich zur Unzulässigkeit auch des Eilverfahrens.
Nach Zustellung der vollständig abgefassten Entscheidungen steht den Beteiligten in beiden Verfahren die Beschwerde entsprechend §§ 87 ff. ArbGG zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg offen, die binnen vier Wochen ab Zustellung einzulegen ist.